Das Monster im 5. Stock. Regina Mars

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Das Monster im 5. Stock - Regina Mars


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Überredungskunst

      »Das ist die schlechteste Haxe, die ich je gegessen habe«, murrte Adrian. Wieder saßen sie sich in der Küche gegenüber. Adrian mit dem Rücken zum Fenster und Wastl mit dem Rücken zur Wohnlandschaft. Die Katze war immer noch nicht aufgetaucht, aber ab und zu hörten sie ihr Miauen. Gerade erklang es über ihren Köpfen.

      »Und die Katze ist in den Wänden. Großartig.« Adrian säbelte ein Stück Fleisch herunter. Sehr elegant dafür, wie zäh es war. Sebastian wusste auch nicht, was er falsch gemacht hatte.

      »Aber es war ihr Rezept«, sagte er. »Bei Mama hat es immer ganz anders geschmeckt.«

      »Du hast das noch nie gekocht?«

      »Nah, sie hat drauf bestanden, dass sie es macht. Also, bis sie zu krank war, aber dann gab’s Essen auf Rädern.«

      Falls Adrian irgendetwas dazu fragen wollte, gab er sich die Blöße nicht. Er steckte die Gabel in den Mund und brummte leise. »Fleisch kann man ruhig würzen, weißt du?«

      »Ja, ich wusst nur nicht, wie viel Gewürz man braucht.« Verdammte Axt, er war schon wieder obdachlos. Warum hatte er es nicht geschafft, diesem feinen Pinkel ein perfektes Essen zu zaubern? Alles wäre so viel leichter gewesen, wenn es Adrian geschmeckt hätte. Wastl hätte ihn bestimmt überreden können, das Angebot auf zwei Tage auszuweiten.

      »Nichtsdestotrotz.« Adrian betrachtete den verkochten Kohl, der traurig über den Tellerrand hing. »Es schmeckt. Glückwunsch, das hätte ich nicht erwartet. Ich meine, schau mal. Die Knödel sind keine Knödel, sondern Pfützen.«

      »Aber es schmeckt?« Wastl richtete sich auf. »Wirklich?«

      Adrian nickte nachdenklich. »Wie machst du das? Es ist ungewürzt und verkocht, aber es schmeckt.«

      »Ist halt mit Liebe gekocht.« Wastl grinste.

      Offenbar teilte Adrian seinen Sinn für Humor nicht, denn er hob eine Augenbraue. Oh. Das Blut schoss in Wastls Ohren.

      »Ah, wegen heut Morgen, da … da hab ich nicht kapiert, wie das gemeint war.« Kapierte er immer noch nicht. »Das war ein ganz blödes Missverständnis. Ich hoff, es stört dich nicht zu sehr.«

      Adrians düstere Augen lugten hinter den Haarsträhnen hervor. Himmelherrgott, war der Mann attraktiv. Wastl gab sich Mühe, nicht nervös auf seinem Hocker herumzurutschen. Krampfhaft versuchte er, die glänzende Soße auf Adrians Lippen zu ignorieren.

      »Du bist also schwul, Sebastian«, sagte sein Gastgeber. Oh, allein die Art, wie er »Sebastian« sagte. Wie er jede einzelne Silbe betonte. Hatte je ein anderer Mensch diese Silben so betont? »Oder hast du das nur getan, weil du dachtest, ich lasse dich hier wohnen, wenn du mich küsst?«

      »Nah, wieso solltest du das denn tun?« Wastl legte den Kopf schief. »Du kannst sicher ganz andere haben als mich. So … schickere.«

      »Schicker?« Etwas passierte mit Adrians Gesicht, aber Wastl verstand nicht, was. Bitterkeit stülpte sich darüber und der Mund verzog sich spöttisch. Die eine Stelle, die vernarbte, ging nicht ganz mit und eine winzige Hautfalte entstand. »Meinst du mit schicker, dass die eine eigene Wohnung haben?«

      »Ja, so in etwa.« Wastl lachte. »Grad ist fast jeder schicker als ich, oder?«

      »Ja.« Adrian stand auf. Er trug einen Anzug. Als er die Tür geöffnet hatte, wäre Wastl fast hintenüber gefallen. Einen Anzug, der richtig gut saß. Der sich an die breiten Schultern und die schmalen Hüften schmiegte wie eine zweite, sehr teure Haut.

      »Also kann ich hier wohnen?«

      »Bis morgen.« Adrian tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab und wandte sich dem Fenster zu. Auch nicht schlecht. Er sah so düster und geheimnisvoll aus, wie er dastand und melancholisch auf die Straße fünf Stockwerke weiter unten schaute. Und sein Arsch war noch schöner als Wastl es sich in seinen kühnsten Träumen …

      Hör auf damit, du notgeiler Lustmolch!, schalt er sich. Der Mann lässt dich hier wohnen und das ist sehr nett von ihm. Na ja … nett.

      »Bei all den leeren Zimmern merkst du doch gar nicht, wenn noch jemand hier wohnt«, murrte Wastl. »Ich … ich bin echt unauffällig.«

      »Wenn du nicht gerade die Küche zerlegst, meinst du.« Adrian sah weiter auf die Straße.

      Wastl stellte sich neben ihn. »Du hast mich auf dem falschen Fuß kennengelernt. Ich …« Zu spät fiel ihm die Prothese ein. Hatte er was Unsensibles gesagt? Wär ja nicht das erste Mal. »Ich bin echt der beste Mitbewohner, ich schwör’s.«

      »Hast du Beweise dafür?« Adrians scharfgeschnittenes Profil ließ keine Gefühlsregung erkennen.

      »Meine Mama könnt’s bezeugen, aber die ist … also …« Wastl schluckte. Sein Hals wurde eng und nur, um nicht schon wieder zu heulen, deutete er auf die leere Stelle zwischen zwei Stromkästen. Eine Straßenlaterne beschien das sauber geputzte Pflaster. »Da unten werd ich leben, wenn du mich rauswirfst. Vielleicht schaust du ja ab und zu mal aus dem Fenster und siehst mich frieren. Auf alten Zeitungen werd ich da sitzen und mich mit Mülltüten zudecken und …« Bei dem Gedanken kamen ihm erst recht die Tränen. »Na, vielleicht schenkt mir ja mal ein Fußgänger eine Semmel.« Er schniefte unauffällig.

      »Hör auf zu heulen, das ist ja erbärmlich.« Adrian sah ihn warnend an.

      »Versuch ich doch. Ich bin halt emotional.«

      »Eine Heulsuse bist du.« Das attraktive Gesicht verzog sich und Wastl erinnerte sich, dass dieser Adrian ein blödes Arschloch war.

      »Ich bin im Reinen mit meiner Männlichkeit.« Wastl verschränkte die Arme. »Wer nie mal weint, der freut sich auch nie richtig, du Gefühlskrüppel.«

      Bei dem Wort »Krüppel« zuckte ein Muskel in Adrians Gesicht. Oh nein! Wastl wollte sich entschuldigen, doch Adrian sprach, bevor er den Mund öffnen konnte.

      »Was für eine billige Ausrede, um sich nie zusammenzureißen.«

      »Aber es stimmt.« Wastl hätte die Arme nochmal verschränkt, doch das waren sie ja schon. Also hob er das Kinn, bis es auf Höhe von Adrians Adamsapfel war. »Wann warst du denn zuletzt richtig glücklich?«

      »Als du heute Morgen abgehauen bist«, sagte Adrian. Die sehnsuchtsvolle Note machte seine Stimme weich. »Das war schön.«

      »Gar nicht wahr«, behauptete Wastl. »Bestimmt kam dir die Wohnung viel zu groß vor, als ich weg war.«

      »Die Ruhe war einfach herrlich. Wie das Gefühl, an einem klaren Morgen in den Bergen zu stehen und die Landschaft zu überblicken.«

      »Du hast ja keine Ahnung«, brummte Wastl. »In den Bergen kann’s saulaut sein. Wenn die Kühe morgens auf die Weide kommen, fliegen dir die Ohren ab.«

      »Wie lange führen wir diese sinnlose Unterhaltung noch?« Adrian sah auf seine mattgoldene Uhr. »Eigentlich habe ich etwas Besseres zu tun.«

      »Was denn?«

      »Lesen.«

      »Du hast doch schon die ganze Zeit gelesen, als ich gekocht hab. Ist der Schinken so gut?«

      »Hervorragend. Allein, wie der Autor mit Adjektiven spielt, ist ein Genuss.«

      »Echt? Kann ich das auch mal lesen?«

      »Nein.«

      »Komm schon. Wie heißt das Buch? Vielleicht kenn ich das ja.«

      »Kein Brot und keine Spiele

      Wastl kannte es nicht und langsam wurde diese Unterhaltung auch ihm zu dumm. Draußen war es kalt und er hätte gern gewusst, ob er morgen wieder obdachlos sein würde oder nicht.

      »Schau, Adrian. Ich will doch nur ein paar Tage bleiben. Und wenn du magst, red ich nicht mal mit dir. Du wirst nicht mal merken, dass ich da bin. Irgendwann muss ich ja eine richtige Wohnung finden. Ich hab morgen wieder zwei Besichtigungen. Ich tu wirklich


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