Spielregeln für Game Changer. Kerstin Friedrich

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Spielregeln für Game Changer - Kerstin Friedrich


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Unternehmen einführen sollst.

      Ich habe jetzt eine gute Nachricht für dich: Du kannst ab sofort damit aufhören, an dir und deinen Leuten herumzuschrauben. Stattdessen ist es sinnvoll, dafür zu sorgen, dass alle das große Spiel der Unternehmensführung verstehen und wissen, wie sie es gewinnen können. Anders ausgedrückt: Du musst das System ändern – nicht die Spieler.

      Tatsache ist: Praktisch alle Mitarbeiter haben (oder hatten) ein großes Interesse daran, mit ihrer Energie und ihren Talenten zum Erfolg des Unternehmens beizutragen. Wir haben es jedoch geschafft, ihnen dieses Interesse systematisch auszutreiben. Die Art und Weise, wie wir heute unsere Zusammenarbeit organisieren, widerspricht grundlegenden psychischen Bedürfnissen. Zu diesen Bedürfnissen gehören allen voran solche nach Anerkennung, Wertschätzung, Erfolg und Gemeinschaft. Es bedarf nur weniger, aber radikaler Umbaumaßnahmen, um die gemeinsame Arbeit motivierender, erfolgreicher, profitabler und sinnvoller zu machen.

      Stell dir vor, du spielst in einer Fußballmannschaft, in der keiner weiß, wie es gerade steht. In der niemand weiß, ob es jetzt sinnvoller ist, eher den Angriff oder die Verteidigung zu stärken, oder ob aktuell eine Änderung des Spielsystems geboten ist. Jeder weiß nur, dass er selbst gerade einen guten Job gemacht hat: einen guten Pass gespielt, einen Torschuss des Gegners pariert oder in letzter Sekunde den gegnerischen Stürmer vom Ball getrennt. Ob und wie sich diese Einzelaktion auf das Spiel der anderen und auf das Gesamtergebnis auswirkt, weiß niemand. Eine vollkommen absurde Vorstellung: Weder würde sich irgendein Spieler dauerhaft für Fußball begeistern, noch würde ein einziger Zuschauer Geld dafür bezahlen, einem müden und planlosen Hin-und-her-Gekicke zuzuschauen.

      Wenn in einer Mannschaft die Sehkraft nur bis zum nächsten Mitspieler reicht und wenn niemand weiß, wie es eigentlich steht, ergibt es wenig Sinn, an der Kondition und der Technik der Spieler zu arbeiten. Genauso wenig sinnvoll ist es, einen Motivationstrainer zu engagieren, der den Spielern mit Feuerlauf und Mentaltraining beibringt, über ihre Grenzen zu gehen. Das Einzige, was hilft: Die Spieler müssen sehen können. Sie müssen das gesamte Spiel überblicken, den Spielstand kennen und die Regeln verstehen. Sie müssen auf einen Blick erkennen, welche Folgen das eigene Handeln auf das Ergebnis hat. Dann werden alle das tun, was sie immer tun wollen: ein gutes Spiel abliefern.

      Heute agiert in fast allen Unternehmen eine Mannschaft mit Spielern, die schwer sehbehindert sind, die absolut keine Ahnung haben, wie es steht, und die nicht wissen, ob sie gerade dazu beitragen, dass das Team gewinnt oder verliert. So kann beispielsweise eine Vertriebsmitarbeiterin stolz und glücklich sein, dass sie einen großen Auftrag an Land gezogen hat – ob dieser aber das Unternehmen am Ende mehr Geld kostet, als er einbringt, weiß sie nicht. Es fehlt an der wichtigsten Motivationsquelle: dem Wissen um die eigene Wirksamkeit.

       Das Potenzial

      Praktisch jede Organisation verschenkt ein riesiges Erfolgs- und Ertragspotenzial. Erstens das Potenzial, das durch Demotivation verloren geht. Zweitens das Potenzial an hervorragenden Ideen, das in jedem Mitarbeiter schlummert und für das es keine systematische Förderung gibt.

      Angeblich verlieren wir einen dreistelligen Milliardenbetrag in deutschen Unternehmen (Zahlen von 2018) aufgrund mangelnder Motivation der Mitarbeiter.1 Meine Hypothese lautet: Dieser Mangel an Motivation resultiert nicht aus Unlust an der Arbeit, sondern weil die Menschen nicht erfahren, was ihre Arbeit bewirkt. Anders ausgedrückt: Es fehlt ihnen schlicht und einfach an Erfolgserlebnissen. Wir wissen aber schon lange, dass solche positiven Rückkopplungen das A und O der Motivation bilden: Wir tendieren dazu, Dinge zu tun, die uns gute Gefühle vermitteln, und vermeiden Dinge, die Unlust verursachen und auf lange Sicht nicht zu Erfolgen (= positiven Rückkopplungen) führen. Man schaue sich nur den seit Jahrzehnten boomenden Markt für Browser- und Konsolenspiele an; diese Spiele beziehen ihr Erfolgs- und Suchtpotenzial aus der schlichten Tatsache, dass wir einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Handlung (Aktion) und Wirkung (Reaktion) erleben. Dabei werden auch über lange Zeit die miesesten Misserfolge ausgehalten, wenn am Ende eine große Belohnung winkt – etwa der Aufstieg in ein neues Level, Ruhm und Ehre für eine bessere Ranglistenposition oder andere positive Effekte.

      Kaum zu beziffern ist das Potenzial, das in den Köpfen der Mitarbeiter schlummert: Ideen, wie man Produkte und Dienstleistungen und / oder Prozesse verbessert. In den Produktionshallen der Konzerne hat man das Potenzial, das in fehlerhaften Prozessen liegt, im Zuge der KVP-Bewegung (»KVP« steht für »kontinuierlicher Verbesserungsprozess«) zum Großteil schon gehoben. Im Handwerk und in den Büros liegt dieses Potenzial noch weitgehend brach. Bei Innovationen wird praktisch gar nicht versucht, die kollektive Intelligenz anzuzapfen. Innovationen werden bei den Spezialisten in Forschung und Entwicklung verortet; allen anderen traut man nicht wirklich zu, etwas zur Zukunft des Unternehmens beizutragen.

      Die meisten Führungskräfte werden sich nicht einmal im Traum vorstellen können, dass ihre Leute sich ebenso begeistert an ihren Arbeitsplatz begeben, wie sie sich am Abend vor ihre Spielekonsole setzen oder im Verein trainieren. Man kann sich aber durchaus die Frage stellen, welche Rahmenbedingungen wir in der Arbeitsumgebung setzen können, damit sich die schleichende Demotivation und Unlust in mehr Freude am Erfolg verwandeln.

       Das »Geheimnis« vor unserer Nase

      Sehr einfache, nahezu banale Grundvoraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Fußballmatch sein ganzes Spiel- und Spaßpotenzial entfalten kann. Und davon können wir einiges auf die Arbeitsorganisation übertragen. Wir glauben häufig, dass wir von erfolgreichen Sportteams etwas über Teamgeist oder Siegeswillen lernen können oder dass wir fachliches oder motivationspsychologisches Geheimwissen aus der Trickkiste herausragender Trainer und Führungspersönlichkeiten dafür brauchen. Alles das schadet nicht – aber es löst nicht einmal ansatzweise die Motivationsprobleme in Unternehmen. Die Lösung dafür ist ausgesprochen banal und sie liegt wie viele sogenannte »Geheimnisse« direkt vor unserer Nase. Sie liegt nicht in Persönlichkeitseigenschaften oder Spezialwissen, sondern in den systemischen Rahmenbedingungen. Noch einmal: Das Herumschrauben an Menschen ist sinnlos. Stattdessen müssen wir an den Systemen arbeiten.

      Welche Grundvoraussetzungen müssen nun erfüllt sein? Hier zwei essenzielle Bedingungen: Beim Fußball kennen alle Spieler ihre Rolle und beherrschen sie auch. Heißt: Jeder Mitarbeiter muss für seine Rolle und Aufgaben qualifiziert sein und sie kennen. Das ist die leichteste Übung. Darüber hinaus müssen alle Spieler die Spielregeln kennen. Hier geht das Problem los: Im eigenen Bereich weiß man dank Arbeitsplatzbeschreibung und Flurfunk in der Regel recht gut, was zu tun ist und was nicht. Mit einer entscheidenden Ausnahme: Fast niemand weiß, was er oder sie tun muss, um das Spiel zu gewinnen. Im Fußball ist das relativ einfach. Die kritische Erfolgskennzahl lautet: Wir müssen ein Tor mehr schießen als der Gegner. Steht es in der Nachspielzeit 0:0, wird das Team automatisch anders – nämlich aggressiver – spielen, als wenn es nach 70 Minuten 4:0 vorne liegt. Doch wie sieht diese kritische Erfolgskennzahl im Unternehmen aus? Tatsächlich können selbst Unternehmenslenker diese Frage nicht spontan beantworten. Sie ist auch nicht pauschal zu beantworten, denn je nach Geschäftsmodell, Wertschöpfungsprozess und aktueller Lage des Unternehmens kann sie anders ausfallen.

      Die kritische Erfolgskennzahl im Unternehmen ist »eine operationale oder finanzielle Kennzahl, die den zentralen Erfolgstreiber oder eine zentrale Verletzbarkeit repräsentiert«2. Sie kann die Leistungsfähigkeit und langfristige Sicherheit des Unternehmens gefährden, wenn sie nicht überwacht und korrigiert wird (mehr dazu im 9. Kapitel über »Scoreboard-Management in der Praxis«). Die Spielregel, dass derjenige siegt, der ein Tor mehr als der Gegner schießt, versetzt eine Fußballmannschaft in Verbindung mit der Kenntnis des Spielstandes in die Lage, selbstorganisiert und spontan sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

      Doch wie sieht das in Unternehmen aus? Angenommen, die kritische Zahl ist der Cashflow – etwa weil das Unternehmen munter wächst und die Kreditlinie langsam erschöpft ist. Das Team sieht nur, dass neue Mitarbeiter eingestellt und neue Kunden


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