Spielregeln für Game Changer. Kerstin Friedrich
Читать онлайн книгу.aber niemand über die prekäre Lage reden will oder kann, liegt eine merkwürdige, nicht greifbare Spannung über dem ganzen System. Würde jetzt der Cashflow täglich öffentlich unter Beobachtung gestellt, ganz so wie auf der großen Toranzeige im Stadion – und wäre jedem klar, was man generell und konkret tun kann, um ihn zu beeinflussen –, so würde sich automatisch und ohne großartige Appelle das Verhalten ändern. Und etwas anderes, extrem Wichtiges würde passieren: Die meisten Mitarbeiter würden sich darüber unterhalten, was man tun könnte, um an der Situation etwas zu verändern. Sie würden Ideen produzieren. Dieser »Besserwisser-Effekt« ist uns mehr oder weniger angeboren. Sobald wir irgendwo ein Problem sehen, das uns berührt, überlegen wir sofort, wie man es lösen könnte – auch wenn wir dafür keinen Auftrag und keine Qualifikation haben.
Würde man nun die Ideen des gesamten Teams zum Thema »Cashflow verbessern« einholen und diese auch umsetzen, gäbe es sehr rasch zwei bemerkenswerte Effekte: Der kritische Engpass wird weniger kritisch, und das Team macht die Erfahrung, dass es wirksam ist. In den meisten Organisationen aber agieren Führungskräfte wie Blindenführer: Sie lassen ihre Mitarbeiter über die Folgen ihres Handelns im Dunkeln und wundern sich dann, dass zu wenig Dynamik im Team zu spüren ist.
Alle Spieler müssen wissen, wie das Spiel steht. Anders ausgedrückt: Man braucht Transparenz hinsichtlich der Ergebnisse. Die kritischen Engpässe brauchen Öffentlichkeit und einen Bezug zum täglichen Handeln. Solange die Zahlen als etwas betrachtet werden, das »die da oben« erzeugen, und solange diese Zahlen in einer langweiligen Excel-Tabelle auf einem Server schlafen, können sie weder steuern noch aktivieren. Können wir keinen Bezug zu unserem täglichen Handeln herstellen, bleibt die Steuerungskraft von Kennzahlen aus.3 Man stelle sich vor, man setzte Sebastian Vettel das Ziel, »möglichst viel Gewinn für Ferrari rauszuholen«. Eine absurde Vorstellung. Das Ziel ist idealerweise an einen hohen »Kundennutzen« gebunden, also in diesem Fall: Formel-1-Rennen zu gewinnen. Je besser das gelingt, desto höher die Chance auf einen ebenso attraktiven Gewinn für Ferrari, das mit jedem Sieg seine Marke pflegt und in der Folge einen Rekordgewinn von fast 70 000 Euro pro verkauftem Fahrzeug einfährt.4
Ohne Ergebnis kein Erfolgserlebnis
Allgemeine Lustlosigkeit zieht sich wie eine Seuche durch viele Unternehmen. Nach den allgemein bekannten Gallup-Umfragen gehen nur 15 Prozent aller Menschen täglich motiviert an ihren Arbeitsplatz (Stand 2018). Fragt man nach den Ursachen, bekommt man sehr häufig die Antwort, dass es zu wenig Wertschätzung für gut geleistete Arbeit gebe. Das gilt sowohl für individuelle als auch für Teamleistungen. Das Problem ist umso verbreiteter, je größer das Unternehmen ist. Am Anfang, wenn noch jeder jeden kennt und man direkt miteinander kommuniziert, werden Erfolge und Misserfolge direkt erlebbar. Wird das Unternehmen dann größer, ziehen sich die Spezialisten in ihre eigenen Abteilungen (man könnte auch sagen: Wagenburgen) zurück. Dabei geht der Blick auf das große Ganze und damit auf Ergebnisse und Erfolge verloren. Wir sehen gerade mal den eigenen Beitrag, aber nicht mehr die Leistungen der Kollegen. In Sportsprache ausgedrückt: Wir sehen, dass wir selbst einen guten Pass gespielt oder ein Tor verhindert haben; wie jedoch die anderen spielen und wie der Spielstand aktuell ist, sehen wir nicht mehr. Dort, wo man keine Erfolge sieht, können auch keine gefeiert werden.
Anders ausgedrückt: Gute Leistung ist nicht transparent – genauso wenig wie schlechte. Weil zentrale Rückkopplungsmechanismen fehlen, fehlt es auch an zentralen Motivatoren. Wenn sich niemand für das interessiert, was wir erreicht haben, verfallen viele in einen Dienst-nach-Vorschrift-Modus und wurschteln vor sich hin. Bei Vorgesetzten verfestigt sich so schnell der Eindruck, dass »die Leute« zu wenig Initiative zeigen. Und dann beginnt die endlose Suche nach Motivationsmethoden, besseren Führungskräften, neuen Anreizsystemen und so weiter und so fort. Einen großen Teil (oder all das) kann man sich sparen, wenn eine wichtige systemische Grundvoraussetzung erfüllt wird: Transparenz hinsichtlich Kopplung von Verhalten und Ergebnis.
In diesem Buch kannst du erfahren, wie du durch einfache Veränderungen der Rahmenbedingungen in deinem Unternehmen
• die natürliche Motivation deines Teams freilegst und in produktive Bahnen lenkst,
• dafür sorgst, dass alle guten Ideen einen Platz finden, auf dem sie gesehen und gehört werden,
• ein Fitnesstracker installiert wird, der allen Beteiligten zu jeder Zeit zeigt, wie gut oder schlecht es dem Unternehmen auf vielen Ebenen geht,
• den Aufwand für Management und Führung drastisch reduzierst,
• die Profitabilität deutlich steigerst,
• ein System installierst, das für jede Menge Anerkennung und Wertschätzung sorgt.
Im nächsten Kapitel erfährst du, wie wir es überhaupt »geschafft« haben, weltweit ein demotivierendes Führungssystem zu etablieren, und warum wir das dringend ändern müssen. Wenn du gleich wissen willst, wie du Transparenz in deinem Unternehmen herstellst, lies direkt Kapitel 4 (»Systeme ändern durch Transparenz und Verbundenheit – die universelle Gewinnerformel«).
KAPITEL 2
Der Weg in die Sackgasse
Wenn man Menschen für bequeme Egoisten hält, muss man Systeme von Anreizen und Sanktionen einsetzen. Deprimierenderweise erzeugen wir aber gerade damit die Haltung, die wir eigentlich bekämpfen wollen. Der Mensch ist in seinem Wesenskern ein Sozialwesen, das auf positive soziale Resonanz angewiesen ist. Wir brauchen weder Druck noch Kontrollen, um gute Arbeit zu leisten; wir wollen von Natur aus erfolgreich sein und als Team gewinnen.
Unsere Art, Unternehmen zu organisieren und zu führen, ist aus einem sehr wichtigen Grund ein Auslaufmodell: Dieses Modell ist von Anfang an nicht dafür konzipiert worden, dass Menschen ihre Talente im Team optimal entfalten, sondern um ein Maximum an Produktivität zu erzeugen. Das war über viele Jahrhunderte auch sinnvoll, musste doch die Versorgung der Menschen mit knappen Gütern gewährleistet werden. Es schien nicht besonders wichtig zu sein, ob dieses Modell auch dazu führte, dass grundlegende Bedürfnisse der arbeitenden Menschen erfüllt wurden. Vielmehr reichte es, dass sie sich mithilfe der (ungeliebten) Arbeit möglichst viele Konsumwünsche erfüllen konnten.
Das Ziel der maximalen Produktivität ist in einigen Landstrichen der Erde – unter anderem in Mitteleuropa – so gut wie erfüllt. Nichts bringt dies besser auf den Punkt als der schöne Satz: »Früher haben wir Hungrige satt gemacht, heute müssen wir Satte hungrig machen.« Es war noch vor wenigen Jahrzehnten kaum vorstellbar, dass alle physischen Bedürfnisse nach Essen und Bekleidung zu derart günstigen Preisen erfüllbar sind. Zumindest in den sogenannten entwickelten Industrienationen sehen wir auf praktisch allen Konsumgütermärkten ein brutales Überangebot. Kaum ein Unternehmen ist heute vor dem internationalen Wettbewerb geschützt. Und um dem zu entkommen, stehen sie unter einem noch nie da gewesenen Innovationsdruck: Entweder müssen sie noch attraktivere Produkte oder Dienstleistungen entwickeln oder sie müssen ihre Prozesse immer mehr optimieren, um im Preiswettbewerb mithalten zu können.
Für diese Innovationen braucht man vor allem eines: fähige und motivierte Mitarbeiter. Und eine Struktur, in der diese Mitarbeiter ihre Ideen optimal im Rahmen marktfähiger Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse zum Leben erwecken können. Hier gehen die Probleme weiter: Diese hoch qualifizierten Menschen sind auf dem Arbeitsmarkt schwer zu bekommen, und wenn es sie gibt, stellen sie mittlerweile andere Ansprüche als noch ihre Eltern und Großeltern. Die berühmte Generation Y traut sich heute, neben Gehalt, guten Arbeitsbedingungen und einem lebensfreundlichen Betriebsklima auch nach Sinn in ihrem Tun zu verlangen. Hat man diese innovativen Menschen denn an Bord, so brauchen sie Arbeitsbedingungen, unter denen Kreativität und Innovationskraft blühen können. Spätestens jetzt wird es für