Spielregeln für Game Changer. Kerstin Friedrich

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Spielregeln für Game Changer - Kerstin Friedrich


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Lernstoff abarbeiten wie Fabrikarbeiter und werden durch ein perfides Angstsystem von Schulnoten und »Sitzenbleiben« dazu »motiviert«, das zu tun, was man von ihnen erwartet. So oder ähnlich geht es dann in den Unternehmen weiter: Stellenbeschreibungen, Zielvorgaben, Kontroll- und Beurteilungssysteme sollen dafür sorgen, dass Menschen das tun, was wir von ihnen erwarten.

      Deprimierenderweise erzeugen wir aber gerade damit die Haltung, die wir eigentlich bekämpfen wollen. Denn wenn wir Menschen behandeln wie bequeme Egoisten, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn sie sich genau so verhalten. Dass es in vielen Unternehmen eine Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität gibt, ist eine logische Folge der vielen Vorschriften und Misstrauenssysteme. Der Autor Reinhard K. Sprenger hat schon vor 30 Jahren in seinem wegweisenden Buch Mythos Motivation offengelegt, dass variable, von der Leistung abhängige Gehälter (wie Umsatzprämien im Verkauf) eine unausgesprochene Misstrauenserklärung sind. Sie sagen schließlich nichts anderes aus als: »Wenn ich dir ein angemessenes Fixgehalt gebe, machst du weniger, als du zu leisten imstande bist.«

      Es ist klar, dass wir mit einem negativen, reduktionistischen Menschenbild keine Unternehmensstruktur (und daraus resultierend eine Unternehmenskultur) aufbauen können, die auf gegenseitigem Vertrauen, Transparenz und Selbstorganisation aufbaut.

       Wie Menschen wirklich ticken

      Mittlerweile wissen wir – insbesondere durch neuere Forschung der Positiven Psychologie und der Neurobiologie – dass wir das Menschenbild der Soziobiologie gehörig erweitern müssen. Natürlich ist der Wunsch, uns fortzupflanzen und für unsere Liebsten zu sorgen, ein riesiger Motivator. Und, ja, für Männer ist es nach wie vor vorteilhaft, auf der sozialen Leiter möglichst weit oben zu stehen, denn das verspricht den Frauen, denen so etwas wichtig ist, ein hohes Maß an Sicherheit und Status. Umgekehrt dreht sich das Leben von vielen Frauen um gutes Aussehen, da auch dies von den männlichen Alphatieren belohnt wird – im Amerikanischen spricht man sehr schön von den sogenannten Trophy Wifes. Aber das ist natürlich nicht alles! Über Fortpflanzung und Sozialstatus hinaus schlummert in jedem Menschen der Wunsch, Teil von etwas Größerem zu sein und das eigene Talent zum Nutzen anderer zu entfalten. Wir wollen Dinge tun, die Sinn ergeben und auf die wir stolz sind. Und wir alle haben den großen Wunsch, Anerkennung und Wertschätzung für gute Leistung zu bekommen. Der Mensch ist ein Sozialwesen durch und durch, das dringend auf positive soziale Resonanz angewiesen ist. Wir brauchen weder Druck noch Kontrollen, um gute Arbeit zu leisten; wir wollen von Natur aus erfolgreich sein und als Team gewinnen. Das tradierte Menschenbild des habgierigen Egoisten gehört auf den Müll der Geschichte, und damit die Systeme von Kommando und Kontrolle, die wir jahrhundertelang gepflegt haben. Alles, was wir tun müssen, ist, das neue Menschenbild annehmen und uns fragen, wie wir Arbeit organisieren müssen, damit dort menschliche Grundbedürfnisse nach Entfaltung, Wirkung, Erfolg, Anerkennung und Wertschätzung erfüllt werden.

      Das Unternehmen von gestern wurde um die Frage herum konstruiert, wie wir ein Maximum an Kapitalproduktivität erzeugen. Die Unternehmen von morgen werden um die Frage herum konstruiert, wie Menschen ihr Potenzial bestmöglich im Dienste des Nutzens für andere6 entfalten können.

       Negative Glaubenssätze aufgeben

      Dieser Wandel wird umso besser gelingen, je erfolgreicher wir unsere alten, negativen Programmierungen und Erfahrungen durch Überzeugungen ersetzen wie »Alle Menschen im Unternehmen geben ihr Bestes, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gibt und die Voraussetzungen dafür schafft«. Auch wenn du im Moment noch in einer Kultur lebst, in der Misstrauen und Kontrolle an der Tagesordnung sind, halte es zumindest für möglich, dass es auch anders gehen kann. Frage dich einmal, woher diese Programmierungen stammen: Meist haben wir sie kritiklos aus Büchern, von Lehrern, Eltern oder Vorgesetzten übernommen. Um es mit Niels Pfläging auszudrücken: Transformationsarbeit bedeutet Arbeit an Glaubenssätzen. Wir werden im weiteren Verlauf dieses Buches immer wieder darauf zurückkommen.

      Befreie dich am besten auch gleich von der Vorstellung, dass Erfolg etwas mit Kampf und Krieg zu tun hat. Die gesamte Managersprache wimmelt von Kriegsmetaphorik: »Kampf um Marktanteile«, »Kundenfront«, »Rekrutierung« und Ähnliches. Bewaffnet und trainiert wird der Verkäufer mit Psychomethoden, Einwandbehandlung und Abschlusstechniken. Dahinter steckt der falsch verstandene Darwinismus des »survival of the fittest« und des »struggle for survival«: Im Überlebenskampf siegt der Stärkste und der am besten Bewaffnete. Begleitet wird dieses Missverständnis vom linear-statischen »Kuchendenken«: Der Markt ist wie eine große Torte, von der sich viele Mitbewerber ein möglichst großes Stück abschneiden wollen. Wer sich jetzt am schnellsten und mit den besten Messern bewaffnet in den Kampf stürzt, ergattert das größte Stück. Dass man sich ganz ohne Kampf mit ein bisschen Kreativität und Tatkraft einen eigenen Kuchen backen kann, hat sich noch nicht überall herumgesprochen. So ist es denn kein Wunder, dass normale Menschen »die Wirtschaft« nicht als einen Ort der Erfüllung und der Selbstentfaltung verstehen, sondern als notwendiges Übel. Unternehmen zu führen hat nichts mit Krieg zu tun – dafür sehr viel mit Teamsport und Wettbewerb. Oder um es mit den Worten des genialen US-Unternehmers Jack Stack auszudrücken: Die Managementlehre ist weder eine Kunst noch eine Wissenschaft, sondern ein spielerischer Wettbewerb, bei dem ziemlich viel auf dem Spiel steht.

       KAPITEL 3

       The Great Game of Business – zwei Praxisbeispiele aus den USA

       Wenn sich Mitarbeiter wie Mitunternehmer verhalten sollen, brauchen sie Zugang zu wichtigen Informationen und Verständnis für die Zusammenhänge im Geschäftsmodell. Und sie brauchen so viel Handlungs- und Entscheidungsspielraum wie ein Unternehmer. An zwei Praxisbeispielen erfährst du in diesem Kapitel, wie man alle Mitarbeiter befähigt, unternehmerisch zu denken und zu handeln.

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      In diesem Buch stelle ich dir eine Methode vor, mit der du spielerisch leicht das tradierte Managementsystem in ein System von Transparenz, Teamgeist, Kreativität und Freude am Ergebnis verwandelst. Sie ändert Kultur und Ergebnisse allein durch die Veränderung der Rahmenbedingungen. Du wirst in deinem Unternehmen die gleichen Qualitäten erzeugen, die im Mannschaftssport selbstverständlich sind und die es überhaupt erst ermöglichen, Freude am Spiel zu haben: Spielverständnis, Transparenz und eine unmittelbare Rückkopplung von eigenem Handeln und dem Gesamtergebnis. Vor allem wirst du dadurch deinem Team zu dem verhelfen, was unser aller Lebenselixier ist: zu Erfolgserlebnissen auf vielen Ebenen. Diese Methode ist aus dem entstanden, was wir über viele Jahre von ungewöhnlichen Unternehmern gelernt und hier in Deutschland mit beherzten Pionieren praktisch erprobt haben. Zwei dieser Unternehmer und ihre Organisationen waren dafür maßgeblich: Jack Stack von SRC und Ari Weinzweig von Zingerman’s.

       Jack Stack und The Great Game of Business

      Jack Stack ist eines der größten und kreativsten Genies der Managementlehre. Er hat – genau wie viele andere großartige Unternehmer und Vordenker – nie eine Business-School von innen gesehen. Stack ist der Erfinder von »The Great Game of Business« (GGOB), einem genial einfachen und erfolgreichen System für Organisationsentwicklung. GGOB wurde in den 80er-Jahren rein aus der Unternehmenspraxis heraus entwickelt. Jack Stack hatte damals mit elf Kollegen im Rahmen eines Management-Buy-outs die Springfield Renewal Company (SRC) von der angeschlagenen Muttergesellschaft International Harvester erworben. SRC war spezialisiert auf die Aufarbeitung von großen Dieselaggregaten.

      Vom Start an war das Unternehmen praktisch pleite: SRC hatte neben International Harvester noch einen zweiten Kunden, mit dem es 40 Prozent seines Umsatzes machte. Dieser Kunde war nach dem Buyout abgesprungen, weil er das Unternehmen selbst hatte übernehmen wollen. Stack versammelte alle Mitarbeiter in der Fabrikhalle


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