Spielregeln für Game Changer. Kerstin Friedrich

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Spielregeln für Game Changer - Kerstin Friedrich


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um gute Ideen, wie man die Lage drehen könnte. Er schenkte also allen Mitarbeitern reinen Wein ein, anders ausgedrückt: Er machte den Spielstand transparent. Viele Unternehmenslenker schrecken davor zurück, ihren Teams in schlechten Zeiten die Wahrheit zu sagen, weil sie fürchten, dass gerade die besten Mitarbeiter das Unternehmen verlassen würden. Sprichwörter wie »Die Ratten verlassen das sinkende Schiff« nähren solche Befürchtungen. Dahinter steckt – wie immer – das alte negative Menschenbild der Managementlehre: Jeder ist sich selbst der Nächste. In Fall von SRC kam es natürlich anders. Kein Mensch verließ das Unternehmen, sondern es ging sofort ein Ruck durch die Belegschaft. Dieses Verhalten ist im Grunde völlig normal; einigermaßen intakte Systeme tendieren immer zum Selbsterhalt. Das heißt, wir versuchen instinktiv zunächst alles, um das System zu retten, wenn wir auch nur einen Funken Vertrauen in die Unternehmensspitze haben.

      Stack und seine Kollegen konnten sich vor guten Ideen kaum retten. Doch sehr viele waren unbrauchbar, weil sie den größten Engpass – Cash – nicht lösten. Jack Stack dämmerte es, dass die Mitarbeiter die Spielregeln kennen müssen (sprich: die Finanzsprache sprechen), wenn sie etwas Sinnvolles zum Unternehmenserfolg beitragen können sollen. Genauso ist es im Sport oder bei jeder anderen Art von Spiel: Je besser ich das Spiel beherrsche, desto besser können meine Beiträge zum Erfolg sein. Doch die Begeisterung für BWL-Kurse hielt sich bei seinen Mitarbeitern in Grenzen, die meisten machten eher aus Pflicht denn aus Freude mit. Stack stellte sich die kluge Frage, wann sich Amerikaner freiwillig mit Zahlen beschäftigen. Die Antwort: beim Football und beim Baseball! Regelkunde, Raumgewinn und Passgenauigkeit errechnen, Punkte zählen – alles das lernt man beim Sport mit großer Motivation und Leichtigkeit. Man musste die Unternehmensführung also lediglich so interessant machen wie ein Football-Match, um mehr Begeisterung zu entfachen. Mehr noch, die Mitarbeiter sollten nicht einfach nur gut informierte Fans sein, die zuschauen, welche Ergebnisse das Management produziert, sondern sie sollten aktive Spielgestalter werden.

      Das war die Geburtsstunde von The Great Game of Business. GGOB verwandelt die Unternehmensführung in ein großes Spiel, in dem die Mitarbeiter in großen und kleinen Teams mit dem Ziel »spielen«, bestimmte Kennzahlen zu erreichen: die kritische Zahl, also den zentralen Treiber des Unternehmenserfolges, ebenso wie diverse andere Kennzahlen, die mittelbar mit der kritischen Zahl verbunden sind. Voraussetzung ist, dass ausnahmslos alle Mitarbeiter vom Vorstand bis zur Putzfrau grundlegende Finanzkenntnisse besitzen und dass sie die Vision ebenso wie die Strategie kennen und unterstützen. Wer einmal selbst in Springfield erlebt hat, wie Fließbandarbeiter einem Außenstehenden mit großer Selbstverständlichkeit Konzepte wie den Cashflow oder eine komplexe Kennzahl wie die Lagerumschlagsgeschwindigkeit erklären, wird sich schnell für diesen unglaublichen Ansatz begeistern. Selbstredend sind sämtliche Finanzkennzahlen allgemein bekannt (Open-Book-Management); und selbstredend werden die Mitarbeiter angemessen am gemeinsam erwirtschafteten Gewinn beteiligt. SRC ist mittlerweile von 160 auf mehr als 2000 Mitarbeiter gewachsen und befindet sich komplett in der Hand der Mitarbeiter. Einige Mitarbeiter haben unter dem Dach der Mutter SRC neue Unternehmen gegründet. Hier sieht man, was es wirklich heißt, Mitarbeiter zu Mitunternehmern zu machen.

      Als ich das erste Mal von diesem System hörte, war ich erst mal skeptisch: Spielen und Arbeit – das passte irgendwie nicht zu meiner protestantisch-preußischen Arbeitsmoral. Ich hielt das Ganze für ein typisch amerikanisches Motivationsbohei, mit dem man den Leuten das letzte bisschen an Produktivität abpresst. Als ich mich dann endlich aufgerafft hatte, mir in Springfield selbst ein Bild von dieser Methode zu machen, war ich in wenigen Minuten überzeugt. Jack Stack hielt die Eröffnungsansprache. »Wenn ihr nur hier seid, um eine Methode zu erlernen, wie ihr eure Leute besser manipulieren könnt, dann fahrt sofort wieder nach Hause«, erklärte er den 50 Seminarteilnehmern, die aus den ganzen USA angereist waren. »The Great Game of Business funktioniert nur, wenn ihr ernsthaft am Wachstum von Menschen interessiert seid.« Ich war mir sicher, am richtigen Ort zu sein.

      Mehrere Tausend Unternehmen in USA haben sich bereits von The Great Game of Business inspirieren lassen und den täglichen Kampf in einen spielerischen Wettbewerb verwandelt – mit überragenden Erfolgen, was Motivation, Selbstorganisation und Finanzen angeht. Unzählige Unternehmen befinden sich über einen ESOP-Plan7 in der Hand der Mitarbeiter.

       Das coolste Unternehmen in den USA

      Eines dieser höchst erfolgreichen Unternehmen, die unter anderem The Great Game of Business in ihren »Methodenbaukasten der Selbstorganisation« integriert haben, befindet sich in der idyllischen Universitätsstadt Ann Arbor in Michigan: die Zingerman’s Community of Businesses, kurz ZCOB.8 In USA ist Zingerman’s eine Berühmtheit: Prominente wie Barack Obama oder Oprah Winfrey geben sich dort die Klinke in die Hand. Inc. Magazine (in etwa das US-Pendant der deutschen Unternehmerzeitschrift Impulse) kürte Zingerman’s zur »coolest small company« in den USA. Einer der Gründer, Ari Weinzweig, wurde von Inc. in den Kreis der fünf besten Unternehmenslenker gewählt. In allen der mittlerweile 13 Unternehmen, die zur ZCOB gehören, herrscht ein unglaubliches Maß an Selbstorganisation und ein ebenso phänomenales Niveau an Qualität und Kundenservice. Die Strategie, auf die alle Mitarbeiter ausgerichtet sind, steht auf drei Säulen: Great Food – Great Service – Great Finance (großartige Speisen – großartiger Service – großartige Finanzen).

      Die schon fast klischeehafte Erfolgsgeschichte von Zingerman’s begann 1978: Ari Weinzweig arbeitete nach seinem Abschluss in Geschichte mit dem Spezialgebiet »Russischer Anarchismus« zunächst als Tellerwäscher im Restaurant Maude’s, das von Paul Saginaw geleitet wurde. Die beiden entdeckten schnell ihre Liebe zu gutem Essen und waren sich einig, dass Ann Arbor unbedingt ein traditionelles jüdisches Deli brauchte – etwas, womit Ari Weinzweig in Chicago und Paul Saginaw in Detroit aufgewachsen waren. Im November 1981 machten sie ihren Traum wahr, als ein kleines Backsteingebäude in der Kingsley Street frei wurde: Weinzweig bekam ein Darlehen von seiner Großmutter, Saginaw belieh sein Haus mit einer zweiten Hypothek, und die beiden gründeten Zingerman’s. Ihr Ziel war es, dort das beste Corned-Beef-Sandwich aller Zeiten anzubieten und herausragende Lebensmittel nach Ann Arbor zu bringen.

      Die Rahmenbedingungen waren alles andere als rosig: Ein halbes Dutzend Delis waren in der Stadt zuvor schon gescheitert, das heute trendige Viertel rund um den Wochenmarkt galt damals als düster und gefährlich – und der Darlehenszinssatz lag bei heute unvorstellbaren 18 Prozent. Doch die beiden schafften, was jeder für unmöglich gehalten hatte: Dank ihrer Liebe zu herausragendem Essen und dem gründertypischen 24/7-Einsatz blühte das kleine Geschäft mit seinen Sandwiches und dem kleinen, aber feinen Lebensmittelhandel immer mehr auf. Mittlerweile ist Zingerman’s eine der Topadressen für Foodies in den USA. Viele der auswärtigen Gäste haben das Gründerduo schon bestürmt, Zingerman’s-Filialen in anderen US-Städten zu eröffnen. Die Antwort ist immer die gleiche: Das Unternehmen habe eine Seele und die könne man nicht klonen. Die meisten auswärtigen Gäste sind überrascht, wie klein das berühmte Geschäft ist. Dazu Weinzweig: »Wir wollten nie zu den Größten zählen, sondern nur zu den Besten.« Statt über Filialen zu expandieren, ist man bei Zingerman’s einen anderen Weg gegangen. So wurden auf Initiative talentierter Mitarbeiter in Ann Arbor zwölf weitere spezialisierte Tochterunternehmen gegründet9, die alle die gleiche Mission verbindet: herausragende Lebensmittel auf hohem ökologischen und handwerklichen Niveau zu produzieren und dabei eine einzigartige Unternehmenskultur zu pflegen.10

      Vorbildlich ist Zingerman’s im Umgang mit Unternehmenswachstum und den dabei zwangsläufig auftretenden Problemen und Engpässen. Ari Weinzweig adaptierte einen ursprünglich auf Abraham Maslow und Ron Lippitt zurückgehenden Ansatz namens Visioning. Demnach wehren sich Menschen vor allem darum vor Veränderungen (und genau das ist das »Problem« bei allen wachsenden Unternehmen), weil sie nicht wissen, für welches höhere Gut sie ihre bewährten Routinen aufgeben und Mehrarbeit in Kauf nehmen sollen. Haben sie jedoch eine klare, lebendige und vor allem attraktive (!) Vorstellung (»Vision«) von ihrer beruflichen Zukunft, verschwinden zum einen die Widerstände und zum anderen entfalten sich Selbstorganisation und Unterstützung für das Ziel. Dies zwingt die Unternehmen natürlich dazu, sinnstiftende und attraktive Strategien zu entwickeln, denn für das Ziel »Maximierung


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