Im Schlaraffenland. Heinrich Mann

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Im Schlaraffenland - Heinrich Mann


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horch­te auf.

      »Mit dem, der so staats­er­hal­tend aus­sieht?« frag­te er. »Nun, was mach­ten sie denn?«

      »Sie küss­ten sich.«

      »Mehr nicht?«

      Kaf­lisch war ent­täuscht. An­dre­as such­te sich zu ent­schul­di­gen.

      »Na, hier im Hau­se –« mein­te er.

      »Un­sinn. Die­de­rich Klemp­ner ist ja ihr Schoß­hünd­chen. So’n Pos­ten soll­ten Sie sich auch su­chen, mein Lie­ber. Klemp­ner ist ein Stre­ber, aber ohne Liz­zi wäre er nichts ge­wor­den.«

      »Was ist er denn?« frag­te An­dre­as.

      »Das wis­sen Sie nicht? Dra­ma­ti­ker doch!«

      »Klemp­ner? Ich habe ihn nie auf dem Thea­ter­zet­tel ge­se­hen.«

      »Die lie­be Un­schuld! Ist ja gar nicht nö­tig, er schreibt nie was, aber Dra­ma­ti­ker ist er doch.«

      »Wie­so?« frag­te An­dre­as ziem­lich kurz. Er fand den Aus­druck »Die lie­be Un­schuld« et­was zu her­ab­las­send. Kaf­lisch er­läu­ter­te:

      »Wenn er was schrei­ben wür­de, dann wür­de es viel­leicht ein Dra­ma wer­den. Ver­stehn­se mich?«

      Man hör­te schon von Wei­tem eine Grup­pe von Her­ren strei­ten, die Bör­sen­be­su­cher sein muss­ten, denn sie spra­chen von ei­nem Herrn Schme­er­bauch, der die Ge­wohn­heit hat­te, je­den Tag mit ei­ner neu­en Hose zur Bör­se zu kom­men. Heu­te hat­te er eine schon be­kann­te an­ge­habt, was al­ler­lei Zwei­fel er­reg­te. Man rief einen un­ter­setz­ten, be­hä­bi­gen Herrn an, der mit ei­ner schlan­ken jun­gen Blon­di­ne vor­über­ging.

      »Blosch! Wis­sen Sie was über Schme­er­bauch?«

      »Ist ja al­les nicht wahr!« sag­te Blosch phleg­ma­tisch.

      »Das mit der Hose?« frag­te je­mand.

      »Ein An­fall von Me­lan­cho­lie«, ver­setz­te Blosch. »Schme­er­bauch hat eine un­glück­li­che Lie­be.«

      Schme­er­bauchs Kre­dit war wie­der her­ge­stellt.

      »Der Glück­li­che!« seufz­te ein schlan­ker jun­ger Mann mit fei­nem schwar­zen Schnurr­bart und man­del­för­mi­gen dunklen Samtau­gen, de­nen ge­wiss noch kei­ne wi­der­stan­den hat­te.

      »Duschnitz­ki, wenn Sie re­nom­mie­ren, möch­te man Sie prü­geln, so dumm se­hen Sie aus«, sag­te ein an­de­rer. Duschnitz­ki ent­geg­ne­te sanft:

      »Süß! Die lie­be Un­schuld!«

      »Schon wie­der die lie­be Un­schuld«, be­merk­te An­dre­as für sich.

      »Da ist ja Kaf­lisch!« rie­fen die an­de­ren.

      »Kaf­lisch, wis­sen Sie was von ›Ra­che!‹?«

      »Durch!« ant­wor­te­te der Jour­na­list. »Türk­hei­mer hat es durch sei­nen Schwie­ger­sohn in spe beim Po­li­zei­prä­si­den­ten durch­ge­setzt.«

      »Ja, wenn man einen Schwie­ger­sohn im Mi­nis­te­ri­um hat. Hochs­tet­ten ist doch Ge­hei­mer Rat?«

      »Und nicht zu sei­nem Ver­gnü­gen. Vor­läu­fig muss er Türk­hei­mer einen Or­den ver­schaf­fen. Man weiß nicht wel­chen, aber ir­gend­ei­ner soll im Hei­rats­kon­trakt in­be­grif­fen sein. Der Son­nen­or­den von Pu­er­to Vergo­gna tut es nicht mehr. Und dann muss er ›Ra­che!‹ auf­füh­ren las­sen.«

      »Ganz und gar?«

      »Mit lum­pi­gen Än­de­run­gen«, er­klär­te Kaf­lisch. »Der Bar­ri­ka­den­kampf, die Er­mor­dung des Ver­wal­tungs­rats durch die em­pör­ten Pro­le­ta­ri­er, die Aus­peit­schung der Ban­kiers­frau auf of­fe­ner Stra­ße, al­les darf blei­ben. Bloß das biss­chen Kir­chen­schän­dung und die Be­nut­zung der ge­weih­ten Ge­fäße zu un­sau­be­ren Zwe­cken muss weg.«

      »Zu­stand!«

      »Frech­heit!«

      Man rief durch­ein­an­der.

      »Darf man nur uns auf der Büh­ne ver­ge­wal­ti­gen und die Pfaf­fen nicht? Was ha­ben die vor uns vor­aus?«

      »Die Re­li­gi­on ist doch eine Sa­che für sich«, sag­te die schlan­ke jun­ge Frau, die mit Blosch ge­kom­men war. Ei­ner der Her­ren be­merk­te:

      »Die lie­be Un­schuld!«

      An­dre­as wun­der­te sich nicht mehr, dass man ihn selbst mit dem Aus­druck an­re­de­te, da er auch ei­ner Dame an den Kopf ge­wor­fen wur­de. Üb­ri­gens kehr­te das Wort im­mer wie­der. Je­der, der nur zwei Sät­ze sprach, war es sich schul­dig, es zu ge­brau­chen. In­des fühl­te An­dre­as die Ver­pflich­tung, für die jun­ge Frau Par­tei zu neh­men. Auch fürch­te­te er al­bern da­zu­ste­hen, wenn er noch län­ger schwieg.

      »Die gnä­di­ge Frau hat recht«, sag­te er mit Ent­schie­den­heit. »Die Re­li­gi­on muss aus dem Spiel blei­ben.«

      »Kann sein«, mein­te ei­ner zö­gernd, aber Duschnitz­ki er­griff eif­rig die um­schla­gen­de Stim­mung.

      »So ist es. Sie ha­ben recht, gnä­di­ge Frau, und Sie, Herr, Herr –«

      »An­dre­as Zum­see«, sag­te An­dre­as.

      »Schrift­stel­ler«, setz­te Kaf­lisch hin­zu. Duschnitz­ki fuhr fort:

      »Heut­zu­ta­ge, bei den Zu­stän­den kann man al­les ver­ul­ken und mit Fü­ßen tre­ten, die Ehre des Bür­ger­tums –«

      »Und un­ser ruhm­rei­ches Heer!« rief Süß.

      »Die al­ler­höchs­ten Per­so­nen!« mein­te ein an­de­rer.

      »Den Ruf ei­ner Frau!« der nächs­te.

      »So­gar die Bör­se«, schlug lei­se ei­ner vor.

      »Aber den lie­ben Gott!« sag­te Duschnitz­ki nach­drück­lich. »Das geht nicht!«

      »Das muss die Po­li­zei ver­bie­ten!« schrie Süß. »Es er­regt Är­ger­nis!«

      »Und es ist ge­schmack­los«, setz­te Duschnitz­ki ge­ring­schät­zig hin­zu.

      »Stimmt!« ver­setz­te Kaf­lisch un­ter all­ge­mei­nem Bei­fall. »Wir ha­ben das über­wun­den! Man muss schon ’n biss­chen ver­al­ter­ter Wür­den­greis sein wie der große Mann da hin­ten.«

      Die Ge­sell­schaft be­gann zu la­chen. An­dre­as, der den Bli­cken der an­de­ren folg­te, be­merk­te am Ein­gang zum zwei­ten Sa­lon einen lan­gen Greis mit klei­nem, lä­cheln­den Vo­gel­kopf. Ein we­nig Flaum tanz­te auf sei­nem kah­len Schä­del. Er re­de­te em­pha­tisch auf einen großen Kreis von Da­men und Her­ren ein, aus dem er hoch auf­rag­te. An­dre­as er­hasch­te ab­ge­ris­se­ne Wor­te: »Dunkle Ge­stal­ten


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