Im Schlaraffenland. Heinrich Mann

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Im Schlaraffenland - Heinrich Mann


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zu spre­chen. Der jun­ge Mann er­wi­der­te höf­lich:

      »Ge­wiss. Das ist Dok­tor Abell. Er sitzt ne­ben Dok­tor Wa­che­les vom ›Ka­bel‹. Zwei Rei­hen hin­ter den Her­ren se­hen Sie auch Dok­tor Bär von der ›A­bend­zei­tung‹ und Dok­tor Thu­nich­gut von der ›Klei­nen Bör­se‹.«

      Ne­ben ih­nen mach­te man »Pst!«, und der Vor­hang ging auf. An­dre­as sah nichts an­de­res mehr als die Rücken der Kri­ti­ker. Sie nah­men Plät­ze ein, de­nen auch er sich ge­wach­sen fühl­te. Mit san­gui­ni­scher Fan­ta­sie mal­te er sich schon sei­nen Ein­tritt in den Saal aus. Er schritt ge­las­sen, im Ge­fühl sei­ner Unent­behr­lich­keit, auf den ihm re­ser­vier­ten Ses­sel zu. Er lehn­te sich zu­rück, ver­schränk­te die Arme und lausch­te nach­läs­sig mit mil­dem Lä­cheln den Künst­lern, die mehr für ihn als für tau­send an­de­re spra­chen. Ei­ni­ge Zei­len in der Re­dak­ti­on, wo­hin er nach der Vor­stel­lung fuhr, flüch­tig auf das Pa­pier ge­wor­fen, si­cher­ten ihm Macht, Ein­fluss, ein gu­tes Ein­kom­men und eine an­ge­se­he­ne ge­sell­schaft­li­che Stel­lung in Ber­lin. Der Gum­pla­cher Schul­meis­ter durf­te die­se Zu­kunft nicht durch­kreu­zen. Das be­ru­fe­ne Ta­lent brach sich Bahn.

      Um sich selbst in sei­nen Hoff­nun­gen zu be­stär­ken, hät­te er sie gern laut aus­ge­spro­chen. Er sah mehr­mals schnell um sich und schnapp­te vor Er­re­gung nach Luft. Sein Nach­bar, der ihn durch einen schwarzum­ran­de­ten Knei­fer still an­blin­zel­te, sag­te ver­bind­lich:

      »Wir sind wohl Kol­le­gen?«

      An­dre­as stutz­te und be­sann sich.

      »Sie sind auch Schrift­stel­ler?« frag­te er.

      Der an­de­re ver­beug­te sich.

      »Fried­rich Köpf, Schrift­stel­ler.«

      Er sprach mit ge­spitz­ten Lip­pen, als sei es ihm eher pein­lich, dies ein­zu­ge­ste­hen. An­dre­as wur­de im Ge­gen­teil rot vor Ver­gnü­gen, wäh­rend er sich vor­stell­te. Es war das ers­te Mal, dass er sich als Li­te­rat be­zeich­ne­te. Er mein­te sei­ne Lauf­bahn hier­mit in al­ler Form zu be­gin­nen.

      »Ich ma­che al­ler­dings ge­ra­de die ers­ten Schrit­te in mei­nem Be­ruf«, setz­te er hin­zu.

      »Oh, das be­ru­fe­ne Ta­lent bricht sich Bahn«, ver­si­cher­te der jun­ge Mann.

      An­dre­as rich­te­te sich auf und sah ihn dro­hend an; aber er über­zeug­te sich, dass der an­de­re ganz harm­los lä­chel­te. Er ver­setz­te dar­auf:

      »Ich bin bis­her bloß Mit­ar­bei­ter ei­nes Pro­vinz­blat­tes ge­we­sen.«

      »Ah, Sie sind be­reits jour­na­lis­tisch tä­tig?«

      »Ich habe am Feuil­le­ton mit­ge­ar­bei­tet.«

      An­dre­as ver­mied es, das un­be­rühm­te Blätt­chen zu nen­nen, das sei­ne jun­ge Kraft ge­won­nen hat­te, und sein neu­er Be­kann­ter war dis­kret ge­nug, nicht da­nach zu fra­gen. Er sag­te über­haupt nichts mehr, son­dern hör­te voll Teil­nah­me zu, wie An­dre­as die Ge­dich­te zu­sam­men­rech­ne­te, die der »Gum­pla­cher An­zei­ger« ge­bracht hat­te, und von dem er­mu­ti­gen­den Er­fol­ge sei­ner No­vel­le er­zähl­te.

      Das Ge­spräch ward un­ter­bro­chen. Nach Schluss des Ak­tes be­gann An­dre­as wie­der:

      »Aber in Ber­lin bin ich bis­her ganz fremd.«

      »Wirk­lich?« sag­te Köpf zwei­felnd.

      »Ich wür­de mich ja gern hier jour­na­lis­tisch be­tä­ti­gen, aber es ist so schwer, An­schluss zu fin­den.«

      »Oh, was das an­be­langt, man wird über­all mit of­fe­nen Ar­men auf­ge­nom­men.«

      »Wirk­lich?« frag­te An­dre­as sei­ner­seits.

      Merk­wür­dig, er wuss­te nie­mals, was er aus den Wor­ten des Kol­le­gen ma­chen soll­te, ob­wohl al­les, was die­ser sag­te, un­ge­mein gut­mü­tig klang. Köpf schi­en das Miss­trau­en des jun­gen Man­nes zu be­mer­ken und es be­sei­ti­gen zu wol­len. Er ver­setz­te:

      »Ich kann Sie zum Bei­spiel in das ›Café Hur­ra‹ ein­füh­ren, wenn Ih­nen dar­an liegt.«

      »›Café Hur­ra‹?« frag­te An­dre­as.

      »Ei­gent­lich Café Küh­le­mann, Pots­da­mer Stra­ße. Sie tref­fen dort ver­schie­de­ne Mit­ar­bei­ter an­ge­se­he­ner Zei­tun­gen.«

      »Ah!« rief An­dre­as dank­bar und voll Hoff­nung. »Das wäre ja au­ßer­or­dent­lich freund­lich von Ih­nen.«

      »Also kom­men Sie nächs­ten Don­ners­tag. Dann fin­den Sie mich wahr­schein­lich dort.«

      Köpf emp­fahl sich gleich nach be­en­de­ter Vor­stel­lung. An­dre­as such­te, höchst zu­frie­den und den Schlag­ring kamp­fes­mu­tig in der Faust, sei­ne Woh­nung in der Li­ni­en­stra­ße auf. Der Gum­pla­cher Schul­meis­ter lag weit hin­ter ihm, es be­gann ein neu­es Le­ben.

      »Herr …?« frag­te Köpf zö­gernd.

      »An­dre­as Zum­see.«

      Köpf stell­te der Ta­fel­run­de im »Café Hur­ra« den neu­en Kol­le­gen vor. Die­ser ward mit Wär­me auf­ge­nom­men. Der an­ge­se­hens­te der Her­ren ließ ihn an sei­ner Sei­te sit­zen und zog ihn in die Un­ter­hal­tung. Als er den jun­gen Mann nach Stu­di­en und Ab­sich­ten be­fragt hat­te, sag­te Dok­tor Lib­be­now mit ei­nem viel­leicht be­schei­de­nen, viel­leicht auch stol­zen Seuf­zer:

      »Ach ja, ich habe ei­gent­lich seit zehn Jah­ren kein Buch ge­le­sen.«

      Man schi­en dies als eine be­ach­tens­wer­te Leis­tung an­zu­se­hen, und auch An­dre­as emp­fand, er wuss­te nicht warum, Be­wun­de­rung für Dok­tor Lib­be­now.

      Es war die Rede von den miss­li­chen fi­nan­zi­el­len Ver­hält­nis­sen des Schau­spie­ler­paa­res Be­cken­ber­ger. Der Mann war in der Gunst des Pub­li­kums ra­pi­de ge­sun­ken, von sei­nem Di­rek­tor be­kam er nur noch ein Ta­schen­geld, und er ver­schwen­de­te das­je­ni­ge, was sich die Frau in ar­beit­sa­men Näch­ten, gleich­falls ohne Zu­tun des Büh­nen­lei­ters, ver­dien­te. Vor sechs Jah­ren hat­ten sie je­der zehn­tau­send Mark ge­habt.

      »I wo«, sag­te Dok­tor Pohl­atz.

      »Sie glau­ben das doch nicht?« frag­te er An­dre­as.

      Die­ser lä­chel­te ver­bind­lich.

      Pohl­atz er­läu­ter­te:

      »Die Wei­ber be­kom­men näm­lich über­haupt nie was, dar­auf gebe ich Ih­nen mein klei­nes Ehren­wort.«

      »Wa­rum denn nicht?« rie­fen die an­de­ren.

      »Liz­zi Laffé hat noch heu­te ihre zehn­tau­send, und sie geht auf fünf­zig.«

      »Re­den Sie doch kei­ne Ma­ku­la­tur!« ver­setz­te Pohl­atz schroff. »Was Liz­zi hat, hat sie von Türk­hei­mer.«

      Die Na­men, die An­dre­as hör­te, präg­ten sich ihm ein, al­les, was ge­spro­chen wur­de, schi­en ihm be­deu­tend, am be­deu­tends­ten aber Dok­tor Pohl­atz. Er wuss­te al­les, er wi­der­sprach al­len, er kann­te die Ein­nah­men je­des Schau­spie­lers


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