Im Schlaraffenland. Heinrich Mann

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Im Schlaraffenland - Heinrich Mann


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      »Dok­tor Buhl? Dok­tor Reb­bi­ner?«

      Ein Dok­tor nach dem an­de­ren ward im Ka­len­der auf­ge­schla­gen, und kei­ner ver­trug die Stich­pro­be. Nur Dok­tor Lib­be­now ver­schon­te man aus Höf­lich­keit.

      Dass auch Dok­tor Wa­che­les vom »Ka­bel« und der große Abell ih­ren Ti­tel nur der Ge­fäl­lig­keit der Kol­le­gen ver­dank­ten, mach­te auf An­dre­as im­mer­hin Ein­druck, aber ge­wis­ser­ma­ßen brach­te der Um­stand sie ihm mensch­lich nä­her, in­dem er ihn mit ih­rer Grö­ße aus­söhn­te.

      Köpf war be­reits ver­schwun­den, als die an­de­ren auf­bra­chen. Dok­tor Lib­be­now sag­te zu An­dre­as, der sich von ihm ver­ab­schie­de­te:

      »Neh­men Sie sich vor Go­lem in acht; er will Sie an­pum­pen.«

      An­dre­as be­merk­te, wie der di­cke Schä­bi­ge mit dem wol­li­gen, schwar­zen Voll­bart sich ei­lig nach der an­de­ren Sei­te ent­fern­te.

      Zwei Tage spä­ter er­schi­en der jun­ge Mann wie­der im »Café Hur­ra«, und von da an kam er re­gel­mä­ßig. Es schmei­chel­te ihm, sei­ne Aben­de in der Ge­sell­schaft von Mit­ar­bei­tern an­ge­se­he­ner Zei­tun­gen zu ver­brin­gen, und das Ur­teil sei­ner neu­en Freun­de über ihn lau­te­te güns­tig. Wie er ein­mal un­be­merkt in die Tür trat, hör­te er Dok­tor Lib­be­now sa­gen:

      »Der jun­ge Zum­see? Das ist so’n Ben­gel, der Ta­lent zum Glück­ma­chen hat.«

      Er zeig­te ge­ra­de ge­nug Nai­vi­tät, um der Ei­tel­keit der an­de­ren zu schmei­cheln, und ge­ra­de ge­nug Schar­la­ta­nis­mus, um nicht durch Ein­falt zu be­lei­di­gen. Er sag­te: »Och, han ich’n Freud ge­habt«, wenn er froh war, nann­te »Knatsch geck« je­der­mann, der ihm miss­fiel, und nahm es nicht übel, wenn man sei­nen Dia­lekt be­lä­chel­te. Zum Lohn da­für durf­te er Mei­nun­gen, die er nicht ein­mal hat­te, so­gar dem stren­gen Dok­tor Pohl­atz ge­gen­über ver­tre­ten. Ein­mal ließ er es sich ein­fal­len, den So­zia­lis­mus, der ihm durch­aus gleich­gül­tig war, nur dar­um her­aus­zu­strei­chen, weil er dies für et­was Be­son­de­res hielt. Er irr­te sich, aber Pohl­atz, der je­den an­de­ren un­sanft zu­recht­ge­wie­sen hät­te, be­gnüg­te sich da­mit, ihm zu er­wi­dern:

      »Das ver­ste­hen Sie nicht, jun­ger Mann, das ver­ste­he ich ja kaum, und ich habe stu­diert.«

      Bei die­ser Ge­le­gen­heit er­fuhr An­dre­as den Grund, wes­halb das »Café Hur­ra« die­sen Na­men führ­te. Die Her­ren von der Ta­fel­run­de hat­ten frü­her staats­um­wäl­zen­den Grund­sät­zen ge­hul­digt, bis im März 1890 sich die So­zi­al­de­mo­kra­tie als nicht mehr zeit­ge­mäß her­aus­stell­te. Da­mals hat­ten alle ei­nem Be­dürf­nis der Epo­che nach­ge­ge­ben, sie wa­ren ih­ren frei­sin­ni­gen Prin­zi­pa­len ein Stück­chen We­ges nach rechts ge­folgt und be­kann­ten sich seit­her zum Re­gie­rungs­li­be­ra­lis­mus und Hur­ra­pa­trio­tis­mus. Der Name des Lo­kals be­wahr­te die Erin­ne­rung an die­se Evo­lu­ti­on.

      An­dre­as be­weg­te sich den gan­zen Som­mer in die­sem Krei­se, voll des hei­te­ren Be­wusst­seins, nun­mehr der Ber­li­ner Li­te­ra­tur­welt an­zu­ge­hö­ren. Seit­dem er sein Stu­di­um auf­ge­ge­ben hat­te, war­te­te er die Er­eig­nis­se ab, um eine neue Ar­beit zu be­gin­nen. Bei sei­nen jet­zi­gen Ver­bin­dun­gen konn­te es ihm auf die Dau­er gar nicht feh­len. In Ver­tre­tung des di­cken Go­lem, der un­mä­ßig faul war, hat­te er be­reits mehr­mals im Ge­richts­saal als Be­richt­er­stat­ter fun­giert. Wenn er spät abends nach dem Ge­nus­se von zwei Tas­sen schwar­zen Kaf­fee und zwei Ko­gnaks heim­ging, blick­te er in eine glän­zen­de Zu­kunft ge­ra­de hin­ein. Frü­her hat­te er »geochst«, ohne an et­was zu den­ken, jetzt tat er nichts und war da­bei von ho­hem Ehr­geiz be­seelt.

      Wohl blie­ben auch trübe­re, we­ni­ger zu­ver­sicht­li­che Stun­den nicht aus. An­dre­as konn­te manch­mal ein Ge­fühl der Lee­re nicht ver­leug­nen, wenn er den Tisch ver­ließ, an dem von zehn bis zwölf Schau­spiel­er­ge­häl­tern und schlecht zah­len­den Ver­le­gern ge­spro­chen wor­den war. Go­lem ver­schwand ein­mal auf acht Tage, und bei sei­ner Rück­kehr er­zähl­te er den er­staun­ten Kol­le­gen, dass er sein ers­tes Feuil­le­ton ge­schrie­ben habe. Seit zehn Jah­ren mach­te er nur Ge­richts­be­rich­te, jetzt aber hat­te ihn sei­ne Zei­tung nach Bay­reuth ge­schickt. Dies hat­te nichts Auf­fäl­li­ges an sich, über Wa­gner schrieb nach­ge­ra­de je­der. Aber An­dre­as mein­te, im »Gum­pla­cher An­zei­ger« zu­wei­len we­ni­ger schlech­te Ar­ti­kel ge­le­sen zu ha­ben.

      Die­ser Go­lem er­füll­te ihn über­haupt mit Be­sorg­nis. Dok­tor Lib­be­nows Voraus­sicht, dass der Di­cke ihn an­pum­pen wer­de, war nicht un­er­füllt ge­blie­ben, und An­dre­as wag­te bis­her kei­ne ab­schlä­gi­ge Ant­wort zu ge­ben. Er fürch­te­te noch zu sehr, das Wohl­wol­len der Kol­le­gen zu ver­scher­zen. Vi­el­leicht war er nicht kräf­tig ge­nug der öf­fent­li­chen Mei­nung ent­ge­gen­ge­tre­ten, die ihn für einen be­gü­ter­ten Di­let­tan­ten zu hal­ten schi­en. Vor­läu­fig er­hielt nun Go­lem bald fünf und bald zehn Mark. Und in letz­ter Zeit ging der Un­glück­li­che, den der Ge­richts­voll­zie­her über­all­hin ver­folg­te, mit dem Pla­ne um, ein Zim­mer zu be­zie­hen, das in An­dre­as’ Woh­nung frei­stand.

      Auch in an­de­rer Be­zie­hung stell­te sich das neue Le­ben als kost­spie­li­ger her­aus, als An­dre­as vor­aus­ge­se­hen hat­te. Die Ge­sell­schaft aus dem »Café Hur­ra« speis­te häu­fig zu­sam­men zu Abend, hier und da ließ sich je­mand, der sei­ne Bör­se ver­ges­sen hat­te, von dem jun­gen Freun­de be­wir­ten. Im Thea­ter wäre An­dre­as jetzt um kei­nen Preis mehr auf die Ga­le­rie ge­gan­gen. Aber alle die­se Ver­pflich­tun­gen, die ihm sei­ne ge­sell­schaft­li­che Stel­lung auf­er­leg­te, über­stie­gen die Kräf­te ei­nes ar­men Stu­den­ten­wech­sels. So kam es, dass An­dre­as sich um die Mit­te des Mo­nats ge­wöhn­lich in ein ve­ge­ta­ri­sches Re­stau­rant schlich. Ei­ni­ge Tage spä­ter bil­de­te dann der schwar­ze Kaf­fee sein haupt­säch­li­ches Er­näh­rungs­mit­tel. Das Mit­ta­ges­sen muss­te nur zu häu­fig, wie Pohl­atz sich aus­drück­te, durch stram­me Hal­tung er­setzt wer­den.

      An­dre­as schul­de­te seit ge­rau­mer Zeit die Zim­mer­mie­te, und es war ein Glück für ihn, dass es auch mit der Ent­loh­nung der Wä­sche­rin nicht eil­te. Er hat­te Kre­dit er­langt da­durch, dass das jun­ge Mäd­chen, das ihm sei­ne fri­schen Hem­den brach­te, sich durch sei­ne Lie­be be­ste­chen ließ. Sie bat nur um Frei­bil­letts für das Thea­ter, die ein Schrift­stel­ler wie An­dre­as ihr doch wohl ver­schaf­fen kön­ne. An­dre­as er­klär­te, dass nichts leich­ter sei, aber Lib­be­now so­wohl wie Go­lem, der ihm doch viel­fach ver­pflich­tet war, ver­trös­te­ten ihn. Als nach vier­zehn Ta­gen noch kei­ne Frei­kar­te zur Stel­le war, ver­ließ ihn die jun­ge Wä­sche­rin mit dem Aus­druck ih­rer Ge­ring­schät­zung und nicht, ohne die Rech­nung auf sei­nen Tisch zu le­gen.

      Im Ok­to­ber mach­te An­dre­as, ent­ge­gen sei­ner Ge­wohn­heit, ein­sa­me Spa­zier­gän­ge im Tier­gar­ten, wo die Blät­ter fie­len. Das »Café Hur­ra« ver­nach­läs­sig­te er. Moch­ten sie doch mer­ken, dass er sie ver­ach­te­te! Denn nach­ge­ra­de fühl­te er sich hier­zu ver­sucht. Wa­ren sie denn ei­gent­lich ein wür­di­ger Ver­kehr für ihn, die­se Leu­te, die meis­tens nicht ein­mal rich­tig Deutsch schrie­ben – so­weit sie über­haupt et­was schrie­ben. Es ward ihm im­mer kla­rer:


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