Trust me - Blindes Vertrauen. Moni Kaspers

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Trust me - Blindes Vertrauen - Moni Kaspers


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Schultern …“

      „Jaja. Ich meine sein Gesicht.“

      „Sehr attraktiv, würde ich behaupten. Kurze dunkle Haare, aber einen langen Schopf, der ihm in die Stirn fällt, männliche Züge, schöne Lippen …“

      „Du verstehst nicht. Ich möchte wissen, wie seine Mimik war, der Ausdruck seiner Augen, sein Lächeln, seine Ausstrahlung.“

      „Also gut. Er wirkte zurückhaltend, beinah schüchtern. Kaum zu glauben bei der attraktiven Erscheinung. Er hat übrigens sehr oft zu dir rüber gesehen. Wenn er lächelt, zieht er dabei nur einen Mundwinkel leicht nach oben und es bilden sich kleine Fältchen um seinen Mund. Außerdem hat er wirklich schöne Zähne. Seine Augen sind braun oder grün, konnte ich nicht genau erkennen, aber mit ungewöhnlich dichten Wimpern und eine lange rote Narbe zieht sich von seiner Schläfe hinunter bis zur Wange. Vielleicht hatte er mal einen Unfall.“

      „Schade, dass wir ihn nicht mehr wiedersehen.“

      „Ja, schade. Er war wirklich nett.“

      Kapitel 2

      Dunkles Herz in großer Not.

      Jeden Tag der Schatten droht.

      Deine Seele ist so blind,

      sie keine Liebe in sich find‘.

      Und du mehr und mehr erkennst,

      dass du in den Abgrund rennst.

      Knapp neunhundert Meilen lagen zwischen Tillamook und Bakersfield. Eine Strecke, die er sonst in sich versunken hinter sich brachte. Er fuhr meist vor sich hin, hörte Musik, bis er sie nicht mehr hörte, weil sie irgendwann in seinen Ohren mit den Fahrgeräuschen und seinen Gedanken verschwamm. Bis er nicht mehr sagen konnte, wie weit er gefahren war, was er gedacht hatte, oder welches Lied sie gespielt hatten. Stumm hatte er bislang seine Linien quer durch die Staaten gezogen, mal hier, mal dort, meist Nirgendwo. Heute aber hatte er jede Menge nachzudenken und es trübte seine Stimmung, dass das schöne, seltsame Gefühl, das er erstmals oben auf den Klippen empfunden hatte, schwächer und schwächer wurde, je mehr Strecke zwischen ihm und Tillamook lag. Er hätte es gerne länger festgehalten. Dasselbe Gefühl, als er diese Frau zum ersten Mal gesehen hatte. Er spulte immer wieder ihr Bild vor sein inneres Auge, um es zu festigen und nicht mehr zu verlieren.

       Ihre kurzen strohblonden Haare, mit noch helleren Strähnchen passten so ganz wunderbar zu ihrer leicht gebräunten Haut. Ihre schlanke Figur fand seine Bewunderung, ihre langen Beine hatten ihn kurz den Atem anhalten lassen und er war voller Respekt darüber, wie sicher sie sich trotz ihrer Erblindung bewegte. Warum auch immer, aber zuerst hatte er gedacht, es wäre ein abgekartetes Spiel und sie wollten ihn hereinlegen. Dass sie ihm die Blindheit nur vorspielte, vielleicht, um daraus Kapital zu schlagen. Heutzutage war alles möglich und er traute niemandem. Immer wieder hatte er verstohlen in ihre bernsteinfarbenen Augen gesehen, weil es ihm so unmöglich schien, dass sie ihn nicht sah. Er hatte noch nie Kontakt mit einem blinden Menschen gehabt und er musste zugeben, dass er völlig befangen gewesen war. Es war ein seltsames Gefühl, jemandem gegenüber zu stehen, dem es offensichtlich völlig egal war, wie man aussah. Ob man modische Klamotten trug, ob man die neueste Frisur hatte, ob man ausgeschlafen war oder einem ein Pickel auf dem Kinn wuchs. Selbst seine Narbe wäre ihr egal. Seltsam, und so schrecklich es klingen mochte, aber ihm hatte das gefallen. Er hätte nicht den Gockel herauskehren müssen, um sie zu beeindrucken, wenn er denn gewollt hätte. Es wirkte beruhigend auf sein Inneres, auch wenn es einen leichten Beigeschmack hatte, in dieser Form über ihr Handicap nachzudenken.

      Je mehr Meilen sich zwischen sie und ihn schoben, desto mehr bemühte er sich, auch gedanklich Abstand zu ihr zu gewinnen. Er hatte noch nie so viel über eine Frau nachgedacht und das sollte auch so bleiben. Sie hatte ihn wahrscheinlich nur so sehr beschäftigt, weil sie blind war. Wäre sie wie alle anderen, hätte er sie nicht weiter beachtet. Obwohl sie auffallend hübsch war. Sehr hübsch.

      Mittlerweile fielen ihm beinahe die Augen zu, während Twister auf seiner Decke im Fußraum lag und vor sich hin schnarchte. Es war wohl die bessere Idee, in dieser Nacht ausnahmsweise ein Motel anzusteuern, damit er am nächsten Tag ausgeruht und geduscht vor seinen neuen Arbeitgeber treten konnte, um den Vertrag zu unterschreiben. Ansonsten hatten er und Twister bereits so viele Nächte im Wagen hinter sich, dass er sie nicht mehr zählen konnte. Obwohl sie auch nicht schlechter geschlafen hatten, als in durchgelegenen Motel Matratzen, in denen sich die Wanzen tummelten.

      Er hatte Glück. Nach einigen Meilen durch schier unendlich anmutendes Waldgebiet verhieß ein Leuchtschild eine nächtliche Unterkunft. Er folgte den Hinweisschildern und fuhr auf den Parkplatz.

      Das Motel wirkte freundlich, nicht so heruntergekommen wie die meisten dieser Kette. Wenige Augenblicke später besaß er einen Zimmerschlüssel und hatte das letzte Sandwich aus einem Automaten ergattern können. Twister stellte glücklicherweise kein Problem dar, um ein Zimmer zu mieten, und selbst wenn, dann hätte er sicher gerne im Auto übernachtet.

      Das Zimmer war nichts Besonderes, aber sauber. Das meiste Gepäck ließ er im Wagen und nahm nur das Nötigste zum Wechseln mit. Die Müdigkeit machte ihn so mürbe, dass er das Duschen verschob, sein Sandwich aß und ins Bett fiel. Twister rollte sich auf der kleinen Matte vor der Tür ein und Leon hätte schwören können, dass er sich genau dort hinlegen würde. Er löschte das Licht, doch statt, dass ihn bleierne Müdigkeit sanft ins Land der Träume schickte, war er plötzlich hellwach. Das Rauschen des wilden Ozeans drang zurück in seine Erinnerung, die Klippen und der Blick über den weiten Pazifik, der Geruch des salzigen Wassers. Dabei musste er an die Käsefabrik denken und an die schreckliche Politesse und - natürlich, er dachte wieder an Eywa. Verflucht, gab es denn wirklich nichts anderes mehr, an das er denken konnte? Er drehte sich verärgert auf die Seite und schlief dann endlich ein.

      Nach einer unruhigen Nacht, in der ihn wirre Träume oft aufwachen ließen, fühlte er sich am Morgen wie gerädert. Er machte sich nicht die Mühe, sich an die Träume erinnern zu wollen. Es waren meist Albträume und die waren eine der Begleiterscheinungen seit … Leon ballte die Faust. Verflucht, er wollte nicht in diese Erinnerungen fallen. Er sprang auf und ging schnell unter die Dusche. Das Wasser belebte und vertrieb den Schwachsinn in seinem Kopf. Es blieb noch genug Zeit für ein Frühstück, bevor er seinem neuen Arbeitgeber gegenübertrat. Der Job würde sicher nicht einfach. Körperliche Fitness und der Wille, hart zu arbeiten, waren die Voraussetzungen und das war genau sein Ding. Schmerzen. Der ganze Körper musste sich anfühlen, wie durch den Fleischwolf gedreht. Lahme Muskeln und abends so müde zu sein, dass man kaum mehr in der Lage war, ins Bett zu kriechen. Nur dann hatte das Gehirn nicht mehr genug Strom, um selbstständig denken zu können, weil es ihn sonst immer wieder in Abgründe manövrierte, in die er dann hilflos hineinstürzte.

      Er packte seine Sachen zusammen und nachdem er bezahlt hatte, gab er die Adresse der Ölfirma in sein Navigationssystem ein. In ein paar Stunden würde er seinen nächsten Vertrag unterschreiben. Mit ein wenig Optimismus könnte es diesmal ein Job sein, in dem er länger bleiben würde, denn meist war schon während der Probezeit Schluss. Wenn die Kollegen vertraulicher wurden und von privaten Problemen mit Frau und Kindern erzählten. Wenn er zu Grillpartys und Geburtstagen eingeladen wurde. Wenn man Telefonnummern austauschen und sich zum Bowling treffen wollte, dann war für ihn der Zeitpunkt, an dem er sein Bündel schnürte und schnell das Weite suchte. Er konnte diese Annäherungen nur schlecht ertragen, denn das bedeutete, dass sie auch von ihm alles wissen wollten. Es war überhaupt verwunderlich, warum Männer ständig diese Verbrüderung suchten. Am besten noch, wenn sie sich zuerst spinnefeind waren, um dann, durch welche Umstände auch immer, mit kräftigen Schulterklopfern und überschwappenden Bierkrügen in die brüderlichen Arme fielen. Man fand dieses Phänomen in allen Schichten. Wo immer sie geballt aufeinandertrafen, dürsteten sie nach wahren Männerfreundschaften.

      Ihn nervte dieses Verhalten. Er hatte keinerlei Interesse an diesen gesellschaftlichen Spielchen. Als er in der Army diente, waren die anderen Soldaten regelrecht süchtig nach tiefen Freundschaften und dieser ständige Gruppenzwang. Einer für alle, alle für einen. Semper Fi – Ewig treu! Am besten noch tätowiert auf den Unterarm.


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