Trust me - Blindes Vertrauen. Moni Kaspers

Читать онлайн книгу.

Trust me - Blindes Vertrauen - Moni Kaspers


Скачать книгу
in die richtige Richtung. Sie tastete mit den Fingerspitzen über ihre Wangen, spürte die Wärme und es fühlte sich an, als könnte sie so die Sonnenstrahlen berühren. Der Duft der Kornfelder drang durch das geöffnete Fenster in ihre Nase und als sie die Hand hob, spürte sie den leichten Wind, der den Vorhang sanft bewegte.

      Eywa liebte ihren Onkel Mike und ihre Tante Tessa dafür, dass sie ihr ein Leben auf ihrer Ranch ermöglichten. Nirgends fühlte sie sich wohler und besser aufgehoben als hier, im Kreise der Menschen, die sie akzeptierten, wie sie war. Sie besaß diese kleine Hütte, etwas abseits vom Haupthaus, in der auch ihr Pianino stand. So konnte sie niemanden mit ihren Übungen nerven und spielen, wann immer ihr danach war. Wohlig streckte sie ihre Glieder und atmete tief ein. Der Sommer war einfach herrlich, er duftete himmlisch nach Getreide, Heu und Wildblumen. Wenn nur die Verpflichtungen im Leben nicht wären, dann würde sie noch Stunden unter dem Fenster in der Sonne liegen und den leichten Wind genießen.

      Sie gab sich einen Ruck und setzte sich auf, doch so ganz war ihr Körper noch nicht mit ihrer Motivation im Einklang. Eywa musste herzlich gähnen und war nahe dran, sich rückwärts wieder ins Kissen fallen zu lassen. Ihr Pflichtgefühl und vor allem ihre knappe Kasse verhinderten das verlockende Vorhaben, also stand sie auf und ging unter die Dusche. Innerhalb der Wohnung verzichtete sie auf ihren Stock, auch wenn sie dann und wann noch immer gegen die Tischkante lief, oder sich den Zeh stieß. Das verbuchte sie unter Trottelei und war sich sicher, auch sehende Menschen waren ab und an mal trottelig. In ihrem Leben musste leider alles seine Ordnung haben. Wenn die Dinge nicht immer genau dort waren, wo sie hingehörten, fand sie sie nur schwer, oder gar nicht wieder. Vor allem ihre Schlüssel! Die waren offenbar prädestiniert dafür, verlegt zu werden. Darum hatte ihrer einen Anhänger und wenn sie pfiff, antwortete er.

      In einer knappen Stunde hatte sie die erste Klavierstunde mit einer neuen jungen Schülerin und sie freute sich sehr darauf. Es würde ihre Haushaltskasse ein wenig aufbessern. Mutter und Töchterchen hatten sie aufgesucht und so, wie Eywa heraushören konnte, war Misses Coffman von dem musikalischen Talent ihrer Jüngsten überzeugt. Das Mädchen dagegen hatte kaum ein Wort gesprochen, darum würde sie heute zunächst versuchen mit kleinen und lustigen Spielchen das Eis zu brechen. Meist verhielten Kinder sich lockerer, sobald die Eltern nicht mehr anwesend waren und dann würde sie herausfinden, ob das musikalische Talent tatsächlich vorhanden, oder der Ehrgeiz der Eltern größer war.

      Gerade als sie sich abtrocknete, läutete das Telefon.

      „Eywa Green“, meldete sie sich.

      „Hier spricht Misses Coffman.“

      Nanu, dachte Eywa und hörte am Klang heraus, dass sie etwas bedrückte.

      „Hallo Misses Coffman, gibt es ein Problem?“

      „Nun ja“, druckste sie herum. „Ich muss die Stunde leider absagen.“

      Ein Ziehen ging durch Eywas Magengegend. Nicht schon wieder!

      „Fühlt sich Harriet nicht wohl? Ist sie krank?“ Eywa kannte die Antwort längst. Sie war allerdings gespannt darauf, ob Misses Coffman ehrlich genug war.

      „Vielleicht ist Klavierspielen doch nichts für sie. Ich werde selbstverständlich für den Ausfall aufkommen.“

      „Sparen Sie Ihr Geld, wenn Sie mir dafür den wahren Grund nennen.“

      Die Frau räusperte sich. „Es ist mir äußerst unangenehm, aber Harriet hat Angst vor Ihnen. Bitte seien Sie nicht böse, sie ist ja noch ein Kind.“

      „Sie hat Angst?“

      „Sie hat gefragt, ob das ansteckend sei und sie auch blind werden würde. Oh Gott, Miss Green, es tut mir so leid, aber Sie wollten es wissen.“

      Das war mal eine ganz neue Variante. Sie hatte ja bereits einiges erlebt, aber das toppte definitiv alles.

      „Machen Sie sich nichts daraus. Ich verstehe das.“

      „Was soll ich tun? Sie hat angefangen zu weinen und sagte, Sie hätten immer an ihr vorbeigesehen, das fand sie unheimlich.“

      Eywa beendete höflich das Gespräch, nachdem sie versichert hatte, dass es ihr rein gar nichts ausmachte.

      „Es sind halt Kinder“, hatte Misses Coffman noch entschuldigend hinzugefügt.

      „Ja, es sind halt Kinder“, hatte sie so gefasst wie möglich wiederholt, doch es waren die Eltern, die ihren Kindern beibringen mussten, dass Menschen mit Handicap keine Aussätzigen mit ansteckenden Krankheiten waren. Es lag an den Eltern, ihnen vorzuleben, wie man miteinander umging. Erst jetzt bemerkte sie, dass sich ihre Hand derart in ihr Handtuch verkrampft hatte, dass sie ihre Faust nur unter Schmerzen wieder öffnen konnte.

      Sie setzte sich auf den Toilettendeckel und brauchte eine ganze Weile, um das zu verdauen. Ansteckend! Sie atmete tief durch und beschloss, sich davon nicht den Tag verderben zu lassen. Eywa wuschelte mit dem Handtuch durch ihre Haare, nahm ihr Farberkennungsgerät, das immer neben dem Schrank auf dem Regal lag, und suchte ihre Kleidung aus. Nach diesem Schlag in die Magengrube konnte nur ein Ausritt helfen. Auf einem Pferderücken durch die Gegend zu reiten, machte Kopf und Seele wieder frei. Sie nahm Jeans und Stiefel aus dem Schrank, zog sie über, nahm ihren Blindenstock und ging hinüber zum Stall. Dort begegnete sie Benny, der sie wie immer höflich begrüßte. Er war einer der Jugendlichen, die schon früh auf sich selbst gestellt, mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Auf der Ranch ihres Onkels bekamen diese Kinder vom Gericht eine zweite Chance. Sie mussten sich bewähren und lernten Verantwortung zu übernehmen. Auf der Ranch spürten sie die Obhut einer Gemeinschaft, lernten für sich und andere einzustehen, übernahmen Pflichten und bekamen Grenzen aufgezeigt. Das war nicht immer einfach, oft gab es Rückschläge, doch die Arbeit ihres Onkels verdiente höchsten Respekt. Für ihn waren diese jungen Menschen ein Produkt einer kranken Gesellschaft und „Einer muss ihnen verdammt nochmal helfen“, pflegte er zu sagen. Dafür liebte Eywa ihn umso mehr.

      Sie wechselte ein paar Worte mit Benny und er half ihr, ihre Stute zu satteln. Da der Junge sie hinausführte, konnte sie bereits im Stall aufsitzen. Wenn sie allein war, konnte sie nur auf der umzäunten Weide reiten, aber die war riesig und es dauerte eine kleine Ewigkeit, sie zu umrunden. Ihr Onkel hatte Cinnamon mit Hilfe eines Freundes zu einem Behindertenpferd ausgebildet. Die Stute kannte ihre Aufgaben und lief stets brav entlang des Zauns, bis sie wieder am Tor angekommen waren. Dort blieb sie stehen und schnaubte sogar manchmal kurz. Dieses wunderbare Pferd gab Eywa für ein paar Momente das Gefühl zurück, ganz normal zu sein. Sich tragen lassen, das sanfte Schaukeln genießen, eins zu sein mit dem Lebewesen unter ihr und der Natur. Da fühlte sie sich schon nach wenigen Minuten um vieles besser. Alle Harriets und Misses Coffmans der Welt konnten sie mal gern haben.

      Als die Stute sich kurz schüttelte und Eywa zur Sicherheit nach dem Sattelhorn griff, um nicht herunterzufallen, fuhr ein Stich durch ihr lädiertes Handgelenk. Sie umfasste es mit der anderen Hand und ertastete, dass es sogar noch ein wenig geschwollen war. Sie dachte an diesen jungen Mann, der so nett geklungen hatte. Seine Stimme war ihr unter die Haut gegangen. So sanft und leise. Seine Worte waren mit Bedacht gewählt gewesen, nicht einfach laut hinausposaunt. Er hatte eine wohltuende Ruhe verströmt und selbstbewusst gewirkt. Offenbar kein typischer Draufgänger, wie die meisten Männer, die ihr aus Tillamook bekannt waren. Sie hatte Empfindungen für ihn gehabt, die sie nicht erklären konnte. Er hatte eine ganz spezielle Wirkung und etwas Besonderes ausgestrahlt. Das hatte sie noch nie in dieser Intensität gespürt.

      July hatte gut reden, wenn sie sagte, dass sie sich endlich verlieben sollte. Eywa hatte nicht die Möglichkeit, jemanden umwerfend zu finden, weil er so hinreißende Augen, eine tolle Figur oder schöne Haare hatte. All die visuellen Eindrücke, durch die sich Menschen ineinander verliebten, fehlten ihr. Es musste sich schon jemand intensiver mit ihr befassen, sie ansprechen, sich ernsthaft für sie interessieren. Doch das tat leider niemand. Die meisten scheuten sich, mit ihr zu reden oder gar mit ihr zu flirten und es war ihnen nicht zu verdenken. Niemand wollte eine blinde Frau. Vielleicht dachten die Männer, es wäre eine zu große Belastung, dabei kam sie sehr gut damit klar. Allerdings war Tillamook auch nicht unbedingt mit Junggesellen im heiratsfähigen Alter


Скачать книгу