Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter
Читать онлайн книгу.sechs Wochen gleich nach dem Tod ihres Onkels war sie von Bremen nach Bergmoosbach gezogen. Eine eigene Imkerei in dieser wundervollen Landschaft, das war immer ihr Traum gewesen. Für ihren Onkel war der Erlös, den er mit dem Verkauf des Honigs erzielte, nur ein Zubrot zu seiner Rente, wenn sie von der Imkerei leben wollte, musste sie noch einiges dafür tun, weitere Bienenvölker anschaffen, und vielleicht irgendwann ein Café eröffnen und mit Honig gebackenen Kuchen anbieten. Das hatten sogar schon einige Kundinnen aus dem Dorf angeregt, und sie hatte ihnen versichert, darüber nachzudenken.
»Ja?« Sie drehte sich erschrocken um, als es am Gartentor klingelte.
Susanne war es gewohnt, dass die Bergmoosbacher zu ungewöhnlichen Zeiten ihre Imkerei besuchten und sich mit Honig eindeckten, aber so früh hatte noch niemand vor ihrer Tür gestanden.
»Guten Morgen, was kann ich für Sie tun?!«, rief sie und begutachtete den jungen Mann, der seine Augen hinter einer Sonnenbrille verbarg.
Er hatte dunkles leicht gewelltes Haar, trug Jeans und ein helles Jackett und schien ein wenig unruhig, so als hätte er es eilig.
»Verzeihen Sie die frühe Störung, aber wären Sie so nett und würden mir 50 kg Honig verkaufen?«, fragte er.
»100 Gläser?«, entgegnete sie verblüfft.
»Bezogen auf 500-Gramm-Gläser ist das korrekt.«
»Kommen Sie herein.« Dieses Geschäft würde sie sich nicht entgehen lassen.
»Soll ich nicht noch einen Augenblick warten?« Er wandte den Kopf höflich zur Seite, während er das Gartentor aufschob.
»Warum? Oh!«, rief sie und hielt sich verlegen die Hand vor den Mund, als ihr klar wurde, was er meinte, stand sie doch in ihrem Nachthemd vor ihm, dessen schmale Träger über ihre Schultern gerutscht waren. »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie und lief ins Haus.
Als sie in Jeans und T-Shirt wieder zu ihm hinausging, stand er neben der Veranda und beobachtete die Bienen, die ihre Stöcke verließen, um nach Nektar zu suchen und die Luft mit ihrem Summen erfüllten.
»Sind sie Ihnen unangenehm?«, fragte Susanne.
»Unangenehm? Wer?«
»Die Bienen.«
»Nein, sie sind mir nicht unangenehm. Im Gegenteil, ich bewundere ihre Ausdauer und ihren Fleiß.«
»Mir imponiert am meisten ihr Zusammenhalt, wie sie durch ihr aufeinander abgestimmtes Verhalten ihr Volk am Leben erhalten.«
»Mir gefällt, wie konsequent sie ihre Königin beschützen.«
»Wir laden die Honiggläser am besten auf den Leiterwagen, um sie zu ihrem Auto zu bringen«, wechselte sie schnell das Thema, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, dass er sie durch seine Sonnenbrille hindurch gerade ebenso genau beobachtete wie zuvor die Bienen. »Sie sind doch mit dem Auto hier?«
»Ja, das bin ich.« Er zog den Leiterwagen, der auf der Wiese stand, vor die Tür der Imkerei, nachdem Susanne hineingegangen war, und nahm die Gläser mit dem Honig entgegen, die sie ihm reichte.
Nachdem sie alle eingeladen waren, bezahlte er in bar. »Der Kassenbon genügt«, sagte er, als Susanne ihm eine Rechnung ausstellen wollte. »Sie müssen auch nicht mit zu meinem Auto kommen, ich lade die Gläser schnell ein und bringe Ihnen den Wagen zurück«, sagte er, als Susanne ihn begleiten wollte.
»Ich helfe Ihnen gern«, versicherte sie ihm und versuchte, einen Blick auf seine Augen zu werfen. Aber die Sonnenbrille ließ es nicht zu.
»Ich mache das schon.«
»In Ordnung.« Wenn er keine Hilfe wollte, dann sollte sie sich auch nicht aufdrängen. Merkwürdig, warum parkt er so weit entfernt von der Imkerei?, dachte sie, als er mit dem Leiterwagen hinter der nächsten Kurve verschwand.
»Vielen Dank, dass Sie mich bedient haben, und verzeihen Sie noch einmal die frühe Störung. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag«, verabschiedete er sich, als er ihr den Wagen wenig später zurückbrachte.
Schade, ich hätte zu gern mehr von seinem Gesicht gesehen, dachte Susanne und schaute ihm nach, wie er erneut hinter der Kurve verschwand. Gleich darauf hörte sie den Motor eines Autos, das ins Dorf hinunterfuhr.
*
Anna Bergmann war an diesem sonnigen Morgen schon früh unterwegs. Susanne hatte sie zum Frühstück eingeladen, weil sie etwas mit ihr besprechen wollte. Auf ihrem pinkfarbenen Fahrrad, mit dem rosa Helm auf dem Kopf, unter dem ihre braunen Locken hervorquollen, fuhr Anna den Weg zur Imkerei hinauf und schaute auf die Gipfel der Allgäuer Berge, die sich gegen den blauen Himmel streckten. Vor drei Jahren hatte sie sich als Hebamme in Bergmoosbach niedergelassen und konnte sich gar nicht mehr vorstellen, wie sie es so lange in der Stadt hatte aushalten können. Ihr war es wie Susanne ergangen, auch sie hatte sich gleich in diese Landschaft verliebt. Die junge Imkerin war ihr von Anfang an sympathisch, und sie hatten sich schnell miteinander angefreundet.
Als der Weg sich nach rechts wandte und sie auf das Dorf mit seinen Seen und der Barockkirche hinunterschaute, wanderte ihr Blick zu dem Haus mit den hellgrünen Fensterläden und den mit gelben Blumen geschmückten Balkonkästen, das sich auf einem Hügel am Ortsrand erhob. Das Haus der Seefelds, in dem Sebastian Seefeld, der vor kurzem die Landarztpraxis seines Vaters übernommen hatte, zusammen mit seiner Tochter Emilia, seinem Vater Benedikt und Traudel, der guten Seele des Hauses, wohnte. Mit einem Ruck wandte sie ihren Blick wieder nach vorn und schaute auf das hell verputzte Haus, das zwischen einer Reihe Tannen hervorlugte. Noch einmal machte der Weg einen weiten Bogen, dann stand sie vor der Rosenhecke, die das Grundstück mit der Imkerei einfasste.
»Guten Morgen, Susanne!«, begrüßte Anna die Freundin, die nun ein weißes Kleid trug, einen hellen Strohhut auf dem Kopf hatte und eine Honigwabe aus einem der Holzkästen zog, die ihre Bienenvölker bewohnten.
Susanne nickte nur kurz, während sie die Bienen mit einer Feder vorsichtig von der Wabe fegte, bevor sie sie in eine leere Kiste stellte und danach die nächste Wabe aus dem Bienenstock herausnahm.
Anna wartete, bis sie alle vier Waben aus dem Bienenstock genommen hatte und ihn wieder verschloss, erst dann ging sie zu ihr. »Es ist schön, dir zuzusehen, du musst diese Arbeit wirklich lieben«, sagte sie.
»Ja, schon, aber leider kann ich von den Bienen allein nicht leben. Ich brauche dringend einen Job, damit ich über die Runden komme und mir ein kleines Polster ansparen kann, um die Imkerei zu vergrößern. Die Renovierung des Hauses hat mehr Geld verschlungen, als ich zuerst gedacht hatte.«
»Aber du bereust deine Entscheidung nicht, in Bergmoosbach bleiben zu wollen.«
»Nein, auf keinen Fall, und mein Honig scheint offensichtlich auch schon sehr beliebt zu sein. Ich habe heute bereits 50 kg verkauft, an einen einzigen Kunden«, sagte Susanne und erzählte Anna von ihrem seltsamen Besucher.
»Für mich klingt das, als wollte er nicht erkannt werden«, stellte Anna nachdenklich fest.
»Ja, vielleicht, aber ich hätte ihn auch ohne Sonnenbrille nicht erkannt. Ich bin ganz sicher, dass ich ihn vorher noch nie gesehen habe.«
»Was machst du denn hier, Emilia? Die Schule hat doch gerade erst angefangen, und ihr habt schon wieder frei?«, fragte Anna erstaunt und schaute auf das große schlanke Mädchen, das auf einmal in der Tür zur Imkerei stand. Es trug eine helle Latzhose und grüne Gummistiefel und hatte das kastanienfarbene Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden.
»Wir starten mit einer Projektwoche in das neue Schuljahr, das ist schon so etwas wie schulfrei und gefällt mir ganz gut«, antwortete Emilia lächelnd. »Dieses Mal geht es um die heimische Natur als Lebensmittellieferant. Ich habe das Thema Honig gewählt.«
»Sie ist erst seit gestern bei mir und ist mir schon eine echte Hilfe«, sagte Susanne, als Emilia gleich darauf die Kiste mit den Waben holte.
»Willst du etwas begreifen, musst du es anfassen«, erwiderte Emilia lächelnd.
»Kluge Worte«, stellte