Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter
Читать онлайн книгу.»Nein, ich muss wirklich los, sonst schaffe ich mein Pensum nicht. Ich wünsche dir viel Glück für heute Nachmittag«, verabschiedete sie sich von Susanne.
»Hier, ein Geschenk des Hauses«, sagte Susanne und drückte Anna ein Glas Honig in die Hand.
»Den habe ich gestern abgefüllt«, verkündete Emilia stolz.
»Ich werde daran denken, wenn ich ihn esse«, entgegnete Anna lächelnd und streichelte über Emilias Haar.
»Guten Morgen, die Damen«, sagte Sebastian freundlich, als er zur Veranda kam.
»Guten Morgen, Doktor Seefeld.« Susanne stand auf und reichte ihm über die Verandabrüstung hinweg die Hand.
»Hallo, Anna.«
»Hallo, Sebastian«, sagte sie leise, als er sich ihr zuwandte und sie einen Moment lang anschaute.
»Papa, Susanne meint, du bist sicher hier, weil du wissen willst, was ich so mache.«
»Stimmt, ich komme gerade von meinen Hausbesuchen und dachte, bevor ich in die Praxis fahre, sehe ich mal nach meiner Tochter«, antwortete Sebastian und betrachtete Emilia mit einem liebevollen Blick.
»Darf ich ihm die Honigschleuder zeigen, Susanne?«, fragte Emilia.
»Natürlich, geh nur, ich komme gleich zu euch.«
»Bis bald, ihr beiden«, verabschiedete sich Anna von Emilia und Sebastian und ging zu ihrem Fahrrad.
»Du hast ihn sehr gern, nicht wahr?«, fragte Susanne, die sie zum Gartentor begleitete.
»Ich glaube, es ist mehr«, antwortete Anna und drehte sich noch einmal nach Sebastian um, der hinter Emilia die Imkerei betrat. »Lass mich wissen, wie dein Vorstellungsgespräch verlaufen ist«, sagte sie und wandte sich Susanne wieder zu.
»Das mache ich, bis dann.«
»Ja, bis dann.« Anna setzte ihren Helm auf, stieg auf ihr Fahrrad und rollte den leicht abschüssigen Weg ins Dorf hinunter.
Der Duft der frisch gemähten Wiesen, der strahlend blaue Himmel, der Bach, der oben in den Bergen entsprang und durch Bergmoosbach plätscherte, die Natur brauchte nicht lange, um Annas aufgewühlte Sinne zu beruhigen und ein zufriedenes Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern.
»Das muss ich ganz vorsichtig machen, damit kein Honig verloren geht«, erklärte Emilia ihrem Vater, als sie das Wachs, mit dem die Bienen die Waben verschlossen hatten, vorsichtig mit einem Schaber abtrug, um die Fächer mit dem Honig freizulegen.
»Du machst das großartig«, lobte Susanne das Mädchen, als sie in die Imkerei kam.
»Es sieht wirklich gekonnt aus«, stimmte Sebastian ihr zu.
»Diese kleinen Waben sind derart stabil und raumsparend, dass einige Wissenschaftler glauben, die Bienen verstünden etwas von höherer Mathematik, und intelligente Wesen sind sie ohnehin. Wusstest du, dass man ihnen mit Hilfe von Zeichen den Weg zu einer Nahrungsquelle beschreiben kann?«
»Du hast offensichtlich das richtige Thema für dich ausgewählt.« Sebastian staunte über die Begeisterung seiner Tochter, der Bienen bisher eher suspekt waren.
»Das, was du immer sagst, dass man etwas anfassen muss, wenn man es begreifen will, hat sich mal wieder bewahrheitet.«
»Danke, dass du deinem Vater ein wenig Weitsicht zutraust.«
»Ich traue dir viel zu, Papa. Sieh mal, jetzt sind alle Fächer freigelegt, und nun kommt die Honigschleuder zum Einsatz.« Emilia stellte die Wabe zu den anderen bereits vorbereiteten Waben in den Bottich und setzte die Schleuder mit einem Schalter in Gang. »Schau, da fließt der Honig heraus, den wir dann nach mehreren Siebvorgängen in die Gläser füllen«, erklärte sie ihrem Vater und deutete auf den Hahn, aus dem die goldfarbene Flüssigkeit in einen Eimer floss. »Susanne stellt sich heute übrigens bei Leonhard vor. Sie braucht dringend einen Job, um ihre Imkerei durchzubringen.«
»Sie wirft noch nicht so viel ab, dass ich davon leben kann«, sagte Susanne, als Sebastian aufschaute.
»Mit Leonhard werden Sie sich bestimmt einig werden.«
»Das haben Anna und Emilia mir auch schon versichert.«
»Sie werden uns zustimmen, sobald Sie ihn kennengelernt haben«, erwiderte Sebastian lächelnd.
»Entschuldigen Sie mich kurz«, bat Susanne, als ihr Handy läutete und die Nummer des Reformhauses in der Nachbargemeinde auf dem Display erschien.
»Da hast du mal wieder schnell reagiert, mein Schatz«, stellte Sebastian fest, als Susanne nach draußen ging, um zu telefonieren.
»Zu schnell?«
»Aber nein, das war eine sehr gute Entscheidung. Wenn die beiden sich verstehen, dann ist auch beiden geholfen.«
»Sie verstehen sich ganz bestimmt.«
»Meinst du?«, fragte Sebastian lächelnd.
»Ja, das meine ich, Papa.«
»Das Reformhaus möchte in Zukunft regelmäßig von mir beliefert werden«, verkündete Susanne, die wieder hereinkam.
»Siehst du, es geht schon aufwärts«, sagte Emilia.
»Wenn das mit der Stelle bei Leonhard Schwartz klappt, dann kann ich tatsächlich erst einmal durchatmen.«
»Ich wünsche Ihnen viel Glück, Frau Gärtner, und danke, dass Sie meiner Tochter so viel Einblick in Ihre Arbeit geben«, sagte Sebastian.
»Ihre Begeisterung für die Imkerei macht es mir leicht.«
»Es reicht, ihr habt mich genug gelobt, aber wenn ich Imkerin werden will, muss ich noch einiges lernen.«
»Vor ein paar Monaten wolltest du noch Tierärztin werden«, erwiderte Sebastian überrascht.
»So weit entfernt ist das ja nicht, es hat beides mit Tieren zu tun. Flohzirkusdompteuse übrigens auch.«
»Emilia, du schaffst mich.«
»Ich weiß, aber das ist normal in meinem Alter.«
»Ja, Spatz, das ist es wohl. Wir sehen uns heute Abend, ich muss in die Praxis.« Sebastian legte den Arm um seine Tochter und drückte sie liebevoll an sich, bevor er sich von ihr und Susanne verabschiedete.
»Ich könnte mir vorstellen, dass dein Vater darauf hofft, dass du irgendwann die Praxis übernimmst«, sagte Susanne, nachdem Sebastian gegangen war.
»Könnte schon sein«, entgegnete Emilia und schaute auf den Honig, der aus der Schleuder in den Eimer floss.
»Wie denkst du darüber?«, hakte Susanne nach.
»Es gibt so viele interessante Berufe, ich will mich einfach noch nicht festlegen. Vielleicht studiere ich irgendwann Medizin, aber vielleicht mache ich auch etwas ganz anderes. Muss ich mich denn schon festlegen?«, fragte Emilia und sah auf.
»Nein, das musst du nicht, auch wenn dein Vater hofft, dass du irgendwann einmal seine Nachfolge antrittst. Ich bin absolut sicher, er wird dich in allem unterstützen, was dich glücklich macht.«
»Du meinst, auch wenn ich Flohdompteuse werden möchte?«
»In diesem Fall bin ich mir nicht ganz sicher.«
»Ich auch nicht«, erklärte Emilia kichernd, »außerdem steht meine berufliche Karriere heute auch gar nicht zur Debatte, sondern deine.«
»Wenn ich diese Stelle bekäme, das wäre einfach wundervoll«, sagte Susanne und schaute auf die alte Bahnhofsuhr, die in der Imkerei hing.
In sechs Stunden würde sie wissen, ob Leonhard Schwartz ihr eine Chance gab.
*
»Hast du einen Termin, Leonhard?«, fragte Gerti, als Leonhard Schwartz gegen Ende der Sprechstunde die Praxis von Sebastian Seefeld betrat.
»Nein,