Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter
Читать онлайн книгу.Abend, Lisa«, sagte er mit einer Stimme, die heiser klang vor Erschöpfung.
»Guten Abend, Ben!«, antwortete sie freundlich. Sie hielt ein großes Handtuch in den Händen, das sie fürsorglich um seine Schultern legt und dann trat sie einen Schritt zurück . »Du brauchst Wärme und trockene Sachen zum Anziehen. Komm, wir gehen nach oben zu mir.«
»Danke!«, murmelte Ben und wickelte sich in das warme Tuch. »Es ist sehr nett von dir, dass du mich mitten in einer solchen Nacht bei dir aufnimmst.«
Lisa antwortete nicht, sondern lächelte hintergründig. Dann drehte sie sich um und ging voraus in ihre Wohnung.
*
Der Sturm peitschte den Regen gegen die Fenster des Doktorhauses. In der großen, gemütlichen Wohnstube mit der dunklen Balkendecke prasselte das Feuer im alten Kachelofen und verbreitete behagliche Wärme. Benedikt Seefeld und Traudel saßen in ihren Lieblingssesseln neben den hellen Leselampen und waren in ihre Lektüre vertieft. Auf dem Beistelltischchen neben ihnen dampfte aromatischer Tee.
Sebastian Seefeld stand an einem der Fenster und starrte in die feindliche Dunkelheit hinaus. Seine starre Körperhaltung und die angespannte Linie der Schulterpartie verrieten seine Gedanken.
In einer Sturmnacht wie dieser war seine Frau ums Leben gekommen.
Traudel schaute von ihrem Buch auf, griff nach ihrem Teebecher und meinte beiläufig: »Ich habe eben noch kurz bei Emilia vorbei geschaut, um nach den Fenstern zu sehen, das Madel mag ja nur schlafen, wenn’s Fenster offen steht. Die Sturmhaken sind eingeklinkt, und durch den tiefen Dachvorstand kann kein Regen ins Zimmer dringen. Es wirkte so gemütlich, von draußen Sturm und Regen zu hören und drinnen das friedlich schlafende Mädchen zu sehen. Übrigens mit Nolan am Fußende ihres Bettes, so viel zum Thema Hundeerziehung!« Sie schmunzelte. »Es ist ein schönes Gefühl, die beiden dort sicher und geborgen schlafen zu sehen und zu wissen, es kann ihnen nichts passieren.«
»Bis morgen früh hat sich das Unwetter sicher ausgetobt, und wenn nicht, dann fahre ich Emmchen mit dem Wagen zur Schule«, sagte Benedikt. Er beobachtete seinen Sohn und bemerkte, dass sich die Spannung in seinen Schultern zu lösen begann. Der alte Doktor legte sein Buch zur Seite und ging hinüber zu dem kleinen Tisch mit den beiden Stühlen, der vom hellen Schein einer Lampe beleuchtet war. Er schaute auf das Spielbrett, das dort aufgebaut war, und fragte mit einem warmherzigen Lächeln in der Stimme: »Lust auf eine Partie Schach, mein Sohn?«
Sebastian starrte noch einen Augenblick in die Abgründe der Nacht hinaus, dann schloss er die Vorhänge und wandte sich seiner Familie zu. »Danke, Vater, sehr gern!«, antwortete er. Die Gespenster der Vergangenheit, die ihm seine Liebe genommen hatte, waren ausgesperrt, nun blieben Wärme und Geborgenheit seines Zuhauses, in dem sein Kind schlief, und seine Nächsten bei ihm waren.
*
Wenige Straßen weiter verbreitete Lisa in ihrer Wohnung ebenfalls den Anschein von Gemütlichkeit. Gegen das Toben der Elemente hatte die junge Frau die Vorhänge fest geschlossen. Das Licht der Lampen war gedämpft, und auf dem niedrigen Tisch beim Sofa flackerte eine dicke Kerze in einem gläsernen Windlicht.
Die junge Frau musterte Benjamin, der sich mit dem Handtuch energisch Gesicht und Haare abrubbelte und wiederholt kräftig nieste. Lisa schüttelte den Kopf. »So wird das nichts!«, erklärte sie energisch. »Du bist nass und durchgekühlt bis auf die Knochen, und offensichtlich ist schon eine Erkältung im Anzug. Ich mache dir einen Vorschlag: Während ich auf dem Sofa dein Bett baue und für etwas Heißes zu trinken sorge, nimmst du eine lange, heiße Dusche. Du gibst mit deine nassen Klamotten und ich stecke sie in den Trockner, dann hast du morgen etwas Vernünftiges zum Anziehen und wirst nicht krank.«
Ben zögerte nur kurz. Die Vorstellung, jetzt heiß duschen zu können und morgen etwas Trocknes zum Anziehen zu haben, war sehr verlockend. »Wenn dir das nicht zu viel Mühe macht, nehme ich dein Angebot gerne an. Danke Lisa, das ist echt nett von dir!«
»Mühe? Schmarrn!«, lachte Lisa und schüttelte ihre blonde Haarmähne über die Schultern zurück. »Das tue ich doch gern!«
Und wie gern sie es tat!
Als Maries Anruf sie erreichte, hatte die junge Frau ihr Glück kaum fassen können: Ben, hier bei ihr, womöglich in ihrem eigenen Bett? Welche ungeahnten Möglichkeiten taten sich auf! Und ausgerechnet die eigenen Ehefrau, dieses naive, nichts ahnende Schäfchen, öffnete dafür Tür und Tor! Das nannte man wohl Ironie des Schicksals!
»So, hier ist das Bad, und hier sind genügend Handtücher«, sagte sie zu Ben und lächelte entschuldigend. »Ich habe leider nichts Passendes für dich zum Anziehen, selbst mein Bademantel wird zu klein sein. Du musst leider mit einem Duschhandtuch als Pyjamaersatz Vorlieb nehmen.«
»Macht nichts, Lisa, das ist heute Nacht mein geringstes Problem!«, antwortete Ben.
Du hast ja so recht!, dachte Lisa triumphierend. Laut sagte sie: »Leg deine nassen Klamotten einfach vor die Tür. Ich bringe sie dann gleich runter in den Trockner und stelle deine Schuhe auf die Heizung. Willst du vielleicht einen heißen Tee mit einem Schuss Rum haben? Das wärmt von innen.«
»Perfekt!«, antwortete Ben und verschwand im Bad.
Lisa setzte Teewasser auf, breitete Laken und Wolldecken auf ihrem Sofa aus und stopfte Bens tropfnasse Kleidung in den Trockner. Als der junge Mann aus dem Badezimmer kam, fand er sein Bett gemacht, und auf dem Tisch wartete ein Becher mit dampfenden Tee. Dankbar nahm er den ersten Schluck und lachte überrascht. »Meine Güte, das ist ja eher heißer Rum mit Tee als Tee mit einem Schuss Rum!«
»Gut gegen Erkältung«, erklärte Lisa. »Ich habe auch ordentlich Zucker mit hineingetan, damit er nicht so scharf schmeckt.«
»Das haut mich um!«, antwortete Ben. »Ich hab seit Stunden nichts mehr gegessen, und jetzt noch die Entspannung durch die heiße Dusche – ich werde schlafen wie ein Stein.«
»Dann will ich dich nicht weiter stören. Gute Nacht, Ben, und schlaf gut.« Lisa lächelte und verließ das Wohnzimmer.
Benjamin trank den letzten Schluck des stark alkoholisierten Tees und sank auf das Sofa zurück. Völlig erledigt und nur noch dankbar für die Wärme, die ihn umgab, wickelte er sich in die Decke, und innerhalb von Sekunden war er eingeschlafen.
Zwei Stunden später wurde die Tür geräuschlos geöffnet, und Lisa schlüpfte ins Zimmer. Auf Zehenspitzen und mit angehaltenem Atem schlich sie zum Sofa und musterte den ahnungslosen, abgrundtief schlafenden Mann.
Benjamin lag auf dem Rücken, einen Arm hatte er über seinen Kopf gelegt, der andere hing entspannt von der Couch herab. Er wirkte völlig gelöst und tiefenentspannt. Handtuch und Decke waren im Schlaf zur Seite geglitten, und der ahnungslose Ben lag nackt vor Lisas gierigen Blicken.
Wie verdammt gut er aussah! Und die ganze männliche Schönheit verschwendet an Marie, das Hausmütterchen! Lisa war kurz davor, sich zu dem Mann zu legen und ihn zu verführen, ihre Lust mit ihm zu genießen. Keinen Augenblick zweifelte sie daran, dass Ben, geschlagen mit einer schwangeren Ehefrau, den körperlichen Reizen einer anderen erliegen würde.
Aber wie konnte sie Marie am meisten quälen? Wie einen angeblichen Betrug glaubhaft darstellen? Nur Worte waren ihr nicht genug. Lisa hob das mitgebrachte Handy und begann, Fotos von Ben zu machen. Fotos von seinem friedlich schlafenden Gesicht, seinem entspannten Körper, von intimen Details, die sonst die Kleidung verdeckte.
Mit einem bösen Lächeln schoss sie das letzte Foto und verschwand ebenso geräuschlos, wie sie gekommen war, aus dem Zimmer.
*
Am nächsten Morgen hatten die wilden Sturmböen sich zu erträglichem Wind gemäßigt, und die Regengüsse verwandelten sich in sanften, stetigen Niederschlag. Während Ben mit der Werkstatt das Abschleppen und die Wagenreparatur besprach, kam Marie, um ihn abzuholen. Sie hatte Zutaten für ein leckeres Frühstück dabei, und die drei jungen Leute ließen sich Brötchen, hausgemachte Marmeladen und Wurstspezialitäten schmecken.
»Nochmals danke, Lisa, dass du mich