Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter

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Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman - Tessa Hofreiter


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ziehen. »Im Winter ruht die Arbeit hier sowieso«, sagte er freundlich. »Vielleicht magst du im Sommer wiederkommen, und deine Frau und die Kleinen kommen mit? Sie können Hüttenferien machen, während du hier am Dorf mitarbeitest.« Der Mann sah, wie groß Bens Ängste waren, und er klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. »Schau dir unsere Wiese an, Ben aus dem Allgäu. Vielleicht versuchen deine Kinder hier ihre ersten Schritte, und du zeigst ihnen unsere Fjorde.«

      Bei dieser Vorstellung schnürte sich Ben der Hals zu, und er konnte nichts mehr antworten. Wortlos drückte er seinem Kollegen die Hand und machte sich auf den langen, langen Weg nach Hause.

      *

      Ein Blick in den Kalender sagte Marie, dass sie heute das Haus verlassen musste, sie hatte einen Termin mit Hebamme Anna und Doktor Seefeld. Noch gestern hatte sie sich davor gefürchtet und gedacht, sie würde es nicht schaffen, ihre Zuflucht zu verlassen, aber heute war alles anders. Eine eigenartige Unruhe hatte die junge Frau ergriffen und trieb sie von einem Raum in den anderen, hinaus in Hof und Garten und wieder zurück. Obwohl ihr schwerer Körper ihre Beweglichkeit beeinträchtigte und ihre Fußknöchel angeschwollen waren, konnte sie einfach nicht still sitzen bleiben und sich ausruhen. Deshalb beschloss Marie, nach Bergmoosbach zu fahren, obwohl ihr Arzttermin noch längst nicht fällig war. Sie wollte vorher noch durch den Ort bummeln und ein wenig am Sternwolkensee spazieren gehen.

      Aber als die junge Frau dann zu Fuß unterwegs war, merkte sie, wie anstrengend das Gehen wurde. Das Gewicht der Babys drückte aufs Becken, und trotz ihrer Rastlosigkeit fühlte Marie sich müde und erschöpft. Sie beschloss, sich in ein nahes Café zu setzen und so die Zeit bis zu ihrem Termin verstreichen zu lassen.

      Als sie die gemütliche Konditorei Bernauer betrat, sah sie Emilia mit einigen Freunden dort sitzen. Die Jugendlichen tranken heiße Schokolade und waren in eine hitzige Debatte vertieft, bei der es um die Benotung des letzten Deutschaufsatzes ging. Offenbar gab es deswegen große Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen und ihrem Lehrer, dem anspruchsvollen Herrn Oberstudienrat Schmittle!

      Marie nickte den jungen Leuten zu und setzte sich ein paar Tische entfernt in eine Nische ans Fenster. Auch sie bestellte eine heiße Schokolade, aber als der Becher mit dem verlockenden Sahnehäubchen kam, ließ sie ihn unberührt und starrte nur unbeweglich auf die Straße hinaus.

      Aus den Augenwinkeln warf Emilia ihrer Freundin einen Blick zu. Sie konnte schon verstehen, dass Marie sich nicht zu ihnen an den Tisch mit laut schnatternden Jugendlichen gesetzt hatte, aber irgendetwas war komisch. Marie wirkte – anders. Emilia konnte nicht benennen, was es war. Ihre Aufmerksamkeit wurde schnell wieder auf die Diskussion um den unmöglichen Herrn Schmittle gelenkt, aber ein vages Gefühl der Beunruhigung blieb.

      Auf der Straße stöckelte gerade Lisa vorbei, trotz des kalten Regenwetters in spitzen High Heels und ohne warme Jacke. Als sie Marie am Fenster erblickte, winkte sie, machte kehrt und betrat mit dem üblichen großen Hallo die Konditorei.

      Mit einem dramatischen Schaudern zog sie ihr dünnes, figurbetontes Jäckchen aus und ließ sich auf den Stuhl gegenüber Marie fallen. »Du hast es ja gut, dass du hier im Warmen und Trocknen sitzen kannst, während andere draußen unterwegs sein müssen!«, sagte Lisa und schüttelte dekorativ ihre blonden Haarsträhnen über die Schulter zurück.

      Marie starrte nach wie vor auf ihren unberührten Becher. »Ja, ich habe es gut«, antwortete sie dumpf.

      »Und? Alles in Ordnung mit dir? Es ist bestimmt nicht leicht, so ganz ohne deinen geliebten Ben!«, trällerte Lisa und musterte ihr Gegenüber unter gesenkten Wimpern. Meine Güte, sah die Frau elend aus! Bestimmt hatte sie inzwischen den sexy String in Bens Hosentasche gefunden, und zwischen dem glücklichen Ehepaar herrschte Eiszeit! »Du siehst ein wenig … mitgenommen aus, wenn ich das als Freundin so sagen darf. Jetzt zum Ende hin wird die Schwangerschaft sicher sehr anstrengend, gell?«, heuchelte Lisa Mitgefühl.

      »Ja«, flüsterte Marie. Sie spielte geistesabwesend mit ihrem Kaffeelöffel.

      »Aber du hast doch Hilfe?«, bohrte Lisa weiter. »Du musst doch gar nicht alles allein machen!«

      »Nein.« Wieder nur eine einsilbige Antwort.

      Lisa konnte ihre Ungeduld kaum zügeln. Wann würde dieser zweibeinige Brutkasten endlich mit der skandalösen Geschichte herausrücken? Sie musste sie unbedingt aus der Reserve locken! »Ist wirklich alles in Ordnung mit dir? Du bist so seltsam heute, ich mache mir allmählich Sorgen um dich, Marie!«

      Endlich hob die junge Frau das Gesicht und schaute ihre Freundin an. Selbst die falsche Schlange Lisa zuckte zusammen, als sie bemerkte, wie verstört Marie aussah. »Äh, das …, du siehst ja furchtbar aus! Was ist denn passiert?«, fragte sie.

      »Ben«, flüsterte die Schwangere, »Ben ist …, er … hat eine andere.«

      »Nein!« Lisas spitzer und gellend lauter Aufschrei ließ die Köpfe aller Anwesenden zu ihrem Tisch herumfahren. »Das gibt’s doch nicht! Das ist ja der Wahnsinn!«

      Marie hatte keine Kraft, sich gegen die Lautstärke ihrer Freundin zur Wehr zu setzen. Obwohl sie es hasste, derart im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, konnte sie es nicht verhindern.

      »Was? Wieso? Woher willst du das denn wissen?«, trompete Lisa weiter.

      »Es gab Briefe für Ben.« Maries Stimme zitterte und war so leise, dass Lisa sie kaum verstehen konnte. Die Blondine schoss einen wütenden Blick zu den Jugendlichen am Nachbartisch hinüber, wo man nach einer überraschten Pause das Gespräch wieder aufgenommen hatte. Konnten diese Gören sich nicht leiser unterhalten?

      »Sie waren anonym. Ben hat …, Ben hat sie mir gezeigt.« Marie sprach in kurzen, abgehackten Sätzen, und jeden Augenblick drohte ihre Stimme zu brechen. »Sie waren so gemein. Die andere Frau hat …, Ben will … uns verlassen.«

      »Das glaub ich doch im Leben nicht!«, tat Lisa empört. Sie wollte noch ein wenig mit der Hilflosen spielen, wie die Katze mit der Maus, und dann zum Todesstoß für diese lächerliche Liebe ausholen.

      »Ich habe es auch nicht geglaubt«, fuhr Marie erschöpft fort. »Ben hat … geschworen, dass nichts dran ist an den heißen Liebesbriefen und allem anderen. Dass die unbekannte Frau lügt. Dass er mich niemals betrogen hat.«

      »Dann ist doch alles gut!« Scheinbar mitfühlend legte Lisa ihre Hand auf die eiskalten Finger der anderen jungen Frau. »Oder … glaubst du ihm etwa nicht?«

      »Doch, zuerst schon. Aber dann …«, Maries Finger zuckten unter Lisas Hand. »Dann habe ich beim Wäschewaschen in seiner Jeans einen roten String gefunden, der nicht mir gehört. Und eine leere Kondomverpackung.« Bleischwere Stille legte sich zwischen die beiden Frauen. Maries Gesicht war grau wie Asche. »Und nun sag mir: Egal, was Ben geschworen hat – sieht das nicht alles nach einer heimlichen Affäre aus?«

      Ha! Ich hab sie! Das ist der richtige Moment!, triumphierte Lisa innerlich. Immer noch hatte sie ihre Hand auf der von Marie liegen. Jetzt drückte sie deren Finger; es hätte als liebevolle Trostgeste verstanden werden können.

      »Ja, das sieht allerdings nach einer heimlichen Affäre aus!«, antwortete sie und nahm Marie mit dieser Bestätigung den widersinnigen, allerletzten Hoffnungsschimmer, es möge alles nur ein riesengroßes Missverständnis gewesen sein. »Und soll ich dir auch sagen, mit wem?«, fügte sie mit einem bösartigen Glitzern in den Augen hinzu.

      In sprachlosem Staunen schaute Marie sie an.

      Erst jetzt zog Lisa ihre Finger zurück und ließ Maries ausgestreckte Hand einsam auf dem Tisch liegen. »Mit mir!«, schleuderte sie der wehrlosen Frau ins Gesicht.

      »Mit …« Das Wort blieb Marie im Hals stecken. Wie erstarrt saß sie auf ihrem Stuhl und war zu keiner Reaktion fähig. Zu gar keiner. Sie vergaß sogar das Atmen.

      »Ja, da staunst du, gell?«, höhnte Lisa. Wie sehr sie die Situation genoss! Allem Neid und aller Bösartigkeit konnte sie jetzt ungebremst ihren Lauf lassen und Marie vernichten. »Sag, bist du so mit Brüten beschäftigt, dass du gar nicht gemerkt hast, wie sehr dein Mann sich im Bett mit dir gelangweilt hat? Sein biederes Frauchen! Ich


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