Höllen-Lärm. Ian Christe

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Höllen-Lärm - Ian Christe


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Entschuldigungen für den Biologieunterricht an der Highschool, weil seine Eltern befürchteten, er könne zu viel über seinen Körper erfahren. Als Mrs. Hetfield, eine ehemalige Opernsängerin, 1979 an Krebs erkrankte, lehnte sie medizinische Hilfe ab und starb – James blieb ohne emotionale Unter­stützung zurück. Auf der Junior High ent­deckte er Ladendiebstahl als neues Hobby und führte ellenlange Listen seiner Beutestücke, bis er – zur Erleichterung der Droge­rien in seiner Umgebung – seine Geschicklichkeit aufs Gitarrespielen verlagerte.

      Lars Ulrich andererseits war ein privilegierter Sprössling, dessen eigene Ansprüche ihm verboten, sich profanen, normalen Teenagerbeschäftigungen hinzugeben. Ulrichs Familie verließ ihre Heimatstadt Gentofte in Dänemark Ende 1980 und ließ sich im kalifornischen Newport Beach nieder, einer Ort­schaft im Umland von Los Angeles, die sich durch einen besonders hohen Anteil sonnengebräunter Ferrari-Fahrer auszeichnete. Von dort aus reiste sein Vater, Torben Ulrich, oft zu Weltklasse-Tennisturnieren, zu Worldcup oder Daviscup, und es sah zunächst so aus, als würde der junge Ulrich dieselbe Laufbahn ein­schlagen. Lars, der als Teenager in Dänemark ein konkurrenzfähiger Tennis­spieler gewesen war, geriet allerdings völlig ins Hintertreffen, als er gegen die kalifornischen Sportskanonen antreten musste.

      Nach dem Scheitern seiner Sportlerkarriere widmete Lars Ulrich seine Begeisterung dem Heavy Metal – vor allem den besonders heftigen Spielarten. Da er in seiner Kindheit seinen Vater oft zu internationalen Turnieren beglei­tet hatte, dachte sich Ulrich nichts dabei, 1981 nach England zu fliegen, um sich ein paar Auftritte seiner Idole Diamond Head anzusehen. Er stellte der Band nach und wurde unglaublicherweise eingeladen, zwei Monate bei den Eltern des Sängers Sean Harris zu wohnen. Ulrich, der damals einige schlecht zusammenpassende Schlagzeugteile besaß, aber kaum schon als Musiker zu bezeichnen war, beobachtete die Band tagelang bei weniger glamourösen Tätig­keiten wie Proben und Songschreiben.

      Später folgte Ulrich Motörhead durch Amerika. Er kannte kaum Grenzen, wenn es darum ging, nicht nur die glorreichen Momente, sondern auch die winzigen Details der von ihm geliebten Metal-Bands begierig in sich aufzu­saugen. „So ist er“, meint Ron Quintana, der sich gut an den Fanatismus seines Freundes erinnert. Ulrich war so vollständig von Heavy Metal besessen, dass er ihn zu seinem Lebensinhalt machte – die nächsten Jahrzehnte verbrachte er nicht nur damit, Metal zu spielen, sondern auch neue Wege zu finden, seine Begeisterung für diese Musik den Menschen weltweit in den Kopf zu hämmern.

      Mit Metal Massacre gab es nun einen konkreten Ansporn für Ulrich und Hetfield, Mitspieler für Metallica zu suchen und tatsächlich eine Band zu grün­den. Zwar hatten die beiden bereits früher einmal darüber gesprochen, aber Hetfield war nicht völlig von Ulrich überzeugt gewesen. Im Januar 1982 rekru­tierten sie den jamaikanischen Headbanger Lloyd Grant für die Leadgitarre auf „Hit The Lights“, einem Song, den sie von Hetfields voriger Band Leather Charm übernommen hatten. „James bekam die Leadgitarre nicht richtig hin“, sagt Slagel, „und Lars kannte Lloyd, der ein ziemlich guter Gitarrist war, also holte er ihn für die Aufnahme dazu.“

      Zwar war mit Metallica als Band noch nicht viel Staat zu machen, aber sie stellten ihre Aufnahme fertig – wenn auch nur mit knapper Not. „Natürlich waren sie die letzte Band, von der ich einen Song bekam“, sagt Slagel. „Ich glaube, sie haben ihn zwei Abende, bevor wir die Platte gemastert haben, auf­genommen.“ Slagel, der sich vom Fan zum Fanzineautor und von dort zum aufstrebenden Plattenfirmenmogul entwickelte hatte, ließ mehrere tausend Stück von Metal Massacre pressen. Das Geld dafür hatte er durch seine Arbeit bei Sears verdient und von seiner Tante geborgt. Schon bald führten alle kleinen Metal-Läden in Amerika Metal Massacre neben den verführe­rischen Importwaren, die dort regel­mäßig in Form von Überlebens­paketen aus Übersee ankamen.

      Metallica hatten jetzt einen Song auf Platte, aber noch keine Live­auftritte absolviert. Grant, das ein­zige Mitglied mit halbwegs ausgereif­ten musikalischen Fähigkeiten, ver­abschiedete sich wieder. In dieser Zeit verbrachte die Band die Tage oft im Metal-Wahn. „Damals, als Lloyd Grant noch in der Band war, machte Metallica echt Spaß“, sagt der Headbanger Katon DePena, der in dem Haus abhing, in dem James Hetfield und der Metallica-Bassist Ron McGovney wohn­ten. „Wir gingen immer in einen Plattenladen, Middle Earth, und kauften aus­schließlich Importe – Saxon, Motörhead, Riot, Angel Witch, Anvil, Satan, Trust, Tank, sogar das erste Def-Leppard-Album. Trotzdem dachten wir, wir könnten das selbst noch ein bisschen besser und härter.“

      Wenn das Konzerterlebnis mit einem Hochamt vergleichbar war, dann waren die verstreuten spezialisierten Plattenläden die Kapellen an den Weg­rändern der Metal-Welt. Im Record Vault in San Francisco traf sich die Metal-Gang, die sich um das Metal Mania-Magazin und das harte Programm des Radiosenders KUSF geschart hatte. In London war es die Boutique Shades am St. Anne’s Court, in der Tom Warrior von Hellhammer auf einer touristischen Pilgertour auf die erste Single von Venom stieß. In Tokio gab es die Läden The Black und Metal Kids. Diese Schlupflöcher versorgten die Headbanger mit lebensnotwendigen Dingen: Hier gab es Kerrang!, Nietenarmbänder, faszinie­rende britische Importe und Picture-Discs von Accept, Oz, Mercyful Fate und Earthshaker. „Ganz früher war Record Exchange in Walnut Creek in Kalifor­nien der härteste Laden in den Staaten, so weit ich weiß“, sagt Ron Quintana. „Ich glaube, ich habe das erste Kerrang! da gekauft. Als ich Lars Ulrich kennen lernte, sind wir da hingegangen und haben uns den Laden angesehen. Wir haben die Leute da ganz schön erschreckt – die konnten kaum glauben, dass jemand so viel über Metal wusste. Wir haben sie dazu gebracht, lauter komi­sches Zeug zu bestellen, und dadurch kam der Ball ins Rollen.“

      Im Februar 1982 war Kerrang! so beliebt, dass die Herausgeber nicht mehr nur monatlich, sondern sogar zweiwöchentlich eine neue Ausgabe veröffent­lichten. Kerrang! wurde zum kulturellen Kitt, der die vereinzelten amerikani­schen Metalheads zusammen- und bei Laune hielt. Selbst ein Junge aus Dow­ney wie James Hetfield, der niemals außer Landes gereist war, benutzte inzwi­schen hin und wieder britische Ausdrücke und nannte die Fans beispielsweise „punters“ – ein Wort, das im Kerrang! die Headbanger in den ersten Reihen bezeichnete.

      Die noch unausgeformten Metallica gaben sich alle Mühe, „ein bisschen besser und härter“ zu werden, und durchliefen in den ersten Monaten eine Reihe personeller Veränderungen, als sie im Vorprogramm lokaler Hoffnungsträger wie Roxx Regime, die später als Stryper bekannt wurden, spielen durften. Bei einem der frühen Metallica-Konzerte in Costa Mesa, Kalifornien, probierten sie es mit einer Besetzung aus fünf Personen, zu der auch die Gitarristen Dave Mustaine und Brad Parker alias Damian C. Phillips gehörten. Hetfield übernahm den Leadgesang. Wie der Bassist Ron McGovney Shock Waves mitteilte, endete das Experiment,als Phillips sich rasch als ungeeignet für den Job erwies.„Wäh­rend James, Lars und ich uns anzogen, um auf die Bühne zu gehen, hörten wir ein Gitarrensolo, also schauten wir über das Geländer vom Umkleideraum und sahen Brad ganz allein auf der Bühne, wie er einfach auf seiner Gitarre loslegte! Das war der erste und letzte Metallica-Auftritt mit Damian C. Phillips.“

      Phillips tauchte später bei den Lippenstift-Glamrockern Odin wieder auf, aber trotz solcher Fehltritte stand die Ampel für Metallica grell leuchtend auf Grün. Die Besetzung der Band festigte sich rund um Lars Ulrich, James Het­field, Ron McGovney und Dave Mustaine. Innerhalb eines Jahres hatte sich Ulrich von einem außergewöhnlichen Fan zum Schlagzeuger einer aufstreben­den Heavy-Metal-Macht gemausert, und Bootleg-Aufnahmen von Metallica-Konzerten kursierten nicht nur an der Westküste, sondern sogar auf der ande­ren Seite des Großen Teichs, in Europa. Schon bald nach der Veröffentlichung von Metal Massacre im Juni 1982 konnte Lars Ulrich nach einer Party bei Dave Mustaine zuhause den Verlust seiner Jungfräulichkeit vermelden.

      Für Brian Slagel brachte der Metal Massacre-Schachzug eine andere Art von Erfolg. Die erste Pressung von viertausendfünfhundert Exemplaren war nach einer Woche komplett ausverkauft – die Fans rissen sich um eine Platte, auf der ein Dut­zend beinahe unbekannter regionaler Bands vertreten war. Slagel hatte den Geschmack des erwachenden Heavy-Metal-Publikums richtig erraten; er hatte dessen Ausmaße sogar noch unterschätzt. Seine Auswahl stellte mit Sicherheit die Cr me der noch ungehobenen Schätze dar. Die meisten davon – Ratt, Ron Keel und Yngwie Malmsteens Band Steeler, Malice, Black ’N Blue, sogar die schlichten Metallica – unterschrieben letztlich Plattenverträge bei Majorfirmen.


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