Höllen-Lärm. Ian Christe

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Höllen-Lärm - Ian Christe


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Wie beim Zusammenbruch des Londoner Punk war auch die Szene in Los Angeles, die X und die Germs aus der Taufe gehoben hatten, durch Drogen und Zerstörung ausgebrannt, und die Musikindustrie formte aus ihrer Gefährlichkeit und Schärfe wenig später die discobeeinflusste New Wave. Als der Anblick des Germs-Sängers Darby Crash, der sich in dem Dokumentarfilm The Decline of Western Civilization die Haut aufritzt, die großen Kinokomplexe der vorstädtischen Einkaufszentren erreichte, blieb seine antiautoritäre Haltung im Gedächtnis, nicht aber der scharfkantige Sound. Seines Protestpotenzials entkleidet, wurde Punk kom­merzialisiert und in Form seichter Kost von Wall of Voodoo, Oingo Boingo oder The Knack als Soundtrack für Teeniefilme wieder aufgekocht. Wie der Außenseiter Slash in der Highschool-Fernsehsitcom Square Pegs richtig stellte: „Ich bin kein Punk, ich bin New Wave – das ist ’ne ganz andere Frisur.“ Lachen vom Band.

      Aus dem Glitzer des Disco und den Ruinen des Punk erhob sich die Metal­Revolution.„In Hollywood gab es auf dem Parkplatz von Capitol Records regel­mäßig einen Flohmarkt“, sagt Brian Slagel, der Gründer von Metal Blade Records. „Da gab es nur Musik, und es wurde von seltenen Platten bis zu alten Singles alles gehandelt, darunter auch jede Menge Bootlegs. Ich habe da immer eingekauft, und als ich mich erst mal mit Leuten angefreundet hatte, die in Plat­tenläden arbeiteten und die auch wussten, dass ich auf Metal wie Kiss und AC/DC stand, sagten die: ‚Hey, du, hier ist ’ne Cassette von einer Band, die du dir mal anhören solltest. Die sind auch cool.‘“

      Andernorts bildeten Heavy-Metal-Fans Cliquen innerhalb der Hardrock­szene. Die „Ratten, die um anderer Leute Füße herumwuselten“, schickten ein­ander über Kleinanzeigen in Sammlerzeitschriften wie Goldmine und Record Trader Signale oder erkannten einander bei den wichtigen Rockveranstaltun­gen. „Wir sahen den Sänger von Exodus, Paul Baloff, immer bei den Konzer­ten von Yesterday and Today [den späteren Y&T]“, erinnert sich Ron Quintana an die Szene in San Francisco.„Die waren damals das Härteste,was bei uns lief. Bei den coolen Shows traf man immer wieder die gleichen Leute, und Baloff war einer davon. Y&T führten eine Menge Leute aus der Bay Area an den Hard­rock heran; das war echt gut.“

      Während sich die Metalfans wie Bienenschwärme zusammenfanden, lie­ferten selbst aufgenommene Cassetten sozusagen den Blütenstaub, mit dem sie ihre genetischen Codes zur Vergrößerung des Bienenstocks übertrugen. „Ab 1979 stand ich auf die ganze NWOBHM-Szene“, sagt Brian Slagel. „Ich habe Livecassetten und Demotapes mit Leuten auf der ganzen Welt getauscht. Der britische Heavy Metal begann mich zu interessieren, weil ein paar meiner euro­päischen Freunde sagten: ‚Hey, hier gibt’s eine Band, die heißt Iron Maiden.‘ Sie packten mir ein paar von deren Songs ans Ende einer Cassette. Wenn man jemanden traf, dann empfahl der einem gleich eine neue Band, und so kam der Ball ins Rollen.“

      In Amerika lief es genauso. Ein paar erklärte Gläubige predigten die Frohe Botschaft der NWOBHM und sammelten mit viel Elan Nachrichten über neue Bands und Konzertaktivitäten. Die heiligen Themen der Headbanger verbrei­teten sich über zerlesene Ausgaben des Kerrang! und hielten die Glaubens­gemeinde zusammen. „Wir stritten die ganze Zeit über Fachfragen. Wir waren eine informierte Geheimgesellschaft“, sagt Ron Quintana. „Wenn man jeman­den aus England oder Europa kennen lernte, wie zum Beispiel Lars Ulrich, frag­ten wir denjenigen über jede einzelne Band aus: ‚Wie klingen Dragster? Wer steckt hinter Wrathchild?‘ Die meisten waren Scheiße, so wie Dragster, aber man war in einer Zeitung auf den Namen gestoßen und hatte gedacht, die wären heavy.“ Als Metalhead musste man außergewöhnlich engagiert sein, um an neue Musik zu kommen. „Nicht mal die Punks haben die englischen Zei­tungen gelesen“,sagt Quintana,„weil die Szene hier bei uns groß genug war.Die Metaller aber mussten sich anderswo umsehen, um harte Sachen zu finden.“

      Da es in Amerika kein echtes Pendant gab, war es an der Londoner Presse, nordamerikanische Bands in ihrer eigenen Heimat vorzustellen, so zum Beispiel die druckvollen Anvil aus Toronto und die hartgesottenen Twisted Sister aus New York. „Nur weil wir ziemlich oft in Kerrang! waren, wurden wir mit der NWOBHM in Verbindung gebracht“, sagt Dee Snider. „Dann hatten wir den Durchbruch in England, und als wir wieder nachhause kamen, wurden wir stän­dig gefragt: ‚Wieso habt ihr denn keinen britischen Akzent?‘ Wie Hendrix, Joan Jett und die Stray Cats vor uns sind wir nach England gegangen, um zu Ruhm und Reichtum zu gelangen, und erst von dort aus starteten wir weltweit durch.“

      Nachdem Kerrang! positiv über Twisted Sister berichtet hatte, reiste ihr geschäftstüchtiger Gitarrist Jay Jay French nach England, um der Gruppe einen Plattenvertrag in Europa zu sichern. Diese unkonventionelle, aber notwendige Reise war ein Erfolg und führte dazu, dass auf You Can’t Stop Rock ’N’ Roll von 1982 ein stärkerer britischer Einfluss spürbar wurde. „Jay kam mit einer Cas­sette von Iron Maidens Killers zurück nach New York“, erinnert sich Dee Snider, „und er hat sie mir gegeben, weil der Bassist Mark Mendoza und ich die Metal­heads waren. Ich habe sie eingelegt und war sofort total hin und weg. Und dann wurde ich auch noch ein großer Fan von Saxon.“

      Spielte man 1980 in Los Angeles etwas, das auch nur entfernt nach Heavy Metal klang, ohne Van Halen zu sein … galt man als Idiot. Obwohl sie unab­lässig die Vorzüge von Bikinis und Sportwagen priesen, lagen die Ursprünge selbst dieser Band, die als so archetypisch kalifornisch galt, in Europa. Eddie Van Halen und sein Bruder Alex waren aus Holland eingewandert und 1962 als holländisch sprechende Grundschüler nach Pasadena gezogen. Vielleicht ent­sprang die einfallsreiche musikalische Herangehensweise der beiden der Erfah­rung, von einer Kultur in eine andere gewechselt zu sein.

      In vielerlei Hinsicht stellten Van Halen das sportliche amerikanische Gegenstück zu Led Zeppelin dar und waren als Band eigentlich zu großspurig, um wahr zu sein. Mit ihren ersten vier Alben verbreiteten sie erfolgreich kali­fornischen Sonnenschein und verkauften den wilden Hollywood-Lebensstil mit einer ausgelassenen Partystimmung, die ihr offensichtlich vorhandenes Talent nicht schmälerte. Das Maskottchen der Band, der akrobatische, löwenmähnige Sänger David Lee Roth, verband die unglaublichen Schreie eines Ian Gillan von Deep Purple mit dem lüsternen, unverblümten Gehabe eines Jim Dandy Mangrum von Black Oak Arkansas. Obwohl Van Halen unschlagbar waren, hatten sie gewöhnliche Bedürfnisse, aßen weiterhin Hamburger und tranken kaltes Bier wie ganz nor­male Leute.

      Es war der wunderbar fingerfertige Gitarrist Eddie Van Halen, der die Band über die Maßen aufregend machte. Seine technisch versierten, protzigen Soli, wie er sie beispielsweise bei „Eruption“ zeigte, mach­ten aus der Heavy-Metal-Gitarre eine äußerst kom­plizierte Wissenschaft. Anstatt nur Bluestonleitern das Griffbrett rauf und runter zu jagen, griffen Van Halen aus allen Richtungen an. „Ich war ein großer Fan von Van Halen, Judas Priest, Jimi Hendrix und Michael Schenker von UFO – Gitarristen mit einem ganz besonderen Gefühl“, sagt George Emmanuel alias Trey Azagthoth, später Gitarrenheld bei Morbid Angel. „Damals war es angesagt, ziemlich extrem zu spielen. Eddie Van Halen hatte solche Wucht und so viel Gefühl – sein Sound und seine Art des Ausdrucks hatten etwas Elektrisierendes.“

      Die wenigen anderen Heavy-Metal-Bands in Los Angeles versuchten eben­falls, bodenständigem Heavy Metal hausgemachtes Showbusiness-Flair zu ver­leihen. Emsige kleine Fische wie Quiet Riot, Snow und Xciter ahmten die mark­erschütternden Hymnen von Judas Priests British Steel nach und verbeugten sich in Richtung Van Halen, wenn sie ihre eigenen Gitarrenhelden antreten lie­ßen. Quiet Riot beschäftigten den geschmeidigen Solisten Randy Rhoads, Snow den hyperaktiven Carlos Cavazo, der Rhoads später bei Quiet Riot ablöste. Das Aushängeschild von Xciter war die faszinierende, melodische Leadgitarre von George Lynch, der später Dokken gründete.

      Ozzy Osbourne, der in Los Angeles wohnte, seit er mit Black Sabbath 1976 dorthin übersiedelt war, schaffte den Brückenschlag zwischen den europäischen und amerikanischen Einflüssen. Nach seinem Abschied von Sabbath gelang ihm mit seinem Soloalbum Blizzard Of Ozz nach beinahe völliger Selbstzerstörung der Wiedereinstieg. Nach einer Reihe von ungünstigen Geschäftsabschlüssen pleite, rettete ihn die Beziehung zu Sharon Arden, der Tochter von Sabbath­Manager Don Arden. Sharon brach mit ihrem Vater, um den alkoholkranken Rockstar zu managen, kaufte Osbourne von seinen vertraglichen Verpflichtun­gen frei, und das Paar fing bei null neu an.

      Auf ihrer letzten Tour waren Black Sabbath von Van Halen in den Schatten gestellt worden – das hatte Ozzy offenbar


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