Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider
Читать онлайн книгу.nicht haben« (Brief vom 6. September 1926 an Marie und Karl Dieterich). – »Der Kampf um die Kirchenzucht in den Gemeinden ist noch nicht ganz ausgetragen und wird wohl noch mit meiner Niederlage enden, die mir selbst am Ende nicht so unlieb ist.110 Da bleibt nachher nur noch der Kranz und die Krone (Tracht) als Ehrenzeichen und die stille Trauung für die, die guten Willens sind« (Brief vom 21. Oktober 1926). – Von nun an rang Paul während seiner ganzen Amtszeit um das Verständnis der reformatorischen Kirchenzucht. Über Kirchenzucht sagt Calvin: »Sie ist die Sehne der Kirche. Wenn man diese Sehne zerschneidet, dann ist der ganze Leib kraftlos.«111 In seinem Filial versuchte er in Einheit mit seinem Presbyterium, sie im Glaubensgehorsam auszuüben, wo immer ein öffentlicher Verstoß gegen Gottes heilige Zehn Gebote der christlichen Gemeinde Ärgernis112 gab. Diese Kirchenzucht wurde von einem großen Teil der Gemeinde im Glauben angenommen, von anderen mit heftigstem Widerspruch abgelehnt. Ein Beispiel:
Da hat der Streit zweier Nachbarn ein solches Ausmaß angenommen, dass der Pfarrer einschreitet und beide vor dem Abendmahlsgang vors Presbyterium lädt, um ihnen Gelegenheit zur Versöhnung zu geben. Der eine kommt, der andere nicht, ist aber dann dennoch beim Abendmahlsgottesdienst. Der Pfarrer lässt ihn vor der Beichte durch den Küster bitten, die Kirche zu verlassen. Er bleibt. Da wendet sich nach der allgemeinen Beichtfrage der Pfarrer ganz persönlich an ihn, den im Dorf einflussreichen Mann. Nun steht er auf und geht hinaus. Erst später, nach einem Unfall und langem Krankenlager des Betreffenden, kommt diese Geschichte zu einem guten Ende. – Wer dreimal unentschuldigt in der Christenlehre fehlte, wurde ein Jahr lang nicht zum Patenamt113 zugelassen. Da dort die jungen Paten sehr beliebt waren und man bis zu sechs Paten hatte, musste man schon aufpassen! Getauft wurde nur in der Kirche im Gemeindegottesdienst114 und nur in Gegenwart des Vaters bzw. der Eltern. – In Hochelheim hielt das Presbyterium im Wesentlichen nur an der sehr gelockerten Trauzucht fest. In der Seelsorge ging Paul persönlich ratend und mahnend darüber hinaus. Er hat sich dadurch manche Feindschaft zugezogen, wie z. B. die des Stützpunktleiters der NSDAP115, der Pauls Stellung zum NS-Staat darum doppelt scharf unter die Lupe nahm.116
Unser großes Anliegen war die Erfassung der Gemeindejugend. Das gelang wohl im Filial etwas besser als im Hauptdorf. »In Dornholzhausen sind die Verhältnisse anders als hier, ich möchte sagen alttestamentlicher! Geiz, Alkohol und Unsittlichkeit unter der Jugend sind auch dort mächtig. Aber in der Evangelisation vor Totenfest 117 durch einen Berliner Freund wurde das Wort im Ganzen willig aufgenommen, und es bietet sich dem missionarischen Willen der Kirche weit mehr Einflussmöglichkeit auf das ganze Dorf.« – »In Hochelheim trafen wir einen Jungfrauenverein und Jünglingsverein an, und da es kaum gelang, aus der Dorfjugend neue Glieder dazuzugewinnen, hielten wir auch offene Abende. Wie oft stand aber die Tür des Pfarrhauses umsonst offen!« Auch durch Freizeiten suchten wir Eingang zu gewinnen. Paul konnte mit der Jugend von Herzen froh sein. Spielen, Basteln, Turnen, Wandern und besonders Singen waren ja auch seine Freude! Selbstverständlich aber war ihm, dass die Bibelbesprechung im Vereinsleben nicht fehlte und dass man von denen, die kamen, auch etwas verlangte an christlicher Lebenszucht und Mitarbeit im Gemeindeleben. Es war ein Auf und Ab in unserer Jugendarbeit. Oft mussten wir einsehen, dass »zu viel gemacht und zu wenig gewachsen war«.
Am 3. Januar 1928 berichtet M. S. im Rundbuch voll Freude: »Jede Woche kommen 30 bis 40 Mädchen zu uns ins Pfarrhaus. Es sind neben den Mädchen von Gemeinschaftsleuten118 auch noch ein paar andere. Die Konfirmandenmädchen sind uns bis jetzt auch treu geblieben.119 In Dornholzhausen haben wir’s nett, da sind wir mit den Mädchen schier jede Woche in einem anderen Haus.« Dass ihr großer Einsatz für die jungen Mädchen der Gemeinde seiner Frau aber nicht nur Freude brachte, das lässt P. S. im Rundbuch am 26. Juni 1932 durchblicken: »Die liebe Gretel ist hier in Hochelheim leider gar nicht auf Rosen gebettet, wie sie es doch verdient hätte, nachdem sie landfremd geworden120, mein Volk zu ihrem Volk121, mein Amt zu ihrem Amt gemacht hat … Mit wie viel Liebe und Freudigkeit hatte sich Gretel von Anfang an um die jungen Mädchen bemüht, und schließlich glaubten wir unser Liebeswerben mit Erfolg gekrönt, als sich im Anschluss an eine schön verlaufene Jungmädchenfreizeit im vorletzten Winter aus der ganzen Umgebung 37 Mädchen zu einem Ev. Jungmädchenbund sammelten. Doch … bald zeigte es sich, dass sich die Herzen fester banden an eine neu auftretende Damenriege des Turnvereins, an den weltlichen Gemischten Chor u. a. als an uns, und als ich an Weihnachten unserer vergnügungsseligen Jugend im Wirtshaus entgegentrat, kam unser Jungmädchenbund zu Bruch und auch die Ansätze in der Burschenarbeit, die sich gebildet hatten … Es war doch niederdrückend und ein Stück Herzweh für uns und besonders für Gretel, … so zurückgeworfen zu werden, nachdem wir Haus und Stube, Zeit und Kraft und Familienleben – fast keinen Abend hatten wir im Winter für uns selbst – hergegeben hatten.«
Fast noch härter trafen die beiden Pfarrleute die Vorgänge um die Krankenpflegestation in Hochelheim, die sie mit der Kirchengemeinde im Sommer 1931 eingerichtet hatten. M. S. hatte mit großem Eifer die nötigen Einrichtungsgegenstände zusammengetragen, hatte mit der »Frauenhilfe« einen Gemeindeabend mit Verlosung organisiert, dessen finanzieller Erlös den ersten Baustein für die Einrichtung der Krankenpflegestation brachte. Die neue Krankenschwester freilich zeigte von Anfang an dem Pfarrhaus die kalte Schulter und, so berichtet P. S. im Rundbuch am 26. Juni 1932, »nachdem ich ihr dann schließlich auch über ihre Amtsführung einmal etwas hatte sagen müssen, paktierte sie mit dem unchristlichen Teil des Dorfes, hetzte sozusagen fast das ganze Dorf gegen mich auf, und als sich dann das Mutterhaus, von dritter Seite darauf aufmerksam gemacht, energisch einmischte, antwortete sie mit Austritt aus dem Mutterhaus und ließ sich nun … von einem sich aus weitaus des Dorfes Mehrheit bildenden Krankenpflegeverein anstellen. Unsere Kirchenvertretungen hatten bei dem Handel völlig versagt, ja dazu die Hand geboten und überließen nun auch die Einrichtung leichten Herzens und billig dem Krankenpflegeverein.« Die Schwester tue nun ihren Dienst durchaus nicht im Geist christlicher Diakonie. »Das Ganze war uns wie ein Keulenschlag, und Gretel hat mehr als eine bittere Träne geweint.« P. S. gibt zu erkennen, dass diese Entwicklung in ihnen eine Krise ausgelöst habe, sie hätten sehr um ihre Treue zur Gemeinde ringen müssen. Auch hätten andere Gemeinden sie gern als Pfarrleute gehabt. Er habe es aber nicht über sich gebracht, »aus den Schwierigkeiten und ungelösten Verhältnissen, mancherlei Anfängen und unvollendeten Aufgaben einfach wegzugehen. So wollen wir in Hochelheim bleiben und mit neuem Mut und Vertrauen und neuer Liebe, die uns Gott schenken möge, weitermachen.« Wacker behauptet habe sich in diesen Auseinandersetzungen die Frauenhilfe!
In beiden Dörfern entstanden bald Frauenhilfen122. An diese Arbeit kann ich nur mit großer Freude und Liebe zurückdenken. Unsere beiden Frauenhilfen standen uns tätig und hilfsbereit zur Seite, sei es in der Armenpflege, sei es bei der Einrichtung einer Schwesternstation. In allen Stürmen blieben die Frauenkreise bestehen, verfestigten sich immer mehr unter Gottes Wort und waren auch während des Dritten Reiches ein Bollwerk der Bekennenden Kirche (BK). Nach unserem Weggang durften wir ihre Treue erleben. Wir wurden mit Omnibussen besucht, durften Gegenbesuch mit unseren Hunsrückern machen. Am Grab meines Mannes standen diese treuen Frauen, und noch heute reißt die Verbundenheit nicht ab.
Mit Vergnügen berichtet M. S. am 21. Oktober 1930 im Rundbuch von einem Ausflug »ihrer« Frauenhilfe nach Bad Nauheim: »Natürlich sahen wir viele Ausländer im Weltbad und staunten die Mode an, meine Frauen wurden ihrerseits in ihrer Festtagstracht auch gehörig besichtigt und angeranzt. Unser Frauenverein ist uns bis jetzt die größte Freude und Aufmunterung; da haben wir wirklich einen Stamm, der treulich zusammenhält …«
Gerne fuhr Paul zu Singwochen123 und kirchlichen Freizeiten. Erfüllt kam er heim, aber das »Heimkommen ist doch immer das Schönste«. – »Und wie freundlich fügt es Gott, dass er uns über dem Ärger und der Enttäuschung draußen in der Gemeinde die Freude an unseren Kindern drinnen schenkt, gleichsam als Ausgleich. Nein, wir wollen und dürfen nicht klagen und haben doch noch viel mehr Ursache zum Loben und Danken!«
Auf seinem Rad, später Motorrad, war Paul vielfach unterwegs, da er die synodale Betreuung der Fürsorgezöglinge124 hatte. Sie waren in »dauernder Bewegung«125, und es gab viel zu helfen und zu raten. Auch bei Bastelkursen für Arbeitslose in der Kreisstadt tat er mit, überall der sozialen Not unseres Volkes