Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider

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Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald - Margarete Schneider


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könnte, geht Paul hin. Er hört dort etwa das, was ihn über Gemeindeaufbau und -arbeit lange beschäftigt, und glaubt nun guten Willens, sich auch einreihen zu können.161 Es ist ihm aber »nicht so recht wohl dabei«, und er fürchtet, »der wirklich positive Flügel der DC (Deutsche Christen) könne sich doch nicht durchsetzen« (August 1933).

      Zum »wirklich positiven Flügel« der DC zählte P. S. offenbar Christen, denen die Volksmission besonders am Herzen lag, die sich für eine sittliche Erneuerung des deutschen Volkes einsetzen wollten und die Kräfte dafür im Evangelium sahen; denen auch der diakonische Einsatz für die Armen im Volk wesentlich war. So verstand er z. B. den Frankfurter Pfarrer Georg Probst, der ein gemäßigter »Deutscher Christ« war, zugleich ein mitreißender Redner. Probst sah 1933 im Dritten Reich eine besondere »volksmissionarische Gelegenheit«.162

      Auf einer Singwoche Ende August 1933 findet Paul bei Freunden Klärung und Befreiung. Und da er von Grund seines Herzens ein bußfertiger Christ war, so konnte es nicht fehlen, dass er alsbald vor seine Gemeinde trat und sagte, er wolle ein schlichter evangelischer Christ bleiben und sich hierbei das Vorzeichen »Deutsch« schenken, das verstünde sich von selbst. Von da an war seine Haltung eindeutig, sodass ein Freund bezeugen kann: »Niemand, den ich kenne oder dessen Geschichte mir zu Ohren gekommen ist, hat diesen Kampf unserer Kirche schlichter und einfältiger, zugleich lauterer und unerbittlicher geführt als mein Freund und Bruder Paul Schneider.«163

      Friedrich Langensiepen164 beschreibt in seinen Erinnerungen165 diese Wende P. S.s so: »Auch im Jahre 1933 erschien Paul Schneider auf der Gödenrother Singwoche – als Deutscher Christ! Nicht kluge Politik der Gleichschaltung, sondern gutgläubiges Vertrauen auf die Phrase von der großen volksmissionarischen Stunde der Kirche hatte ihn zum Anschluss bewogen. Es war ihm aber schon selbst nicht mehr geheuer bei seinem Entschluss, denn er merkte, dass die Dinge einen weit anderen Kurs zu nehmen begannen und auf die Auflösung jeder kirchlichen Substanz hinzielten. Er hoffte, im Gespräch mit uns Klarheit und Wegweisung zu finden.« Ein Gespräch mit Langensiepens Frau Hildegard habe P. S. »von seinem gutgläubigen Irrtum« überzeugt. »Er war von Grund seines Herzens ein bußfertiger Christ … Paul Schneider war immer sofort bereit zuzugeben, dass er geirrt habe.«

      Was folgte unmittelbar auf die Kirchenwahl des 23. Juli 1933? Kaum hatten die DC ihren famosen Sieg errungen, da erließen der Generalsuperintendent und das Konsistorium ein »Wort zum Frieden«. Aber einzelne Pfarrer warnten vor diesem »faulen Frieden. Mit Tyrannen wollen wir weder zusammen beten noch arbeiten. Ihr könnt uns vergewaltigen … Wir werden uns nicht beugen«, schrieb Pfarrer Friedrich Graeber166 aus Essen. »Ihr sagt Himmelreich und meint das Dritte Reich!«

      Den DC freilich war es nach diesem Wahlausgang ein Leichtes, bei der Tagung der Rheinischen Provinzialsynode am 23./24. August 1933 in Koblenz ihre kirchenpolitischen Gegner auszuschalten. Sie setzten bei den Wahlen zum Provinzialkirchenrat vor allem ihre Scharfmacher durch. Landrat Dr. Krummacher ließ die Synode zum Abschluss mit erhobener Hand »Die Fahne hoch! Die Reihen dicht geschlossen!« singen.

      Auf der Generalsynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union in Berlin verfolgten die DC ihre radikale Linie weiter. Kritische Redner brüllten sie nieder, kommentierten ihre Kritik ungeniert mit dem Ruf »Konzentrationslager!«, sodass die Opposition geschlossen den Saal verließ und sich nicht mehr an den Abstimmungen beteiligte.

      Wenige Tage danach, am 11. September, versammelte sich die Rheinische Pfarrbruderschaft und lehnte die von der Generalsynode verabschiedeten Gesetze ab: das Bischofsgesetz, das die Kirche dem »Führerprinzip« unterwerfe; das Beamtengesetz mit seiner unkritischen, »rückhaltlosen« Bejahung des NS-Staates, die Ausschließung der Judenchristen aus der Kirche. Sie beschloss, »geistlichen Widerstand zu leisten«, d. h. »gewaltlosen Widerstand des Wortes und der Liebe«, und ebenso »öffentliches Eintreten für die Betroffenen wie brüderliche Hilfe bei Notstand der Betroffenen«. Man wolle »bekennenden Protest« gegen das unevangelische und ungeistliche Kirchenregiment aussprechen, auch wenn man Gewalt leiden müsse.

      Am 13. September rief Martin Niemöller167 zur Gründung eines Pfarrernotbundes auf, um die bösen Folgen der Generalsynode aufzuhalten. Am 21. September gründete Pastor Karl Immer168 den »Coetus [d. h. Zusammenschluss] reformierter Prediger Deutschlands«, um mit ihm »für die uneingeschränkte und unvermischte Geltung des Wortes Gottes zu kämpfen und zu leiden« und nicht durch Stillschweigen am Ungehorsam der Kirche mitschuldig zu werden. Das Bischofsgesetz bedeute »die Aufrichtung eines säkularen Papsttums« in der Kirche. Nach der Heiligen Schrift und dem reformierten Bekenntnis sei die Überordnung eines Bischofsamtes über andere kirchliche Ämter nicht möglich. Leitungsorgan der Gemeinde sei allein das Presbyterium.

      Unbeeindruckt von der Formierung des Protestes berief am 5. Oktober 1933 der Kirchensenat den 38-jährigen DC-Führer Pfarrer Dr. Heinrich Oberheid169 zum Bischof im neu ausgerufenen »Bistum Köln-Aachen«170. Oberheid hatte in jungen Jahren eine erstaunliche Karriere bei der Firma Stinnes gemacht, hatte danach im Jahr 1933 sein abgebrochenes Theologiestudium beendet. Direkt nach dem Examen wurde er Bischof! Der Generalsuperintendent von Koblenz, Ernst Stoltenhoff, begrüßte ihn bei seiner Einführung mit dem Paulus-Wort: »Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.«171 Er versprach, dass die Männer des Konsistoriums »mit Herz und Hand zu ihm stünden«.

      In einem Grußwort an die Gemeinden wies der neue Bischof darauf hin, dass die Kirche ihre gegenwärtige Erneuerung Adolf Hitler und der nationalsozialistischen Bewegung zu verdanken habe. »Der lebendige Gott hat uns den Führer gegeben. Dafür sei ihm Lob, Preis und Dank in der Gemeinde.«

      Eine Welle von Sympathie kam ihm entgegen. Aber auch Protest. So von Pfarrern um Joachim Beckmann: Die Deutsche Evangelische Kirche sei eine Unkirche geworden. In ihr gälte nicht das Bekenntnis zu Jesus Christus, vielmehr gälten die bekenntniswidrigen Prinzipien Führerprinzip, Machtprinzip, Arierprinzip. Darum müsse geistlicher Widerstand geleistet werden. Die Leitung der opponierenden Pfarrbruderschaft übernahmen die Pfarrer D. Paul Humburg172, Dr. Joachim Beckmann und Heinrich Held173. Bald zählte die Bruderschaft im Rheinland dreihundertfünfzig Mitglieder.

      Bischof Oberheid reiste nun im Land umher zu synodalen Pfarrkonferenzen. Um kritische Pfarrer zu gewinnen, kündigte er an, das Bischofsamt »Landespfarramt« zu nennen. Dennoch wurde er mit viel Protest empfangen. Etwa in Düsseldorf, wo Beckmann eine scharfe Anklage gegen die DC verlas: Sie hätte die Macht in der Kirche mit brutalem Einsatz weltlicher Mittel, durch politische Verleumdung ihrer Gegner, durch üble Verdächtigung, durch den Missbrauch der NSDAP errungen. In Bonn erklärten Pfarrer dem Bischof Oberheid, die Ariergesetzgebung und das Führerprinzip seien mit dem innersten Wesen der Kirche nicht vereinbar. Wer eine »völkische« Kirche bauen wolle, verrate die evangelische Kirche an die neuheidnische »Deutsche Glaubensbewegung« und an das Schwärmertum.

      Was erlebte in diesem Herbst 1933 P. S. in Hochelheim? M. S. berichtet:

      Die letzten Monate in Hochelheim. Über die Vorgänge der letzten Monate lasse ich Paul aus seinen Briefen an meine Mutter selbst reden. »Am 8. Oktober, in Dornholzhausen schon 8 Tage früher, hatte ich von der Kanzel und im kirchlichen Bekanntmachungskasten gegen den Aufruf von Röhm gegen das ›Muckertum‹ protestiert.174 Ich wurde natürlich, wie ich das vorausgeahnt hatte, angezeigt. Um mich vor einer Verhaftung zu schützen, beurlaubte mich das Konsistorium schnellstens. Wir waren gerade fröhlich beim Singkreis in Dorlar, als der Herr Superintendent mit dem Auto vorfuhr. Am nächsten Tage wurde ich nach Koblenz befohlen, vor einen Konsistorialrat und unseren neuen Bischof, Dr. Heinrich Oberheid (ein führender deutscher Christ). Ich musste mich unterrichten lassen, dass der Röhmsche Aufruf in der Hauptsache sich gegen das unberechtigte Vorgehen von SA- und SS-Leuten175 gegen dritte Personen gerichtet habe und dass ich in einer geführten Kirche als Einzelner nicht eine so wichtige Sache vom Zaune brechen dürfe … Ich ließ mich bestimmen, soll ich sagen, verleiten?, meinen Protest öffentlich zurückzunehmen.

      Die Kreisleitung gab sich aber noch nicht zufrieden, sondern dort war ich schon seit Langem angeschwärzt als politisch unzuverlässig176, und Stützpunktleiter und Kreisleitung waren sich offenbar dahin


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