Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider

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Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald - Margarete Schneider


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195, einen DC-Mann, als »Stellvertretenden Landespfarrer« mit der Leitung der Rheinischen Kirche. Dr. Krummacher versuchte, die DC im Rheinland neu zu festigen, indem er sie in drei Obergaue einteilte und den Obergau Köln-Trier der Führung von Pfarrer Rudolf Wolfrum übergab. Dieser löste sich mit seinen Anhängern aber bald von der Landesleitung der DC, schlug einen radikal-völkischen Kurs ein und landete schließlich bei den »Thüringer Deutschen Christen«, denen er damit im Rheinland viel Einfluss verschaffte. Mit ihnen hatte es P. S. später auf dem Hunsrück zu tun. Die Häufung von DC-Massenveranstaltungen im Rheinland konnte es nicht hindern, dass die Glaubensbewegung DC zusehends zerfiel, während die BK sich formierte und in den Gemeinden an Boden gewann.

      Was hat vor dem Hintergrund dieser »Großwetterlage« P. S. Anfang des Jahres 1934 in Hochelheim erlebt?

      Anfang Januar wird Paul um eine Probepredigt in Monschau gebeten. Da ja Paul wegen »seines schriftgemäßen Verstandes der Abendmahlsfeier und der ernstzunehmenden Beichtfrage« im Konflikt mit seinem Hochelheimer Presbyterium stand, drängte das Konsistorium auf dessen Beschwerde hin auf Pauls Wegmeldung, aber noch fühlte er sich gebunden, und sein Weggehen wäre ihm als Fahnenflucht196 erschienen. So zieht er nach der Probepredigt seine Meldung zurück.

      Aber die Dinge gestalteten sich immer schwieriger. Paul hatte eine Äußerung gegen den Goebbels’schen »Moralin«-Aufsatz, der durch alle Zeitungen gegangen war, gemacht, und gerade als er sich im Februar 1934 wegen der Abendmahlsbeschwerden vor dem Konsistorium zu verantworten hatte, lief ein Telefongespräch vom Landrat ein, das seine Beurlaubung deshalb forderte.

      Der Aufsatz mit dem Titel »Mehr Moral, aber weniger Moralin«197, mit dem Josef Goebbels bewusst in die Kerbe schlug, die Ernst Röhm mit seinem Aufruf gegen das »Muckertum« geschlagen hatte, bezog sich wie jener zunächst darauf, dass engherzige, lebensfeindliche, zu kurz gekommene Nationalsozialisten, die im Grunde keine seien, »Sittenriecherei« verbreiteten. »Naturfremde Menschen, die entweder das Leben schon hinter sich haben oder nicht verdienen, dass sie noch eins vor sich haben, machen im Namen unserer Revolution in Moral. Diese Art von Moral hat oft mit wahrer Sittlichkeit nicht viel zu tun. Sie stellt ethische Gesetze auf, die vielleicht das Gemeinschaftsleben in einem Nonnenkloster zur Not regeln könnten, die aber in einem modernen Kulturstaat vollkommen verfehlt sind. Das ist Moralin statt Moral, und die dafür eintreten, sind von allen guten Geistern verlassen.«

      Diese Sittenrichter würden am liebsten »in Stadt und Land Keuschheitskommissionen einsetzen, die die Aufgabe hätten, das Ehe- und Liebesleben von Müller und Schulze zu überwachen. Sie würden, wenn es nach ihnen ginge, das nationalsozialistische Deutschland in eine Einöde von Muff und Muckertum verwandeln, in der Denunziation, Bettschnüffelei und Erpressung an der Tagesordnung wären …« Seine Quintessenz: »Mehr Lebensbejahung und weniger Muckertum! Mehr Moral, aber weniger Moralin.«

      Was Goebbels hier in seiner grob polemischen, auf die Zustimmung der Massen abzielenden Sprache schreibt, das könnte ein liberal denkender Mensch inhaltlich vermutlich bejahen. Aber P. S. spürte in diesem Aufsatz wie in Röhms Aufruf die sehr wohl berechnete Nebenwirkung: dass christliche Moral als lebensfeindliches »Muckertum« der Lächerlichkeit preisgegeben wurde. Wir wissen heute, wie sich später bei den nationalsozialistischen Siegern diese Art von »Moral« des »freien Herrenmenschen« ausgewirkt hat.

      P. S., der eigentlich Grund gehabt hätte, sich zurückzuhalten, nahm nun auch gegen Josef Goebbels Stellung. Er tat es in seiner Predigt vom 28. Januar 1934 über Matthäus 8,23-27, in welcher er unter dem Titel »Die Sturmfahrt der Kirche Christi und Jesu Herrlichkeit« sich heftig auseinandersetzte sowohl mit den Irrlehren der DC wie mit dem nackten Heidentum der »Deutschen Glaubensbewegung« und Rosenberg, dem Verfasser des »Mythus des 20. Jahrhunderts«. In diesem Zusammenhang hieß es da: »Wir sagen es auch offen, dass wir uns als evangelische Christen nicht mit allen Äußerungen und Reden mancher führender Männer des neuen Deutschland einverstanden erklären können. Uns schiert nicht der Vorwurf des Muckertums, wir fragen auch nicht nach ›Moral und Moralin‹, aber wir haben Gottes klares Gebot wider Hurerei und Ehebruch, das uns Luther in unserem Katechismus auslegt: ›Wir sollen keusch und züchtig leben in Worten und Werken …‹«

      Schon am Tag darauf informierte der NSDAP-Stützpunktleiter von Dornholzhausen die Kreisleitung der NSDAP über Schneiders Angriff gegen Goebbels. Und er gab ihr den Tipp, für den nächsten Tag sei Pfarrer Schneider zu seiner vorgesetzten Dienststelle in Koblenz vorgeladen. »Es wäre gut, wenn diese vor seinem Eintreffen schon über seine gestrige Hetzpredigt orientiert wäre.«

      Dazu kam, dass Paul Ende Januar 1934 die Notbund-Erklärung gegen den Reichsbischof-Erlass vom 4. Januar 1934 nach seiner Predigt über »Die Sturmfahrt der Kirche Christi und Jesu Herrlichkeit« (Matthäus 8,23-27) verlesen hatte: »Obwohl ich im Allgemeinen nicht Kirchenpolitik oder Politik auf die Kanzel bringe, sprach ich in dieser Predigt recht scharf gegen die DC und wies auch auf die Gefahren hin, die vom Volksleben und dem Staat auch im Dritten Reich dem Schifflein der Kirche Jesu Christi drohen« (Brief vom 4. Februar 1934).

      Auch das hat der Stützpunktleiter von Dornholzhausen dem Kreisleiter in Wetzlar geschrieben, dass Schneider nach seiner Predigt in kirchlichen Angelegenheiten gegen Reichsbischof Müller protestiert und gesagt habe, es seien schon einige Pfarrer da, die dagegen protestierten. Ihnen würde er sich anschließen. Der Stützpunktleiter fügt hinzu: »Zum Schluss gab er noch zu, dass er sich diese Äußerungen nicht erlauben dürfe, aber sein Gewissen würde ihm keine Ruhe lassen.«

      Bei der Verordnung, gegen die P. S. am 28. Januar 1934 protestierte, handelte es sich um den sogenannten »Maulkorb-Erlass« des Reichsbischofs Ludwig Müller, der seit dem Sportpalastskandal immer heftigerer Kritik ausgesetzt war. In seiner Unsicherheit verfiel Müller auf die Idee, im Erlass vom 4. Januar 1934198 den Pfarrern zu verordnen: »Der Missbrauch des Gottesdienstes zum Zwecke kirchenpolitischer Auseinandersetzung, gleichviel in welcher Form, hat zu unterbleiben. Freigabe sowie Benutzung der Gotteshäuser und sonstigen Räume zu kirchenpolitischen Kundgebungen jeder Art wird untersagt. Kirchliche Amtsträger, die das Kirchenregiment oder dessen Maßnahmen öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, insbesondere durch Flugblätter oder Rundschreiben, angreifen, machen sich der Verletzung der ihnen obliegenden Amtspflichten schuldig.« Gegen sie »ist unter sofortiger vorläufiger Enthebung vom Amt unverzüglich das förmliche Disziplinarverfahren einzuleiten. Für die Dauer der vorläufigen Amtsenthebung ist vorbehaltlich weitergehender Bestimmungen der Disziplinargesetze das Einkommen um mindestens ein Drittel zu kürzen.«

      Gegen diesen Erlass des Reichsbischofs verlas P. S. nach seiner Predigt über die Sturmfahrt der Kirche Jesu Christi die »Kanzelabkündigung der Bekennenden Kirche«199, die an diesem Sonntag von vielen Kanzeln verlesen wurde: »Wir erheben vor Gott und dieser christlichen Gemeinde Klage und Anklage dahin, dass der Reichsbischof mit seiner Verordnung ernstlich denen Gewalt androht, die um ihres Gewissens und der Gemeinde willen zu der gegenwärtigen Not der Kirche nicht schweigen können, und zum anderen bekenntniswidrige Gesetze von Neuem in Kraft setzt, die er selbst um der Befriedung der Kirche willen aufgehoben hatte. – Wir müssen uns auch dem Reichsbischof gegenüber nach dem Wort verhalten: ›Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!‹200«

      Unverzüglich schrieb nun Kreisleiter und Landrat Grillo aus Wetzlar an das Ev. Konsistorium der Rheinprovinz in Koblenz im Blick auf P. S. u. a.: »… bitte ich dringend, seine sofortige Suspendierung aussprechen zu wollen, da ich mich andernfalls nach Lage der Verhältnisse gezwungen sehen würde, Pfarrer Schneider in Schutzhaft zu nehmen«.

      Das in Aussicht gestellte Gespräch des Konsistoriums mit P. S. führte am 30. Januar 1934, dem Jahrestag der Machtergreifung Hitlers, in Koblenz Oberkonsistorialrat Euler201. Am nächsten Tag sandte P. S. die umstrittene Predigt vom 28. Januar über die »Sturmfahrt der Kirche Jesu Christi« an das Konsistorium in Koblenz. Er erklärte dabei:202 »Im Allgemeinen pflege ich kirchenpolitische oder politische Dinge nicht in die Predigt zu bringen. Ich glaube, dass es verkehrt war, den Namen des Herrn Dr. Goebbels zu nennen. Dass ich doch wieder trotz der vorausgegangenen Röhmsache zu einem ähnlichen Aufruf eines Ministers Stellung nahm, ist zu erklären aus der Sorge, wie solche Ausführungen auf ohnehin nicht moralfeste Nationalsozialisten,


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