DSA: Rabenbund. Heike Wolf

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DSA: Rabenbund - Heike Wolf


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gespannt, als er die Bretter beiseiteschob, die eine behelfsmäßige Tür abgaben. Der Hinterhof gehörte zu einem ehemals prachtvollen Haus, von dessen rückwärtigen Zimmerfluchten nur die rußverschmierten Mauern stehengeblieben waren. Im Erdgeschoss hatte sich eine ehemalige Gladiatorin eingenistet, die von sich behauptete, die Hausherrin zu sein, und im oberen Stockwerk Verschläge aus Flechtwerk und Stoffbahnen vermietete. Die Kammer, die sie Said und Rurescha überlassen hatte, lag in eine Mauernische geduckt und war sogar recht geräumig, wenn man von dem mit morschem Holz notdürftig zugedeckten Loch absah, wo der Fußboden eingebrochen war. Licht sickerte durch den schmutzigen Stoff, der Hitze und Regen notdürftig abhielt, und offenbarte im Halbdunkel zwei Lager und daneben eine Tasche, in der Said sein spärliches Hab und Gut verstaut hatte. Der Geruch von Rauchkraut und Arangen hing in der Luft, der unter dem Tuch unangenehm stickig war.

      Misstrauisch sah Said sich um. Es war alles, wie er es an dem Abend verlassen hatte, als er aufgebrochen war, um in Gilia Bonareths Gemächer einzusteigen. Nichts deutete darauf hin, dass Rurescha den Beschützer hierhergebracht hatte, auch wenn sie zwischendurch hier gewesen sein musste.

      Said trat an das Lager heran und ging in die Hocke, um nach der Holzschale zu greifen, die er der Maraskanerin vor einigen Monden geschenkt hatte. Sie war gefüllt mit frischen Arangenschalen. Eine Wolke feiner Fliegen stieg von den Fruchtresten auf und eine schwarzschimmernde Schabe huschte eilig davon. Die Schnittkanten der Arangenschalen waren gerade erst angetrocknet, sodass es keine Stunde her sein mochte, seit jemand hier gewesen war. Und es war sicher kein Häscher der Karinor.

      »Du bist zurück.«

      Said erstarrte, als er Rureschas Stimme hinter sich hörte. Langsam stellte er die Schale zurück und drehte sich um.

      Die Maraskanerin stand in der Tür. Grelles Mittagslicht umfloss ihre sehnige Gestalt, sodass er ihr Gesicht nur erahnen konnte. Das Haar trug sie zusammengebunden und über der Schulter die Tasche aus fleckigem Leinen, in der sie ihre Habseligkeiten mit sich herumtrug. Ihre Füße steckten in weichen Sandalen, vermutlich hatte er sie deshalb nicht gehört.

      »Es tut mir leid, dass ich dir nicht Bescheid geben konnte«, sagte er, und tatsächlich fühlte er sich erleichtert, sie unversehrt zu sehen. Auch wenn es eine Reihe von Fragen gab, auf die er dringend eine Antwort haben musste, war es gut zu wissen, dass sie noch da war. »Die Häscher der Karinor hätten mich fast erwischt. Ich hatte Glück, aber es hat einige Zeit gedauert, bis ich wieder auf den Beinen war.«

      »Ich habe es mir gedacht.« Er meinte, ein Lächeln zu erkennen, als sie nähertrat. Sie hob die Hand an seine Wange, suchte seinen Blick. Die Berührung war ebenso vertraut wie der Geruch nach Mohacca, der sie umgab, und doch war etwas in ihren Augen, was anders war als sonst.

      »Ich habe dich vermisst, Saidjian«, flüsterte sie, während sie den Kopf hob, um ihn zu küssen. Ihre Fingerspitzen strichen über die Hebung seines Wangenknochens, gruben sich in sein Haar. Er spürte ihren warmen Atem auf den Lippen, als sie den Mund einen Spalt weit öffnete, um ihn willkommen zu heißen, erleichtert und voller Sehnsucht nach den Tagen der Ungewissheit.

      Said schloss die Augen. Er wollte sie nicht küssen, sie mussten reden, über den Gefangenen, die Karinor, und auch über sich und darüber, wie es nun weitergehen sollte. Doch sein Vorsatz zerstob, als er ihre Lippen auf seinen spürte, die Zungenspitze, die sich nicht neckend wie sonst, sondern zielstrebig ihren Weg bahnte. Überrascht nahm er den Kuss auf, erwiderte ihn, während er zu verstehen versuchte, was sich verändert hatte. Zuletzt hatten sie nebeneinanderher gelebt wie Fremde, zu gefangen in ihrer Enttäuschung, um aufeinander zuzugehen. Vielleicht war es die Einsamkeit, die Rurescha daran erinnert hatte, dass sie einmal zwei gewesen waren. Seine Überlegungen schweiften ab, verloren sich in einem Moment plötzlichen Verlangens, als sich die Maraskanerin dicht an ihn heranschob, sodass er die harten Spitzen ihrer Brüste und die Wärme ihres Körpers durch den Stoff spürte. Sein Arm schob sich wie von selbst um ihren Oberkörper, zog sie an sich wie ein Ertrinkender. Schwindel erfasste ihn, aber dieses Mal versuchte er nicht einmal, ihn niederzuringen. Es war gleichgültig, ebenso wie die Karinor, Emilia Bonareth und Amato Paligan. Zumindest für ein paar kostbare Momente, die nicht Al’Anfa, sondern nur ihm und Rurescha gehörten.

      Er spürte, wie sie sich in seiner Umarmung bewegte, ohne sich auch nur einen Wimpernschlag von ihm zu lösen. Hungrig küsste sie ihn, dass es fast wehtat, aber auch das störte ihn nicht. Sie war nie sanft gewesen, wenn sie etwas wollte, und der Moment wäre ihm seltsam erschienen, jetzt damit anzufangen. Grob schob er ein Bein zwischen ihre Schenkel, die sich bereitwillig öffneten, während ihre Hand nach seinem Nacken griff.

      In dem Moment sah er aus den Augenwinkeln eine Bewegung, und mit einem Mal war das Kribbeln da, mit einer Heftigkeit, dass er erschrocken zurückfuhr. Etwas streifte seine Schulter, zerriss das Hemd, und einen Herzschlag lang spürte er die Kälte des Stahls auf der Haut.

      Said dachte nicht nach, als er sich fallen ließ und Rurescha mit sich riss. Sie schrie auf, aber es klang nicht überrascht, wie er erwartet hätte, sondern zornig. Mit einem Ruck entzog sie sich seinem Griff und hob die Hand mit dem Dolch. Einen Herzschlag lang starrte Said sie ungläubig an, sah in das wutverzerrte Gesicht und die traurigen Augen, und plötzlich begriff er.

      Im letzten Moment warf er sich zur Seite, als die Klinge auf ihn niederfuhr. Mit aller Anstrengung schlug er die Beine wie eine Schere um Rureschas Schenkel, sodass sie hart auf dem Boden aufprallte.

      Hastig rutschte Said zurück. Schwärze schob sich vor seinen Blick, während er versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. In seinen Schläfen hämmerte das Blut, aber sein Geist war klar. Wäre er bei Kräften, könnte er versuchen, Rurescha zu überwältigen, um zu erfahren, was für ein verfluchtes Spiel sie hier trieb. In seinem Zustand war er jedoch kaum mehr als ein Opfer, sodass er alles daransetzen musste zu entkommen.

      Die Maraskanerin rappelte sich auf und schüttelte den Kopf. Offenbar war sie bei ihrem Sturz härter aufgekommen als erwartet, aber das verschaffte Said wertvolle Zeit. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, rollte er sich zur Seite und auf das Loch zu, das im Boden gähnte. Er sah noch, wie sich Rureschas Augen weiteten, dann brach das morsche Holz unter seinen Füßen weg und er rutschte nach unten ins Dunkel.

      Über sich hörte er ein Fluchen, aber er hielt sich nicht damit auf, auf sie zu warten. Mit bleischweren Gliedern stemmte er sich hoch und taumelte zwei Schritte zur Seite, um hinter einem verkohlten Mauervorsprung in Deckung zu gehen. Sein Herz hämmerte vor Anstrengung, und er musste sich zwingen, ruhig zu atmen, während er sich an den abgeplatzten Putz lehnte.

      Der verwinkelte Raum, in dem er gelandet war, war halbwegs intakt, auch wenn auch hier der Brand gewütet hatte. Berge von Schutt lagen in den Ecken, offensichtlich sorgsam zur Seite getragen, denn in der Mitte des Raumes hatte jemand eine behelfsmäßige Feuerstelle errichtet. Dünne Lichtfäden drangen durch die Ritzen einer Tür, die jemand aus groben Holzbohlen zusammengezimmert hatte, und vor dem Fenster wucherte dorniges Gestrüpp, dessen Geäst die Helligkeit des Tages aufsog wie ein Schwamm.

      Eine magere Ratte stob beiseite, als Rurescha wie eine Katze auf allen Vieren aufkam. Langsam richtete sie sich auf, Staub tanzte in den Lichtfäden, die über ihren Arm und die Klinge ihres Dolches glitten.

      »Komm heraus, Saidjian.« Ihre Stimme hatte jede Wärme verloren. »Ich würde dich töten, aber man will dich lebendig. Zwing mich nicht, es trotzdem zu tun.«

      Said hielt die Luft an. Stumm horchte er in den Raum hinein, während seine Hand langsam zu dem Gurt unter seinem Hemd wanderte, wo er die Nadel verborgen hielt. Der Griff der Waffe fühlte sich vertraut an und beruhigend, und einen Herzschlag lang war er versucht abzuwarten, bis Rurescha nah genug war, um sie aus der Deckung heraus zu töten. Aber schon im nächsten Moment begann sich der Raum wieder vor seinen Augen zu drehen, sodass er die Lider zusammenkneifen musste, um an der Mauer nicht den Halt zu verlieren. Er konnte es nicht auf einen Kampf ankommen lassen. Er musste hier raus, koste es, was es wolle.

      »Ich höre dich, Saidjian.« Die Stimme der Maraskanerin kam wieder näher, sie musste fast unmittelbar vor dem Vorsprung stehen. »Es ist sinnlos, sich hier zu verstecken. Bruder Boron wird dich finden, wo immer du dich auch versteckst.« Wieder scharrten ihre Füße auf dem Schutt,


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