DSA: Rabenbund. Heike Wolf

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DSA: Rabenbund - Heike Wolf


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musste etwas tun, solange sie noch mit ihm spielte. Meister Darjin hatte es ihre größte Schwäche genannt, dass sie leichtsinnig wurde, wenn sie sich überlegen fühlte. Nun war es gut, dass es dem alten Meister nie gelungen war, diese Schwäche ganz aus ihr zu tilgen.

      Seine Finger zitterten, als sie sich um ein faustgroßes Stück Gestein schlossen. Es war die einzige Möglichkeit, riskant, aber eine andere Hoffnung blieb ihm nicht.

      Said schloss die Augen, zählte in Gedanken zwei Mal bis vier, während er ihren Schritten lauschte und einzuschätzen versuchte, wo sie sich befand. Dann sprang er auf.

      Sie stand nicht auf der anderen Seite des Raumes, wie er erwartet hatte, sondern keine zwei Schritte von ihm entfernt. Verblüffung zeigte sich auf ihrer Miene, Zorn und plötzliches Frohlocken, doch noch ehe sie zum Sprung ansetzen konnte, schleuderte Said den Stein.

      Es gab ein hässliches Geräusch, als das Geschoss ihre Stirn traf. Wie vom Donner gerührt hielt sie inne, einen endlosen Herzschlag lang, in dem sich ihre Augen erschrocken weiteten. Dann verklärte sich ihr Blick und sie brach mit einem erstickten Seufzer in die Knie. Blut rann über die Stirn und die Schläfen hinab, als sie zur Seite kippte und regungslos liegen blieb.

      Der aufgewirbelte Staub ließ Said husten, während er sich hinter dem Vorsprung hervorschob. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, Rurescha zu fesseln, um sie zu befragen, sobald sie wieder zu sich gekommen war. Aber er verwarf die Idee gleich wieder. Er hatte keine Ahnung, wer hier unten hauste, und er konnte sie unmöglich aus eigener Kraft nach oben schleppen. Er musste von hier verschwinden, ehe jemand mitbekam, was geschehen war. Für die Ratten des Schlunds war er eine viel zu leichte Beute.

      Sein Blick glitt kurz nach oben, aber in seinem Zustand war kein Denken daran, sich durch das Loch hinaufzuziehen. Zu seiner Erleichterung war die Tür jedoch nicht verschlossen, sondern nur angelehnt und mit Schutt verklemmt, sodass er sie nach einigem Ruckeln einen Spalt weit aufschieben konnte.

      Bleierne Stille lag über dem Hinterhof, als habe die Hitze alles Lebende in die Schatten der Ruinen getrieben. Noch einmal blickte Said zu Rurescha zurück, deren Kopf nach vorne gekippt war, sodass er ihr Gesicht nicht sehen konnte, und er zögerte. Er sollte sie töten, ehe er ging. Wenn sie jemand ausgeschickt hatte, um ihn zu fangen, dann würde sie wiederkommen, und beim nächsten Mal wäre sie nicht so leichtsinnig. Doch er konnte es nicht. Es war leicht, Leute zu töten, von denen man nicht mehr wusste als den Namen. Rurescha hingegen war ein Teil seines Lebens gewesen, eine Partnerin und Vertraute, seine Geliebte. Es tat erstaunlich weh, sie verloren zu wissen.

      Said wandte sich ab und schlüpfte durch die Tür hinaus auf den Hof. Sein Schädel dröhnte, und seine Knie zitterten, als er die Holzstiege ein weiteres Mal emporkletterte, aber er hatte keine Zeit zu verlieren. Wenn Rurescha nicht alles an sich genommen hatte, musste bei seinen Sachen noch das Geld sein, das er aus Meister Darjins Haus mitgenommen hatte. Mehr brauchte er nicht, wenn er nach Travinaia ging – das einzige Ziel, das ihm blieb, nachdem Rurescha ihm sein Faustpfand genommen hatte. Außerdem wartete Rahanez dort auf ihn. Die drei Tage, die sie ihm gegeben hatte, waren längst verstrichen.

      Shantalla

      Shantalla liebte den Duft der Arangenblüten. Ihre Plantage, die Confidenza, war stets davon erfüllt, und wenn die Abgeschiedenheit allein kein Grund war, hierherzukommen, dann waren es die weitläufigen Haine, die wenig mit den streng symmetrischen Feldern anderer Plantagen gemein hatten. Die Karinor hatten immer schon ein Gespür für Schönheit gehabt, sei es bei der Wahl ihrer Gatten oder bei der Gestaltung ihrer Besitzungen. Wo andere Häuser danach strebten, möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften, behielten die Karinor immer noch den Blick auf das Hübsche, Gefällige. Nicht umsonst trug ihr Zeichen neben der Rabenschwinge die Rose, das Symbol der schönen Göttin, die dem Haus ein ums andere Mal ihre Gunst erwiesen hatte. Shantalla atmete tief ein, und sie spürte, dass sie lächelte. Ja, Rahja und Boron meinten es gut mit den Karinor, und offensichtlich gefiel es nun auch dem Herrn Phex, sich diesem Reigen anzuschließen.

      »Ihr scheint zufrieden«, stellte Gilia Karinor mürrisch fest. »Ich nehme an, Ihr habt einen guten Grund, mich hierherzubitten?« Die Grandessa trug die Haare offen, und ihr knöchellanges Kleid schmiegte sich an die gefälligen Kurven, sodass ihre Erscheinung ein wenig an die Statuen erinnerte, die Shantalla vor einigen Jahren dem Rahjatempel gestiftet hatte. Bei ihrem Eintreffen hatte sich Shantalla kurzzeitig gefragt, ob ihre Base hoffte, sie mit ihrer Aufmachung ablenken zu können. Doch dann hatte sie in Gilias missmutiges Gesicht geblickt und verstanden, dass der Bonareth rahjagefällige Tändelleien wohl gerade so fern lagen wie dem berüchtigten Piratenadmiral Dagon Lolonna der Besuch eines Vinsalter Flötenkonzerts.

      Shantalla haschte nach einem Ast mit weißen Blüten, der tief genug hing, dass sie ihn erreichen konnte. »Den habe ich«, bestätigte sie lächelnd. »Sind Arangen nicht außergewöhnliche Pflanzen?«, fragte sie und schloss die Augen, während sie den Duft der Blüten in sich aufsog. »Ich habe bereits darüber nachgedacht, ob es nicht passend wäre, einen Hain auf dem Silberberg anlegen zu lassen. Es wäre entzückend, morgens mit ihrem Duft in der Nase zu erwachen. Ganz abgesehen davon, dass sie eine wunderbare Symbolkraft haben. Wusstet Ihr, dass sie wohl die einzigen Bäume sind, die Blüten und Früchte zugleich tragen?«

      »Interessant.« Gilia war neben ihr stehen geblieben. »Eure Verwandtschaft wäre sicher begeistert, wenn Heerscharen von Erntesklaven über Eure Terrasse marschierten. Aber Ihr habt mich sicher nicht hergebeten, um über die Gestaltung Eures Anwesens zu sprechen.«

      »Wie Ihr wisst, schätze ich Euren Rat, liebste Gilia. Doch Ihr habt recht, vertun wir keine Zeit. Schließlich naht ein Krieg.« Shantalla entließ den Ast, der sacht nach oben fuhr und dabei eine Handvoll Blütenblätter niederregnen ließ. »Wisst Ihr, es ist falsch zu glauben, dass wir immer nur diese eine, ausschließliche Entscheidung treffen müssen und Fronten verteidigen, die wir für unumstößlich halten. Manchmal eröffnen uns die Götter verschiedene Wege, und erlauben es uns, großmütig zu sein, anstatt den Gegner zu zerquetschen, nur weil Phex uns gerade ein gutes Blatt in die Hand gespielt hat.«

      »Ihr versteht es, für alles schöne Worte zu finden. Was Ihr großzügig nennt, würden andere als Abhängigkeit bezeichnen. Was vermutlich ein sehr viel ehrlicherer Ausdruck wäre.«

      »Ach was.« Shantalla winkte ab und setzte an, dem Weg weiter zu folgen. Die Pfade zwischen den Arangenbäumen waren sorgsam geharkt und von Unrat befreit, sodass der schattige Hain tatsächlich mehr einem wohlgestalteten Garten glich als einer Plantage, die dazu diente, Handelsgüter zu erwirtschaften. Hier und da schimmerte die Feuchtigkeit des mittäglichen Regens auf dem Laub, sodass trotz der hochstehenden Sonne eine angenehme Frische zwischen den Bäumen lag. »Abhängigkeit würde bedeuten, dass man einen Gegengefallen einforderte, der von der anderen Seite nur widerwillig gewährt würde. Das wäre kein Großmut, sondern Berechnung. Die ist auf Dauer schrecklich langweilig und zudem vorhersehbar – und gebiert obendrein neue Feindschaften.«

      »Worauf wollt Ihr hinaus, Shantalla?« Gilia war stehengeblieben. »Wenn Ihr mir etwas zu sagen habt, dann sagt es. Lasst mich raten: Es geht um diesen unseligen Vorfall bei Hochwürden Brotos Paligan?«

      Shantalla versicherte sich mit einem kurzen Blick, dass die Sklaven weiterhin außer Hörweite geblieben waren. Die Schönheit des Arangenhains war ein Grund gewesen, warum sie Gilia hierherbestellt hatte. Der zweite war, dass sie hier reden konnten, ohne dass sie anschließend ihren Hausmagus bemühen musste, die Erinnerung ihrer Dienstboten zu tilgen. Abgesehen von den Kosten war sie sich nicht sicher, wie viel der alte Zausel selbst dabei erfuhr, und sie würde es hassen, eines Tages vor die Entscheidung gestellt zu sein, wie sie mit einem käuflichen Zauberer umgehen sollte, der so viele ihrer großen und kleinen Geheimnisse kannte.

      »Ihr habt recht«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. Gilia würde ihr folgen, schließlich war sie es, für die seit besagtem Treffen viel auf dem Spiel stand. »Es war ein unerfreulicher Abend mit ebenso unerfreulichen Überraschungen. Habt Ihr bereits etwas unternommen, um Euren verschwundenen Beschützer zu finden?«

      »Natürlich. Er wird verschwinden, sobald man seiner habhaft geworden ist.«

      »Wie unschön.« Shantalla verzog das Gesicht. »Und unnötig.


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