Seewölfe Paket 22. Roy Palmer

Читать онлайн книгу.

Seewölfe Paket 22 - Roy Palmer


Скачать книгу
brummte Haddock, „hast wohl recht, Geoff. Also verdrücken wir uns lieber.“

      Sie benutzten die verschiedenen Trampelpfade, die sie inzwischen ausgekundschaftet hatten, um zur Lichtung zurückzukehren. Keiner der beiden kräftig gebauten Männer war feige oder scheute sich davor, seine Meinung notfalls auch mit den Fäusten durchzusetzen. Normalerweise hätten sie sich auch vor Joe Doherty nicht gefürchtet. Aber sie hatten dieses Monstrum lange genug erlebt, um zu wissen, wie hinterhältig und grausam der Kerl war. Einen ehrlichen Kampf konnte man mit dem Ungeheuer nicht austragen.

      Die gesamte Crew der „Dragon“ war bestürzt, daß sich Charles Stewart ausgerechnet diesen Doherty als Leibwächter ausgesucht hatte.

      Und: Brauchte ein Kapitän Ihrer Majestät überhaupt einen Leibwächter? So etwas war unter Seeoffizieren zumindest ungewöhnlich.

      Kearney und Haddock erreichten den Lagerplatz ihrer Gefährten von der „Dragon“, ohne daß die Killigrew-Strolche und die Hochwohlgeborenen etwas davon bemerkten. Denn die beiden Decksleute krochen im Schutz der am Boden Hockenden aus dem Dickicht hervor und befanden sich im nächsten Moment mitten unter ihnen. Von weitem war es unmöglich gewesen, festzustellen, wer oder was sich dort bewegt hatte.

      Flüsternd berichteten Kearney und Haddock über das Geschehen, das sie soeben miterlebt hatten. Ebenfalls im Flüsterton erzählten es jene, die in ihrer Nähe saßen, weiter. Innerhalb von wenigen Minuten hatte die Neuigkeit die Runde gemacht. So geschah es, daß die „Dragon“-Crew eher über den Stand der Dinge informiert war als etwa die Killigrew-Meute oder gar die sehr ehrenwerten Gentlemen.

      Wenn sie sich auch zu harten und ruppigen Seeleuten entwickelt hatten, so waren die meisten der Männer von der „Dragon“ doch ehrliche und anständige Burschen, denen gedankliche Winkelzüge und hinterlistige Tricks fremd waren. Allein schon deshalb war ihnen ein hirnloser Wüterich vom Schlage eines Joe Doherty zuwider.

      Nicht ganz geheuer war ihnen das Enterunternehmen gegen die „Orion“ von Anfang an gewesen. Kein Wunder, daß Marc Corbett so sauer reagiert hatte. Eigentlich geschah es Stewart und diesem Monk nur recht, daß sie sich eine Abfuhr geholt hatten.

      „Ein eigenes Schiff zu überfallen und zu entern!“ murmelte Geoff Kearney und schüttelte in der Erinnerung daran fassungslos den Kopf. „Das war doch regelrechter Wahnwitz“, ergänzte Thomas Haddock.

      „Wahnwitz?“ fragte einer der Nebenmänner erbittert. „Soll ich euch mal sagen, was das wirklich war? Ein Akt von Meuterei, noch dazu vom Kommandanten befohlen.“

      „Woher willst du denn das wissen?“ entgegnete einer der anderen spöttisch. „Bist doch kein Rechtsverdreher oder so was.“

      „Ich weiß, von was ich rede“, ereiferte sich der Mann. „Ich bin mal vor Jahren auf einer Kriegsgaleone gefahren, deren Kommandant sich vor Gericht verantworten mußte. Und ich wurde als Zeuge vernommen, Freunde. Der Kommandant hatte eine von den eigenen Galeonen entern lassen. Wir waren nämlich in Seenot geraten, lagen in der Bucht eines Felseneilands und hatten seit Tagen nichts mehr zu beißen. Wir waren vor Hunger halb verrückt, und da hat der Kommandant befohlen …“

      „Das ist doch mit unserem Fall gar nicht zu vergleichen“, sagte Kearney.

      „Aber ja! Der besagte Kommandant wurde nämlich unter anderem verurteilt, weil er einen meuterischen Akt begangen hatte.“

      „Welchen Namen das Kind kriegt, ist mir ziemlich egal“, brummte ein anderer Decksmann. „Es geht ja auch nicht bloß um das Entern der ‚Orion‘. Was Stewart sich hinterher geleistet hat, ist für mich noch viel schlimmer. Reißt sich die verdammten Goldkisten unter den Nagel, ohne sich um unser Schiff zu kümmern!“

      „Jawohl, eine Riesenschweinerei ist das!“

      „Und so was von einem Kapitän Ihrer Majestät!“

      „Der hat die Ehre der Marine besudelt!“

      „Uns alle in den Dreck gezogen!“

      „So einer darf doch kein Kommandant mehr sein!“

      Die zornigen Stimmen wollten nicht abreißen. Je mehr sie über das Verhalten Stewarts nachdachten, desto mehr brachte es sie in Rage. Daß sie trotzdem ihre Stimmen gedämpft hielten, lag nur daran, daß die Halunken des alten Killigrew in der Nähe hockten und auf keinen Fall etwas mithören durften.

      Still wurden sie erst kurz darauf, als Charles Stewart und Sir Robert wieder auf der Lichtung erschienen.

      Nein, Stewart hatte kein Recht mehr, sich noch länger als Kommandant aufzuspielen. Darin waren sich jetzt alle einig. Was aber plante er jetzt – gemeinsam mit diesen vornehmen Affen, die sich beim Untergang der „Dragon“ wie Halbirre gebärdet hatten? Daß Stewart und Monk etwas im Schilde führten, hatten die Männer bereits geahnt, als die beiden zum Lagerplatz der „Orion“-Leute aufgebrochen waren. Deshalb hatte Arthur Gretton, der Erste Offizier, auch nichts dagegen gehabt, als sich Kearney und Haddock freiwillig gemeldet hatten, ein wenig zu lauschen.

      Aus schmalen Augen beobachteten die Männer von der „Dragon“, wie sich am jenseitigen Rand der Lichtung eine Besprechungsrunde zusammenfand. Teilnehmer waren Charles Stewart, Bootsmann O’Leary von der „Lady Anne“, die beiden ferkelgesichtigen Killigrew-Söhne und die acht blasierten Gentlemen einschließlich Sir Robert Monk.

      Die Beratung dauerte nur etwa eine halbe Stunde. Das Ergebnis waren barsche Anweisungen, die O’Leary den Galgenstricken gab, die einmal die Crew der „Lady Anne“ gebildet hatten. Jetzt hasteten sie los und begannen, die drei Jollen seeklar zu machen.

      Die Männer hatten sich von ihrer Überraschung noch nicht erholt, als Charles Stewart unvermittelt auf sie zustelzte und sich breitbeinig vor ihnen aufbaute. Er stemmte die Fäuste in die Hüften und hob energisch den Kopf.

      „Herhören!“ verkündete er. „Ihr werdet jetzt alle eure Waffen abgeben!“

      Das eisige Schweigen, das seinen Worten folgte, drückte die Ablehnung der Männer aus.

      Langsam, herausfordernd langsam, erhob sich der Erste Offizier der „Dragon“. Arthur Gretton war ein hagerer, sehniger Mann mit einer Säbelnarbe auf der rechten Wange. Der Ausdruck seiner scharfen und hellen Augen wurde von einem energischen Kinn verstärkt. Er verschränkte die Arme vor der Brust.

      „Darf man erfahren, was diese ungewöhnliche Maßnahme zu bedeuten hat?“ fragte er kühl.

      Stewart sperrte den Mund auf und starrte seinen Ersten ungläubig an. Nicht sofort brachte er eine Antwort hervor.

      Gretton war bisher ein stets loyaler Offizier gewesen. Aber der Überfall auf die „Orion“ und die wahrhaft schamlose Verhaltensweise Stewarts in der letzten Nacht hatten ihm die Augen geöffnet. Nein, Arthur Gretton war nicht länger gewillt, diesem ehrlosen Mann zu gehorchen.

      Es war, als ginge ein Aufatmen durch die Reihen der Männer von der „Dragon“. Endlich wurden klare Verhältnisse geschaffen. Daß dies durch ihren Ersten Offizier geschah, war ihnen mehr als recht. Arthur Gretton genoß ihren vollen Respekt. Er war zwar ein scharfer Hund, der nie etwas durchgehen ließ. Aber er war gerecht und kein Schinder. Das allein zählte.

      So schätzten sie ihn alle ein, und im stillen hatten sie auch gehofft, daß er es sein würde, der diesem Hurensohn von einem Kommandanten endlich entgegentreten würde.

      So geschah es wie von selbst, daß sich die Männer nach und nach aufrichteten – erst langsam, doch dann immer energischer. Hinter Arthur Gretton versammelten sie sich als unübersehbare Rückenstärkung – eine Phalanx trotziger Männer mit harten Gesichtern.

      Stewart hatte indessen Luft geholt und endlich die Sprache wiedergefunden. Sein Gesicht war krebsrot angelaufen.

      „Mann, Sie haben keine Fragen zu stellen!“ brüllte er. „Sie haben Befehle zu befolgen! Ist das klar?“

      „Nein“, entgegnete Arthur Gretton kalt. „Seit der letzten Nacht habe ich keinen Kommandanten mehr. Folglich kann mir auch niemand etwas befehlen – am allerwenigsten eine


Скачать книгу