Seewölfe Paket 22. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.idyllischen Blick auf die Bucht bewundert. Er zwang sich zur Zurückhaltung. Bei Leuten vom Schlage Stewarts durfte man nicht mit der Tür ins Haus fallen. Das erweckte meistens ihr Mißtrauen. Eher sachlich und beinahe gelangweilt mußte man sie dazu bringen, von sich aus Interesse zu entwickeln.
Stewart bemerkte ihn schließlich, ließ seinen Leibwächter allein und stapfte auf den Falschspieler zu.
„Was treibt Sie in die Sonne, Sir Robert?“ fragte er stirnrunzelnd.
„Nachdenklichkeit“, erwiderte Monk einsilbig.
„Zukunftssorgen?“ Stewart grinste breit. „Keine Angst. Als Schiffbrüchige stehen wir gar nicht mal so schlecht da.“
„Mit den drei Jollen? Seien Sie ehrlich, Mister Stewart, es könnte besser sein. Das Beispiel haben wir schließlich vor Augen.“ Sir Robert deutete in die Richtung, in der sie beide die andere Gruppe unter Tottenham und Corbett wußten.
Stewart war geneigt, aufzubrausen. Ein versteckter Vorwurf lag in den Worten Sir Roberts. Er, Stewart, hatte sich nur um die beiden Goldkisten gekümmert, als die „Dragon“ gesunken war. Der Crew Anweisungen für sinnvolle Bergungsmaßnahmen zu geben, war ihm nicht eingefallen.
„Bei Corbett lagen die Dinge anders“, sagte Stewart pikiert. Er zwang sich, seinen aufkeimenden Groll herunterzuschlucken. „Die hatten nicht vorher so ein Theater mit ihren Jollen erlebt, wie es bei uns der Fall war.“
„Nennen Sie das Kind ruhig beim Namen“, entgegnete Sir Robert. „Der mißglückte Enterversuch hat uns ins Hintertreffen gebracht. Aber das muß nicht so bleiben, und Sie verstehen mich völlig falsch, Mister Stewart, wenn Sie denken, ich würde Ihnen etwas vorwerfen.“
„Was dann?“ Charles Stewart zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Was meinen Sie damit, es müsse nicht so bleiben?“
Sir Robert lächelte mild.
„Ich stehe nicht zufällig hier und lasse mir die Sonne auf den Pelz brennen. Das, was ich mit Ihnen zu besprechen habe, möchte ich nicht an die große Glocken hängen.“
Stewarts Staunen wich erkennbarer Spannung.
„Hören Sie auf mit der Geheimniskrämerei“, forderte er heiser. „Reden Sie bitte so, daß es ein normaler Mensch wie ich verstehen kann.“
„Aber gern. Es handelt sich um die ‚Lady Anne‘ und ihre Ladung. Beides brauchen wir noch lange nicht abzuschreiben.“
„So? Und warum nicht?“ Stewarts Spannung schlug in Skepsis um.
„Weil ich Anhaltspunkte über den Kurs habe. Wir können die ‚Lady Anne‘ verfolgen und kapern.“
„Sie spinnen“, sagte Stewart respektlos und im Brustton der Überzeugung.
Sir Robert schluckte es, ohne mit der Wimper zu zucken. In einer Ausnahmesituation galten eben außergewöhnliche Regeln. Wenn er sich mit Männern wie Stewart oder O’Leary verbündete, dann mußte er auch deren rüpelhaftes Benehmen erdulden. Monk hatte in dieser Beziehung wesentlich mehr Weitblick als die übrigen Gentlemen aus seiner Clique.
„Ich spinne keineswegs“, widersprach er höflich. „Was wir brauchen, sind lediglich zwei Jollen und eine kleine, aber schlagkräftige Truppe. Damit setzen wir uns möglichst noch in dieser Nacht von der Insel ab und segeln nach Südosten. In diese Richtung ist nämlich die ‚Lady Anne‘ verschwunden. O’Leary, der Bootsmann des alten Killigrew, hat das beobachtet. Man kann daraus immerhin folgern, daß sich der Schlupfwinkel des Killigrew-Bastards und seiner Meute irgendwo südöstlich der Bahama-Inseln befinden muß. Wenn Sie kein Wagnis auf sich nehmen wollen – bitte. Ich für meinen Teil habe jedenfalls nicht vor, hier auf der Insel zu versauern.“ Charles Stewart blinzelte ungläubig. Was der sehr ehrenwerte Sir Robert da von sich gab, klang nach äußerster Entschlossenheit. Bereits bei dem gescheiterten Enterunternehmen hatte er immerhin bewiesen, daß er in der Lage war, bei einer Sache mit anzupacken – ganz im Gegensatz zu den übrigen Hochwohlgeborenen.
Stewart gab sich einen Ruck. Es konnte also von Vorteil sein, die Andeutung Monks ernst zu nehmen.
„Angenommen, wir würden es schaffen, die ‚Lady Anne‘ aufzuspüren“, sagte er, „dann brauchen wir auf jeden Fall Schußwaffen. Wir haben zwar einige, aber es fehlt uns das Pulver dafür. Mit Blankwaffen eine Crew des Killigrew-Bastards anzugehen, ist viel zu riskant. Das sage ich Ihnen klipp und klar, auch wenn Sie mich für einen Feigling halten.“
„Um Himmels willen, nein! Sie haben völlig recht, Mister Stewart.“ Abermals deutete Monk zum Lager der „Orion“-Crew. „Wissen Sie, daß die da drüben ziemlich viele Pulverfässer abgeborgen haben? Nun gibt es drei Möglichkeiten: Entweder rücken die Burschen freiwillig ein paar Fässer heraus, oder wir holen sie uns mit Gewalt, oder wir bezahlen sie.“
„Bezahlen?“ Stewart schüttelte fassungslos den Kopf. „Womit denn?“
„Ganz einfach. Mit einem von den Goldbarren aus den beiden Kisten.“
„Was?“ Stewart schnappte nach Luft. „Ist das Ihr Ernst? Das Gold gehört mir. Ich denke nicht daran, es für irgendwas anderes …“
„Denken Sie lieber nach“, fiel ihm Sir Robert ins Wort. „In der augenblicklichen Lage ist das Gold so wertlos wie der Sand, auf dem wir stehen. Was wollen Sie denn damit anfangen? Wie können Sie überhaupt sicher sein, das Gold jemals an einen Ort zu bringen, wo es Ihnen von Nutzen ist? Fest steht doch, daß wir auf Pulver nicht verzichten können. Und Sie wissen ganz genau, daß die beiden anderen Möglichkeiten ausscheiden. Freiwillig rücken Tottenham und Corbett das Pulver nie heraus. Mit Gewalt werden wir es uns nicht holen können, weil die Kerle in der Übermacht sind. Also?“ Charles Stewart dachte eine Weile nach.
„Ich bin einverstanden“, sagte er schließlich. „Gehen wir erst mal rüber, und verhandeln wir mit ihnen.“
Der Lagerplatz der „Orion“-Crew befand sich in einer Schneise, die vom Strand aus weit in das Dickicht reichte.
Das Kreischen von Sägeblättern übertönte den Lärm, den die Tierwelt landeinwärts, im Dschungel verursachte. Auch Hammerschläge waren jetzt häufiger zu hören. Die Tauchergruppe, die mittlerweile beim Wrack der „Orion“ im Einsatz war, hatte neben anderen Materialien auch Nägel geborgen. Nein, es mangelte an nichts, was man für den Bau eines soliden Lagers brauchte.
Marc Corbett hatte den Männern beim Kochfeuer einen kurzen Kontrollbesuch abgestattet und unternahm jetzt einen Rundgang durch das weiträumige Gelände, auf dem die Wände der einzelnen Hütten in die Höhe zu wachsen begannen. Auf Pläne hatte man verzichtet. Gemeinsam mit Sir Edward Tottenham und dem Schiffszimmermann hatte Corbett lediglich die Plätze bestimmt, an denen die Hütten stehen sollten.
Für den eigentlichen Bau war der Schiffszimmermann verantwortlich. Er hatte den Männern die erforderlichen Instruktionen gegeben und ihnen verklart, nach welchem Muster die kleinen Holzgebäude aus soliden Baumstämmen errichtet werden sollten.
Lächelnd verharrte Corbett einen Moment, als er den Kapitän der „Orion“ erblickte. Sir Edward arbeitete in der Gruppe des Schiffszimmermanns mit. Er war damit beschäftigt, aus Tauwerk Faserstränge abzuteilen, mit denen die Baumstämme verzurrt werden sollten. Es war wichtig, daß die Hütten eine hohe Stabilität hatten. Denn vom Hörensagen wußte man, wie verheerend die Stürme in diesem Teil der Neuen Welt sein sollten.
Sir Edward hatte darauf bestanden, sich selbst für eine der Arbeitsgruppen einzuteilen. Er hatte dem Ersten Offizier die Aufsicht abgetreten, denn er selbst wollte, wie er Corbett vertraulich gesagt hatte, durch ordentliches Zupacken einen klaren Kopf gewinnen. Auch die übrigen Offiziere waren Tottenhams Beispiel gefolgt. So gab es praktisch niemanden, der etwa daran gedacht hätte, sich in den Schatten zu legen und zu faulenzen.
Auch über das weitere Vorgehen war sich Marc Corbett mit Sir Edward einig. Zunächst einmal sollten die Hütten fertig werden. Erst dann würde man darangehen, die im Süden und im Südosten gelegenen Inseln zu erkunden. So hatte es ihnen auch die rassige Frau auf dem Zweidecker geraten.