Seewölfe Paket 21. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.wir würden es nicht noch einmal wagen, von Luv her anzugreifen. Also zieht er seine Aufpasser, die Schaluppen, auf der Leeseite zusammen. Und dorthin, nach Steuerbord, werden sie auch alle stieren, weil sie uns aus der Richtung erwarten.“
„Hoffen wir, daß diese Rechnung aufgeht“, sagte Don Juan und atmete tief durch. „Wenn Cubera so taktiert, wie wir annehmen, werden wir jetzt auf der Luvseite nur noch eine Schaluppe vorfinden. Folglich tun wir genau das, womit Cubera am allerwenigsten rechnet.“
„Daher der Ostkurs“, sagte Ramón Vigil. „Wir segeln außer Sichtweite auf und setzen uns in vorliche Position. Dann brauchen wir praktisch nur noch die Lage zu peilen und loszuschlagen.“
Don Juan brummte zustimmend. Alles hörte sich so einfach an. Ob es nach dem mißglückten ersten Angriff aber diesmal klappen würde, stand in den Sternen. Immerhin war genausogut möglich, daß Cubera die umgekehrte Überlegung anstellte und eben jenen beabsichtigten Trick einkalkulierte.
Über Steuerbordbug segelnd, lief die Schebecke unterdessen beachtliche Fahrt. Nicht mehr als ein huschender Schatten, jagte der schlanke Dreimaster durch die Dunkelheit. Der Nordost füllte die rot-weißen Segel und ließ sie von Deck aus wie modelliertes Holz erscheinen. Weiße Gischtfetzen schwebten beiderseits des Bugs auf und verflüchtigten sich in der Finsternis. Die Wolkendecke war schon seit geraumer Zeit nicht mehr aufgerissen. Es war also kaum damit zu rechnen, daß sich die Sichtverhältnisse während der Nachtstunden noch besserten.
Don Juan berechnete die eigene Fahrt und die des wesentlich langsameren Verbandes und gelangte zu dem Ergebnis, daß er etwa eine Stunde vor Mitternacht eine vorliche Position zu dem Flaggschiff „San José“ erreicht haben mußte.
Eine halbe Stunde vor diesem Zeitpunkt ließ er die Schebecke nach Südosten abfallen und sichtete bald darauf die Silhouetten der Kriegsschiffe, die sich verschwommen über der Wasseroberfläche abzeichneten. Cubera hatte auf die Hecklaternen nicht verzichtet. Er konnte nicht das Risiko eingehen, daß seine Galeonen und Karavellen in der Finsternis untereinander den Anschluß verloren. Und gegen mögliche Überraschungsangriffe fühlte er sich letzten Endes durch die Schaluppen abgesichert.
Don Juan beugte sich über die Achterdecksverschanzung und spähte scharf nach Steuerbord.
„Hatten wir recht?“ rief Ramón Vigil mit unterdrückter Stimme und voller Spannung.
Erst nach einigen Minuten hatte Don Juan Gewißheit.
„Tatsächlich“, sagte er erleichtert, „nur eine Schaluppe auf der Backbordseite des Verbandes.“
Die Männer auf dem Hauptdeck hörten es ebenfalls, und augenblicklich spannte sich ihre Haltung an. Sie wußten, daß die Aufgabe diesmal erfüllt werden mußte. Denn alle waren fest entschlossen, das Ziel zu erreichen, das sie sich gemeinsam mit ihrem Kapitän gesetzt hatten.
Eine Stunde vor Mitternacht gab Don Juan den Befehl zum Angriff. Von Nordosten her stieß die Schebecke platt vor dem Wind auf den Verband zu.
Noch war alles ruhig. Auch war die Entfernung noch so groß, daß man die rot-weißen Segel nur mit äußerster Anstrengung bemerkt hätte. Überdies schien es sich tatsächlich so zu verhalten, daß die Ausgucks der Kriegsschiffe ihre Aufmerksamkeit weisungsgemäß nach Steuerbord richteten. Von dort erwarteten sie den nächsten Angriff.
Sie sollten ihr blaues Wunder erleben. Dieser feste Wille beseelte jeden einzelnen Mann an Bord der Schebecke. Diesmal würde der überraschende Vorstoß gelingen, und Cuberas Leute würden sich mit einem neuen Ruderschaden herumplagen müssen, ehe sie überhaupt wußten, wie ihnen geschah.
Mit angespannten Muskeln standen Don Juan und seine Männer hinter den Drehbassen. Ihre Sinne konzentrierten sich ganz auf das, was vor ihnen lag.
So bemerkten sie nicht sofort die leisen, klatschenden Geräusche. Erst als die großen Regentropfen auf ihre Kleidung fielen, wurden sie aufmerksam. Sie hoben den Kopf, blinzelten unwillig zum tief schwarz verhangenen Himmel und fanden nicht einmal mehr Zeit, einen Fluch auszustoßen.
In Sekundenschnelle wurde das vereinzelte Klatschen der Regentropfen zu einem regelrechten Trommelfeuer. Dann, einen Atemzug später, öffnete der Himmel sämtliche Schleusen.
Wie aus Riesenkübeln rauschte es herab. Von einer Minute zur anderen war die Schebecke von einem undurchdringlichen Regenvorhang umgeben. Schlagartig schmolz die Sichtweite zusammen und verurteilte die Männer zur Blindheit.
Ihnen blieb nichts anderes übrig, als die Läufe der Drehbassen nach vorn abzukippen, damit das Wasser wenigstens nicht in die Rohre lief. Eilends wirbelten sie herum. Aber es war bereits zu spät, die Kohlebecken noch zu retten. Zischend erlosch die Glut der Holzkohle unter dem mit fingerdicken Strängen niederströmenden Regen. Es prasselte und rauschte, und auf den Decksplanken entstand ein Feld von kleinen weißen Fontänen.
Im Handumdrehen waren die Männer bis auf die Haut durchnäßt.
„Schafft das Pulver ins Trockene!“ brüllte Don Juan und packte selbst das Fäßchen, das unter seiner Drehbasse auf den Achterdecksplanken stand.
Auf dem Hauptdeck hatten die Männer bereits mit der so wichtigen Arbeit begonnen. Schwarzpulver war ein hochexplosives Zeug, solange es knochentrocken blieb. Aber schon das geringste bißchen Feuchtigkeit genügte, um es in eine nutzlose Masse zu verwandeln. Statt feuchten Pulvers hätte man ebensogut eine Handvoll Sand in die Drehbassenrohre füllen können. Der Effekt wäre der gleiche gewesen: absolut keine Wirkung.
Voller Eile hatten die Männer eine Kette gebildet, und von Hand zu Hand wanderten die Pulverfässer unter Deck. Zwar waren die kleinen Fässer mit ihren Holzdeckeln lose verschlossen gewesen, doch es bestand die Gefahr, daß der Platzregen stellenweise durchgedrungen war. Man würde sich später darum kümmern müssen, eine möglicherweise feuchte Pulverschicht aus jedem einzelnen Faß abzutragen.
Vorerst war es aus mit der Gefechtsbereitschaft. Keinen einzigen Schuß konnte man abfeuern, denn es schüttete und schüttete, als wollten sich Himmel und Meer zu einer alles ertränkenden Flut vereinen.
Fluchend hastete Don Juan zurück auf das Achterdeck. Daß ihm die Naturgewalten einen Strich durch die Rechnung zogen, war mehr als teuflisch. Eine abergläubische Seele konnte annehmen, daß die Schicksalskräfte auf der Seite des spanischen Kampfverbandes standen.
Triefend und vom Regenstrom eingehüllt, stand Ramón Vigil wie ein Baum hinter dem Ruder.
„Jetzt fehlt nur noch, daß uns so eine verdammte Galeone in den Grund rammt!“ rief der Bootsmann. „Wenn man wenigstens bis über den Bug hinaus sehen könnte, wäre mir wohler. Soll ich etwa den Kurs halten, Señor Capitán?“
Don Juan überlegte keine Sekunde lang. Alles war sinnlos geworden. Auf dem jetzigen Kurs zu bleiben, war gleichbedeutend mit Selbstmord.
Kurzerhand befahl er Südostkurs. Diese Entscheidung barg das geringste Risiko. Die Gefahr einer Kollision war ausgeschlossen, und gleichzeitig hielt man Fühlung mit dem Verband.
Ein ungutes Gefühl in der Magengegend konnte Don Juan dennoch nicht abschütteln, als der Dreimaster auf dem neuen Kurs lag. Der wolkenbruchartige Regen schien kein Ende nehmen zu wollen. Die Sichtweite blieb unverändert miserabel, und alles in allem war es, wie durch ein Meer von Watte zu segeln.
Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, als der Regen so plötzlich aufhörte, wie er begonnen hatte.
Die Männer an Bord der Schebecke hatten das Gefühl, als würde der Vorhang ringsherum mit einem Ruck hochgezogen.
Vor ihnen tauchte ein mattgelber Lichtkreis aus der Dunkelheit auf.
Don Juan und seinen Gefährten gefror das Blut in den Adern.
Das Licht erhellte Teile des reichverzierten Achterkastells einer spanischen Kriegsgaleone. Und in erschreckender Deutlichkeit prangte dort oben der Schriftzug: „San José“.
„Hölle und Teufel!“ rief einer der Männer auf der Kuhl verhalten. „Wir sitzen mittendrin in dem verdammten Verband!“
Don