Seewölfe Paket 21. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 21 - Roy Palmer


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Verlangen ein, endlich zu schlafen.

      Hasard richtete sich auf einen längeren Kampf gegen das ein, was man im allgemeinen als den „inneren Schweinehund“ bezeichnet. Er durfte jetzt nicht nachgeben, er war auf seine Aktivitäten angewiesen und von ihnen abhängig. Seine Bewegungen waren nicht hastig, aber entschlossen, und er versah sein Werk mit Ernst und Akribie.

      Mit dem zweiten Riemen errichtete er in der Mitte seines Floßes einen Notmast. Ein Querholz diente ihm als Rah, und unter Verwendung des Segeltuches baute er ein Notrigg. Er setzte es und prüfte es auf seine Verwendungsfähigkeit. Nicht schlecht, dachte er grimmig, und in der Not frißt der Teufel Fliegen.

      Das Floß bewegte sich. Hasard benutzte den Riemen, mit dem er gewriggt hatte, als Steuer und nahm entschlossen Kurs auf Santo Domingo, das nach seiner groben Schätzung jetzt westwärts liegen mußte.

      Wieder verstrich die Zeit, und die Sonne stieg bis zu ihrem höchsten Punkt auf. Hasard saß mit angewinkelten Beinen da und hatte sich das Ende des Riemens unter die Achsel geklemmt. Er spähte zur Kimm, die sich in eine leicht flirrende Linie verwandelte, betrachtete die See und den tiefblauen Himmel und fragte sich, wie lange er dem Durstgefühl noch standhalten konnte. Das Verlangen, sich einfach hinzuwerfen und das Salzwasser zu schlürfen, wurde übermächtig. Seine Kehle brannte wie Feuer.

      Wie lange konnte ein Mensch ohne Wasser auskommen? Zwei Tage? Drei? Auf keinen Fall länger. Der Kutscher hatte es ihm einmal erklärt – oder war es sogar Doc Freemont gewesen? Egal, dachte er. Wasser war lebenswichtig, wichtiger noch als Proviant. Ohne Nahrung konnte ein ausgewachsener, kräftiger Mann sogar eine Woche lang aushalten. Aber der Durst brachte ihn innerhalb weniger Tage um. Wasser enthielt wichtige Substanzen, die den Organismus wie eine Antriebskraft versorgten. Wasser war das herrlichste Getränk der Welt, und allein die Vorstellung, es aus einer sprudelnden Quelle zu trinken, war verlockend und betörend.

      Er befeuchtete seine spröden Lippen ein wenig mit der Zungenspitze. Verdammt, dachte er, laß dich nicht unterkriegen. Du kannst es noch zwei Tage lang aushalten, ohne Wasser. Und du hast ja den Branntwein.

      Aber gerade der Branntwein war gefährlich. Er verdoppelte den Durst, schlimmer noch als das Seewasser. Er durfte das Fäßchen nicht anrühren. Er konnte einfach nur dasitzen, das Segel und die Pinne bedienen und darauf hoffen, daß er tatsächlich sein Ziel erreichte – oder irgendeine andere Insel.

      Nach wie vor war die See leer und verlassen, er schien der einzige Mensch weit und breit zu sein. Keine Mastspitzen und Flögel zeigten sich, keine Bewegung war zu registrieren. Alles war tot, einsam, sich selbst überlassen.

      Nur einmal hatte er sich in einer ähnlich ausweglosen Situation befunden, und gerade jetzt wurde er unangenehm daran erinnert. Seinerzeit in der Sahara, in Ägypten, bei der Erkundung des Nils, als die „Isabella VIII.“ im Kanal des Todes ihr Ende gefunden hatte – dort hatte die Verzweiflung nach ihm und seinen Kameraden gegriffen. Sie hatten die traurigste Episode ihres Lebens nicht mehr vergessen.

      Es wurde Nachmittag. Nur noch träge hob er den Kopf und überlegte, ob es nicht doch besser sei, jetzt ein wenig zu ruhen. Vielleicht brauchte er später noch dringend frische Energien, beispielsweise in der Nacht, wenn die Orientierung doppelt schwer war, oder beim Nachlassen des Windes, wenn er wieder darauf angewiesen war, zu wriggen.

      Plötzlich glaubte er, über der nördlichen Kimm eine Regung zu sehen. Täuschte er sich? Gaukelten sein Durst, die Schmerzen und die Müdigkeit ihm Trugbilder vor? Oder waren es wirklich Seevögel, die dort in den Himmel aufstiegen, kreisten und sich wieder fallen ließen?

      Er hatte sich nicht geirrt. Es waren Möwen. Land mußte in der Nähe sein. Dieses Mal wurden seine Hoffnungen nicht enttäuscht. Nur kurze Zeit später sichtete er nördlich seiner Position etwas, das sich als der flache Strand einer Insel entpuppte. Er lachte rauh, nahm die Notbesegelung weg und wriggte darauf zu, um nicht weiter abgetrieben zu werden. Die Schmerzen tobten in seinem Brustkasten, aber er kümmerte sich nicht darum. Seine Entdeckung bedeutete Rettung, Zuversicht – und vielleicht auch Wasser, zumindest aber eine Handvoll Kokosnüsse, die er aufschlagen und verzehren konnte.

      Eine palmenbestandene Insel hob sich vor ihm aus der See, ein Flecken Land wie viele dieser Art, die das Wohl oder Leid eines Schiffbrüchigen bedeuten konnten. Inseln der Karibik und der Südsee wirkten verheißungsvoll, wie ein Hort des ewigen Friedens und das Paradies schlechthin, aber sie konnten sich sehr schnell als schlangen- oder kannibalenverseuchtes Terrain herausstellen.

      Oder aber man traf auf Piraten, die dort ein Lager oder gar einen Schlupfwinkel hatten. Höchst selten stieß man auf hübsche Eingeborenenmädchen oder versteckte Schätze. Sie existierten meistens nur in den haarsträubend erlogenen Geschichten, die man sich in den Hafenkneipen erzählte. Entweder waren die Mädchen häßlich, oder die Schatztruhen gähnten ihren Entdecker leer an.

      Diese und ähnliche Gedanken gingen Hasard durch den Kopf, während er sich dem Eiland näherte. Sein Galgenhumor machte sich wieder bemerkbar – typisch. Er hatte nur einen Degen und ein Messer als Waffen. Falls er sich tatsächlich gegen irgendwelche Buschteufel zur Wehr setzen mußte, hatte er mit Sicherheit das Nachsehen.

      Er mußte es darauf ankommen lassen, er hatte keine andere Wahl. Immerhin, seine Navigation „über den Daumen“ zeitigte ganz offensichtlich den gewünschten Erfolg. Es mußte sich um Cay St. Domingo handeln, die Insel ganz im Süden der Columbus-Bank, die wiederum der südöstlichste Teil der Großen Bahama-Bank war, einem für die Schiffahrt höchst gefährlichem Bereich der See – wegen der unzähligen Korallenriffs und der flachen Wassertiefen.

      Die Zahl der Seevögel nahm zu, sie kreisten in Schwärmen über ihm. Ihr Kreischen und Zetern war fast Musik in seinen Ohren. Die Totenstille der See hatte ihn bedrückt, das Plätschern des Wassers am Floß war monoton. Endlich gab es eine Abwechslung – und er sah jetzt auch an der helleren Verfärbung des Wassers, daß jeder Zweifel ausgeschlossen war: Er hatte die Columbus-Bank vor sich.

      Wriggend steuerte Hasard die Insel an und lavierte zwischen Korallenbänken und Riffs in eine Lagune an der Südostseite. Das Bild, das sich seinen Augen bot, war von faszinierender Schönheit und Harmonie. Ein weißer Sandstrand, von flachen Büschen gesäumt, schmiegte sich an die Brandung, majestätisch erhoben sich die Palmen wie die Zacken einer prächtigen Krone über allem.

      Hasard steuerte in die Brandung. Sie hob seinen Untersatz leicht hoch und ließ ihn wieder sinken, und mit zunehmender Geschwindigkeit schoß er auf das Ufer zu. Er landete, sprang ins flache Wasser, knickte mit dem einen Fuß fast um, fing sich wieder und zog sein Floß auf den feinen weißen Sand.

      Die empört krakeelenden Möwen umschwärmten ihn. Sie fühlten sich in ihrer Ruhe gestört. Wie lange war es her, daß ein Mensch seinen Fuß auf diese Insel gesetzt hatte?

      Die Frage blieb unbeantwortet. Hasard blieb stehen, blickte zu den Vögeln auf und sagte heiser: „He, dann kann ich mich ja zumindest von Möweneiern ernähren, oder?“ Er erkannte seine eigene Stimme kaum wieder.

      Er schüttelte den Kopf, dann sah er sich nach allen Seiten um. An den Palmen hingen Kokosnüsse, und auch am Boden lagen welche. Er brauchte sich nur noch zu bücken, um den größten Durst und den schlimmsten Hunger zu stillen.

      Aber auch das Zertrümmern einer Kokosnuß war nicht so einfach, wie ein Unerfahrener sich das vorstellt. Das ideale Werkzeug wäre eine Axt gewesen, ein Beil oder ein schwerer Schiffshauer. Der Degen war nicht geeignet. Zu leicht konnte die Klinge zerbrechen. Hasard ließ sich auf die Knie sinken, zückte das Messer und nahm sich eine der im Sand liegenden Nüsse vor.

      Er klemmte sie sich zwischen den Oberschenkel, damit sie beim Zustechen nicht wegrollen konnte, mußte aber darauf achten, daß die Messerklinge nicht abrutschte und ihn verletzte. Probeweise setzte er die Spitze an, ritzte die brettharte Schale an, hob das Messer wieder und ließ es mit Wucht niedersausen.

      Die Klinge schob sich etwa bis zur Hälfte hinein und blieb stecken. Hasard hieb mit der Faust auf das Heft, konnte auf diese Weise aber nichts ausrichten. Deshalb nahm er die Nuß in beide Hände, drehte sie und rammte das Heft des Messers gegen einen Stein. Durch den entstehenden Druck drang die Klinge ganz ein, und ein feines Knacken


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