Seewölfe Paket 21. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.einmal kurz einen Blick auf die Seekarte geworfen. Die „Isabella“ hatte etwa an die fünfundzwanzig Meilen nördlich der Bahia de Nipe gestanden, an der Nordostküste von Kuba also.
Er wandte seinen Blick in die südliche Richtung. Weit entfernt kann sie also nicht sein, die Küste, dachte er. Sie zu erreichen, wäre nicht das größte Problem, aber was ist mit den Dons?
Die Überlebenden der beiden Galeonen pullten zur Küste, und zwar auf den Punkt zu, den sie am schnellsten erreichen konnten. Selbst wenn sie sich ins Landesinnere zurückzogen, mußte er, Hasard, immer noch damit rechnen, daß Posten aufgestellt waren. Auch konnten Schaulustige eingetroffen sein, die die Explosionen gehört und aus der Entfernung verfolgt hatten.
Bei dem Pech, das er zur Zeit hatte, konnte es ihm gut passieren, daß er gestellt und festgenommen wurde. Dann hatte es keinen Zweck, sich als Spanier auszugeben. Sie konnten ihn leicht entlarven, er war zu bekannt. Die Folge war, daß sie ihn vor ein Gericht stellten und entweder am nächsten Baum aufhängten oder standrechtlich erschossen.
Nein, dachte er, das Risiko darfst du auf keinen Fall eingehen. Aber welche anderen Möglichkeiten boten sich noch an? Er rief sich die Karte ins Gedächtnis zurück. Welche Insel lag in seiner Nähe? Gab es kein Eiland, auf dem er landen konnte?
Santo Domingo, dachte er. Das war eine Insel an der südlichen Spitze der Columbus-Bank. Dort konnte er verholen und an Land gehen, sich mit frischem Proviant versorgen, und – besser ausgerüstet als jetzt – die mühselige Fahrt fortsetzen. Er brauchte wenigstens ein bißchen Trinkwasser und Früchte oder Kokosnüsse, um den schlimmsten Hunger und Durst zu stillen, die sich früher oder später einstellen würden.
Erst danach konnte er daran denken, sich von Insel zu Insel in Richtung Osten zu den Caicos-Inseln vorzuarbeiten. Lange würde es dauern, er würde Tage benötigen, vielleicht zwei Wochen, weil er nicht unausgesetzt paddeln, wriggen oder pullen konnte. Er mußte mit seinen Energien haushalten und durfte sich nicht verausgaben. Wenn er vor Erschöpfung zusammenbrach, war er endgültig verloren.
Er dachte wieder nach und gelangte zu dem Schluß, daß es besser war, zunächst diese Nacht abzuwarten. Auf dem Kurs, auf dem er sich mit seinem Notfloß befand, mußten noch die Freunde folgen, denen Ribault und er mit der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ vorausgesegelt waren: der Schwarze Segler, die „Tortuga“, die „Caribian Queen“ und die „Pommern“.
Vielleicht, so dachte er, entdecken sie mich und fischen mich auf. Diese Hoffnung stärkte ihn zusätzlich. Sie konnten noch nicht vorbei sein, er hätte sie sehen müssen. Noch stand ihre Ankunft bevor, und wenn er auch nur ein schwaches Licht sah, würde er zu rufen beginnen.
Er konnte inzwischen keine Trümmerteile mehr in seiner unmittelbaren Nähe entdecken. Was das bedeutete, hielt er sich jetzt vor Augen. Der Nordostwind hatte ihn vom ursprünglichen Kurs abgetrieben und schob ihn immer weiter nach Südwesten. Er mußte auf seine bisherige Position zurückkehren, wenn er eine Chance haben wollte, von den vier Schiffen gesichtet zu werden.
Rasch knüpfte er aus einer der Leinen eine Schlaufe, die er an einer Kante des Floßes belegte. Dann schob er einen der beiden Riemen hindurch und begann, in Richtung Norden zu wriggen. Es klappte – sein Untersatz nahm Fahrt auf und glitt zu dem Schauplatz des kurzen, blutigen Gefechts zurück.
3.
Die Nacht war lang und von dumpfen, deprimierenden Fragen begleitet. Hasard hockte auf seinem Floß und kämpfte gegen die aufsteigende Müdigkeit an, die ihn gefangenzusetzen und in einen tiefen Schlummer zu entführen drohte. Aber er durfte nicht einschlafen. Er mußte wachen, um jeden Preis, mußte von Zeit zu Zeit wieder wriggen, um die Position zu halten, und nach den Schiffen des Bundes der Korsaren Ausschau halten, die nach seiner Berechnung nun bereits überfällig waren.
Wo waren sie? Er stellte sich die Frage, versuchte sie aber trotzdem zu verdrängen. Er überlegte, ob er in Abständen Rufe ausstoßen sollte, gelangte aber zu dem Schluß, daß auch das keinen Sinn hatte. Er schrie sich die Kehle aus dem Leib, und es brachte ihm doch nichts ein. Möglicherweise konnte er nur noch heiser krächzen, wenn sie, wirklich auftauchten, und der Wikinger, Reeves, die Rote Korsarin und Oliver O’Brien bemerkten ihn nicht. Auch die Toppgasten hatten nur einen bestimmten Sichtbereich. Wolken hatten sich vor den Mond geschoben, es war stockfinster. Auf eine Distanz von zehn, zwölf Yards konnte man kaum noch etwas erkennen, wie Hasard feststellte, als er den Blick auf die im Wasser treibenden Schiffstrümmer richtete.
Ein paar Teile trieben immer noch an ihm vorbei – diejenigen, die es am weitesten nach Norden katapultiert hatte. Jetzt glitten sie nach Süden davon. Was es für ihn zu holen gegeben hatte, das hatte er vereinnahmt, den Rest konnte er nicht gebrauchen.
Verschiedene Erwägungen beschäftigten seinen Geist. Waren die vier Schiffe aufgehalten worden? Gab es eine Nachhut der Spanier, mit denen sie durch Zufall zusammengetroffen waren? Nein – unmöglich. Die Kampfgeräusche wären bis hierher gedrungen, er hätte sie hören müssen.
Hatten die Wikinger, Reeves, Siri-Tong und O’Brien etwa eine Kursänderung vorgenommen? Auch das konnte er sich nicht vorstellen. Es wäre gegen die Vereinbarungen gewesen. Außerdem mußten sie den Kanonendonner und das Krachen der Explosionen vernommen haben, also war es nur logisch, daß sie auf die mutmaßliche Stätte des Gefechts zusteuerten.
Nach menschlichem Ermessen mußten sie früher oder später erscheinen. Hasard fragte sich, ob er sich vielleicht im Abschätzen der Zeit irrte. Ja, das mußte es sein. Für ihn war die halbe Nacht bereits verstrichen, dabei war seit seinem Unfall und dem Ende des Gefechts nur eine Stunde verstrichen. Oder?
Es hat keinen Sinn, dachte er, so kommst du auch nicht weiter. Er betrachtete das Fäßchen Branntwein und überlegte, ob er es anzapfen und sich einen Schluck gönnen sollte. Wo der Korken saß, wußte er inzwischen. Er brauchte ihn nur ein wenig zu lockern und konnte das edle Naß mit den Händen schöpfen.
Nein, dachte er. Er wollte völlig nüchtern bleiben. Alkohol war zwar eine gute Medizin, vor allem gegen die Schmerzen, aber er wollte seine Sinneswahrnehmung nicht schwächen. Hinzu kam, daß der Branntwein garantiert einschläfernd wirkte. Er mußte hellwach bleiben, nichts durfte ihn in irgendeiner Weise beeinträchtigen.
Die Zeit verstrich unendlich langsam. Wie lange hockte er schon so da? Er konnte es nicht mehr schätzen, aber er hatte doch den Eindruck, daß es viele Stunden waren.
Wo blieben die Schiffe?
Sie kamen nicht.
Was war geschehen?
Er wußte es nicht.
Tatsächlich zogen „Eiliger Drache über den Wassern“, die „Tortuga“, die „Caribian Queen“ und die „Pommern“ in dieser Nacht an ihm vorbei. Aber sie waren lautlose Schatten, deren Konturen von der Finsternis vollständig geschluckt wurden. Hasard erspähte sie nicht – und auch seine Kameraden ahnten nicht, daß er nur wenige hundert Yards südlich von ihnen als Schiffbrüchiger auf einem Stück Bordwand trieb. Einer sah den anderen nicht, und der Viererverband segelte nördlich von ihm vorbei.
Endlich graute der Morgen, und der neue Tag, der 25. Juli, setzte mit blassem Lichtschimmer ein. Hasard fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Seine Augen brannten, seine Züge waren angespannt, seine Glieder bleischwer. Er hatte Hunger und Durst, und die Zunge lag ihm wie ein pelziger Klumpen trocken in der Gaumenhöhe. Er atmete tief durch und streckte sich resigniert auf seinem Behelfsfloß aus.
Jetzt hatte er die bittere Gewißheit: Die Freunde waren längst an ihm vorbeigesegelt. Keine Mastspitzen zeigten sich an der Kimm, er war allein auf weiter Flur wie ein Verdurstender in der sonnendurchglühten Wüste. Die See ringsum war wie leergefegt. Wieder war eine Hoffnung zunichte, und es gab nichts mehr, das seine Lage auch nur ein klein wenig verbesserte.
Er mußte handeln. Wieder atmete er tief durch, dann hielt er nach Haien Ausschau. Aber keine Dreiecksflosse schnitt durch das Wasser, kein grauer Rücken zeigte sich. Hasard grinste freudlos, beugte sich etwas vor und schöpfte mit beiden Händen Seewasser,