Seewölfe Paket 16. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 16 - Roy Palmer


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      Damit war die Schiffsführung der „Goliath“ von ihrem Posten hinweggelobt, wie Ferris Tucker das nannte, und Hasard wandte sich der Besatzung zu, die in freudiges Gebrüll ausbrach, sich den Teufel um die pullenden Kerle scherte und die Seewölfe am liebsten einen nach dem anderen umarmt hätte.

      „Wer von euch ist der Decksälteste oder der Steuermann?“ fragte Hasard die Männer, die sich alle um die Seewölfe in der Kuhl scharten.

      Ein etwas älterer bärtiger Mann mit schmalem Gesicht trat vor.

      „Winley ist mein Name, Sir“, sagte er. „Ich bin der Decksälteste. Der Steuermann, Mister Prook, ist in der Piek eingesperrt und angekettet worden.“

      „Ein guter Mann?“ fragte Hasard.

      „Ein sehr guter Mann, Sir, charakterfest und stark.“

      „Dann steht seiner Befreiung ja wohl nichts mehr im Wege. Schicken Sie ein paar Leute nach vorn, und holen Sie ihn.“

      „Aye, aye, Sir, sofort. Wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Aber wir wissen nicht, wie das wohl enden wird.“

      „Auch dafür bietet sich eine Lösung an, ich möchte nur noch ein paar Einzelheiten erfahren.“

      Hasard sah dem Boot nach, in dem die Kerle hockten und eifrig nach Norden pullten. So hatten sie sich ihren Abgang von der „Goliath“ ganz sicher nicht vorgestellt. Es berührte ihn nicht, was aus den Menschenschindern wurde. Vielleicht blieben sie vor lauter Scham in Schweden, vielleicht schlugen sie sich nach England durch, und dort würden sie schon ein Märchen zur Hand haben.

      Wenige Augenblicke später stand der Steuermann vor ihm. Er drückte das Kreuz durch und rieb seine geschwollenen Handgelenke. Die anderen hatten ihm in kurzen Worten berichtet, war vorgefallen war. Jetzt gab er allen erfreut die Hand und konnte nicht begreifen, was ein Dutzend Männer innerhalb kurzer Zeit hier an Bord ausgerichtet hatte.

      Hasard sah in klare ehrliche Augen. Der Steuermann gefiel ihm auf Anhieb. Auch er sah aus schmalen Augen dem Boot nach, das immer kleiner wurde.

      „Das waren die übelsten Menschenschinder und Menschenverächter, denen ich je begegnet bin, Sir“, sagte er erbittert. „Sie behandeln jeden Straßenköter besser als einen Menschen.“

      „Ich hatte bereits das Vergnügen, die Gentlemen kennenzulernen“, erwiderte der Seewolf. „Um das festzustellen, genügte bereits ein Blick. Was ist hier an Bord bloß passiert, Mister Prook?“

      „Viel, sehr viel, Sir. Es gab bei den geringsten Anlässen die allerschwersten Strafen. Manch braver Mann wurde so lange geprügelt, bis er an den Verletzungen starb. An Bord gab es den letzten Fraß, und wer sich über Maden im Brot beschwerte, der erhielt mindestens zwanzig Hiebe.“

      „Eine feine Schiffsführung“, sagte der Profos kopfschüttelnd. „Die adeligen Herren litten sicher keine Not.“

      Der Steuermann lachte gallig auf.

      „Da gab es nur das Beste und Feinste für die Herren, von erlesenen Weinen bis zu ausgesuchtem Proviant. Kein Wunder, daß langsam Bitterkeit entstand, als es immer schlimmer wurde. Es wurde so schlimm, daß es schließlich eine Meuterei gab.“

      „Sie waren dabei?“ fragte Hasard.

      „Ja“, gab Prook ehrlich zu, „ich war dabei, Sir, denn ich konnte die Schinderei nicht mehr mit ansehen, denn immer öfter wurden gepreßte Leute grundlos gequält, gefoltert oder geschlagen.“

      „Was geschah mit den Meuterern, wurden sie gehängt?“

      „Alle, Sir, vierzehn Mann, bis auf mich. Ich wurde nur deshalb nicht gehängt, weil sie keinen Navigator hatten. Von den Achterdecksleuten verstand niemand etwas von Navigation.“

      „Und solche Kerle fahren zur See und nennen sich Kapitän“, sagte der Seewolf kopfschüttelnd. „Wahrscheinlich haben sich der Earl und seine Adelsclique ihre Ränge erkauft.“

      „Das ist anzunehmen, Sir. Hier haben sie sich dann gründlich an unschuldigen Männern ausgetobt.“

      „Welchen Auftrag oder Order hatte das Schiff, Mister Prook?“

      „Die Order bestand darin, Handelsbeziehungen in der Ostsee mit den Anliegerstaaten anzuknüpfen sowie Holz, Pelze oder Bernstein aufzukaufen.“

      „Und das gelang nicht?“ fragte Hasard gespannt. Vielleicht konnte er aus den Erfahrungen dieser Männer etwas lernen.

      „Nein, es gelang nicht. Wir sind leer, wir haben absolut nichts in den Räumen als leere Fässer. Das lag jedoch nur an dem arroganten und fordernden Auftreten des Earls. Auf diese herablassende Art waren keine Handelsbeziehungen anzuknüpfen, denn der Earl bestimmte von vornherein gleich die Preise, setzte alles fest, befahl oder drohte, was die ehrbaren Kaufleute natürlich gleich abschreckte.“

      „Verständlich. Wie lange wart ihr unterwegs?“

      „Fast auf den Tag ein Jahr, Sir.“

      „Ein Jahr?“ fragte Hasard erstaunt. „Ein ganzes Jahr und nichts ist erreicht worden, absolut nichts? Da wird sich die stolze Royal Navy über ihren merkwürdigen Kommandanten sehr freuen. Der hätte ja gar nicht wagen können, England noch einmal anzulaufen. Er hat der Krone nichts weiter als Kosten beschert.“

      Hasard wandte sich an Ferris.

      „Sie hatten genau die gleichen Order wie wir, vermutlich auch über Lord Cliveden. Aber nach einem Jahr hat der Lord die ‚Goliath‘ längst abgeschrieben oder zumindest erkannt, daß der Earl für seine Aufgabe total ungeeignet war. Wer weiß, was die Kerle mit dem Schiff vorhatten, denn es will mir nicht in den Kopf, daß sie so einfach England angelaufen und erklärt hätten, ihre Mission sei kläglich gescheitert. Damit wäre der Earl bei Hofe untragbar geworden.“

      „Kann ich mir auch nicht vorstellen“, sagte Ferris. „Irgendeine Lumperei hatten die Kerle ganz sicher vor. Wir werden es jedenfalls anders anpacken, Sir.“

      „Ganz sicher sogar.“

      Hasard blickte die Männer der „Goliath“ an, die sich nun alle bis auf den Rudergänger ausnahmslos um die Seewölfe geschart hatten. Er sah zufriedene und glückliche Gesichter, Männer, die heilfroh waren, ihre unmenschlich Plagegeister losgeworden zu sein, aber er sah auch in Gesichter, in denen die bange Frage nach der Zukunft stand, denn die Frage, wie es nun wohl weiterginge, stellte sich jeder.

      Der Steuermann wollte sich noch einmal überglücklich bei Hasard bedanken, doch der Seewolf wehrte ab.

      „Niemand ist uns zu Dank verpflichtet“, sagte er. „Wir ahnten ja nicht, welche Zustände hier herrschten. Der Earl hat nur gewagt, freie Männer zu requirieren, er hat mich persönlich beleidigt und wollte einem unserer Leute die Peitsche geben, nur weil er eine andere Hautfarbe hat. Da haben wir vereinbart, schnell aufzuräumen, um unsere Freiheit wieder zu erhalten. Menschen sind kein Material und müssen wie Menschen behandelt werden und nicht wie Tiere. Ich hoffe, Seine Lordschaft ist um eine Erfahrung reicher.“

      „Aber Sie werden Schwierigkeiten kriegen, Sir“, wandte Prook ein.

      „Das glaube ich nicht. Der Earl hat versagt, kläglich versagt, und die Schwierigkeiten wird man ihm aufbürden, vorausgesetzt, er läßt sich überhaupt noch einmal in England blicken. Vielleicht hatte er auch vor, das Schiff mit Mann und Maus absaufen zu lassen, ich traue dem Kerl alles zu, nur damit er mit reingewaschenem Hemd dasteht. Aber das ist nur eine Vermutung von mir.“

      „Die könnte durchaus zutreffen, Sir“, meinte Prook nachdenklich.

      Auch der Decksälteste Winley nickte nachdenklich.

      „Sir“, sagte Prook vorsichtig, „wir selbst befinden uns natürlich auch in einer mehr als schlechten Lage. Wenn wir das Schiff nach England zurückbringen, wird man uns aufhängen, weil die gesamte Schiffsführung verschwunden ist. Wir sind zwar fast alle gepreßt worden, aber das wird keine Rolle spielen. Immerhin stehen wir namentlich in der Mannschaftsrolle und werden auch im Logbuch erwähnt.“


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