Seewölfe Paket 18. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.Shawano befahl seinen Kriegern, die Fesseln der fünf Männer zu lösen.
Marcos rieb sich die Handgelenke und fragte: „Habt ihr eine Vorstellung, wohin ihr segeln wollt?“
„In Richtung des Sonnenuntergangs“, sagte Shawano bedächtig. „Von den Alten wissen wir, daß im Norden immer Land sein wird, ebenso soll weit in Richtung der untergehenden Sonne Land sein, dahinter aber wieder das große Wasser bis zur Unendlichkeit.“ Er lächelte verhalten. „Wir werden sehen, wohin uns die Windgötter leiten. Was würdest du vorschlagen?“
Marcos blickte den alten Häuptling offen an und erwiderte: „Im Norden, wo immer Land ist, könnten wir meinen Leuten begegnen, Shawano. Sie haben dort Stützpunkte wie in der Waccasassa Bay. Ich nehme an, daß du nicht die Absicht hast, sie zu treffen. Sie würden auch merken, daß du ein Schiff segelst, was dir nicht gehört.“
„Das Schiff wurde von den Timucuas erbaut“, sagte Shawano. „Das Holz, aus dem es ist, gehört niemandem, aber dennoch mehr den Timucuas als den Spaniern, weil wir hier leben, seit wir denken können. Ihr seid Fremde, die niemand gerufen hat. Dennoch tut ihr, als gehöre euch alles. Das einzige, was euch an dem Schiff gehört, sind die Segel, die Taue, die Nägel und die Feuerrohre. Wir haben kein schlechtes Gewissen, wenn wir sagen, daß dieses Schiff uns gehört. Aber es ist wohl zwecklos, daß wir uns jetzt darüber unterhalten. Du hast recht, wir wollen deinen Leuten nicht begegnen. Wir wollen unseren Frieden haben.“
„Dann ist es richtig, nach Westen in Richtung der untergehenden Sonne zu segeln“, sagte Marcos. Er nickte entschlossen. „Gut, dann sollten wir jetzt die Leinen loswerfen und die Segel setzen. Ich werde das Ruder übernehmen.“ Er drehte sich zu seinen vier Gefährten um. „Ihr müßt ihnen jetzt zeigen, was alles zu tun ist, um segelklar zu sein. Sie wissen es nicht, aber sie werden es lernen. Und ich glaube, sie werden schnell lernen. Nehmt euch vier, fünf Männer jeweils mit, wenn ihr zu den Rahen aufentert. Laßt nichts aus, was sie wissen müssen. Denkt daran, daß wir in einen Sturm geraten können, bei dem sie mitanpacken müssen, wenn wir alle überleben wollen. Sie müssen lernen, lernen, lernen – und ihr seid die Lehrmeister.“ Etwas leiser fügte er hinzu: „Ich halte das für eine gute Aufgabe, für sie etwas tun zu können. Und vergeßt nicht, daß wir eine Schuld abzutragen haben. Sie wurden von Baquillo und seiner verdammten Bande wie Tiere behandelt.“
Die vier Männer nickten. Sie waren ähnlicher Ansicht wie Marcos. Und sie hatten inzwischen aus den Worten des alten Häuptlings gespürt, daß er es ihnen gegenüber ehrlich meinte. Nein, er wollte sich keine Feinde schaffen, er wollte Freunde haben. So riefen sie den Kriegern zu, ihnen zu folgen. Sie verteilten sich über das Schiff, jeder mit einer Gruppe indianischer Männer um sich, und sie begannen zu erklären, zu zeigen, zu demonstrieren.
Eine halbe Stunde später glitt die „San Donato“, ein spanisches Schiff – nach Meinung der Spanier –, aber bemannt von indianischen Menschen, aus der Waccasassa-Bucht. Nur Fock und Besan waren gesetzt, das genügte zum Auslaufen und zum Manövrieren. Außerdem wollte Marcos nichts überstürzen. Die Galeone Ring auf Westkurs und verschwand im Dunkel der Nacht.
8.
Am Morgen des 13. September huschten – bildlich gesprochen – die Ratten aus ihren Löchern. Die Ratten, das waren Don Angelo Baquillo und die vier letzten Männer seines Stabes, von dem einer in der Nacht spurlos im Sumpf verschwunden und ein zweiter von einer Giftschlange ins Jenseits befördert worden war.
Don Angelo Baquillos Kommentar dazu hatte gelautet, daß er sowieso der Ansicht gewesen wäre, nur die Starken hätten ein Anrecht darauf, zu überleben. Bei den beiden hätte es sich um komplette Idioten gehandelt, denen man nicht nachzutrauern brauche.
Als sie sichernd die Siedlung betraten, rümpfte Don Angelo Baquillo verächtlich die Nase. Seiner Meinung nach waren auch die gefallenen Soldaten zu den Idioten zu zählen. Sie hätten eben besser kämpfen müssen, dann wären sie noch am Leben – basta!
Was der Kommandant allerdings absolut nicht begriff, das war die Tatsache, wie es diesen dummen indianischen Bastarden hatte gelingen können, mit der „San Donato“ die Bucht zu verlassen. Das grenzte ja an Teufelswerk! Sie hatten, versteckt in den Sümpfen, das Auslaufen beobachtet. Waren da Verräter mit am Werk gewesen?
Der Anblick der leeren Pier war für Don Angelo Baquillo sehr schmerzvoll, viel schmerzvoller als der Anblick seiner toten Soldaten, für die er tatsächlich nicht die Spur eines Schmerzes empfand.
Nein, mit der entschwundenen Galeone entging Don Angelo Baquillo – leider, leider – ein ansehnlicher Batzen zusätzlichen Geldes, weil Spanien ja nicht für etwas bezahlte, was gar nicht existierte.
Die Sache war die, daß er die Kostennachweise für den Bau der Galeonen manipulierte und auf diese Weise Gelder einstrich, die er nie ausgegeben hatte. Er stellte falsche Rechnungen auf, die zum Teil die Entlohnung der eingesetzten Arbeitskräfte betrafen. Dabei verschwieg er, daß er diese Arbeitskräfte – sprich, die Timucuas – gar nicht entlohnte. So einfach war das. Und dennoch baute er billige Schiffe. Das sollte ihm mal einer nachmachen!
Da stand er also an der leeren Pier und starrte auf die Bucht hinaus, hinter der sich die weite See erstreckte. Eine Ratte befand sich dort, deren Nase sich unruhig hochreckte, als wittere sie nach allen Seiten.
Die vier anderen Kerle, die Offiziere seines Stabes, darunter der Adjutant, verhielten hinter ihm und witterten ebenfalls, aber natürlich als untergeordnete Ratten. Dabei sahen sie alle gleich luderig aus, nämlich vom Morast und Sumpf verdreckt, nichts blitzte mehr, heim- und hutlos hing ihnen das verschwitzte und gleichfalls dreckige Haar in Strähnen im Genick oder ins Gesicht, und in diesen Gesichtern spiegelte sich alles mögliche, nur nichts Erfreuliches.
Zwei von ihnen waren geflüchtet, ohne noch in ihre Stiefel steigen zu können. Sie waren unruhiger als die drei anderen, weil ihnen die Sohlen brannten. Und natürlich spürten sie, wie lächerlich sie aussahen – in mit Dreckklumpen behangenen Kürbishosen, aus denen ihre Unterbeinkleider samt weißer, recht unansehnlicher Beine wie Stelzen herausragten. Der würdige, ehrfurchtgebietende Aufzug des Offiziers war ihnen abhanden gekommen. Kleider halten ja einen Menschen zusammen, Uniformen erst recht.
Nun, hier bei diesen beiden und den drei anderen war das anders. Sie waren nackt geworden. Ratten Wirken auch nackt, wenn sie im Wasser gewesen waren. Ihr Fell sieht dann wie angeklatscht aus. Das Fell dieser Ratten war zwar ursprünglich bunt und drapierend gewesen. Jetzt jedoch hatte es Farbe und Form verloren, denn sie hatten sogar bis zum Hals in sumpfigen Wasserlöchern gehockt. Und vor irgendwelchen tanzenden Nebelschwaden hatten sie dann auch noch den Kopf in die morastige Brühe getaucht, um vom „Feind“ nicht gesehen zu werden.
Sie waren zu Zerrbildern geworden.
Und sie waren ratlos, unfähig zu begreifen, daß ihr Herrendasein wie eine Seifenblase zerplatzt war. Dafür waren sie natürlich um so empörter, wie das hatte geschehen können. Gottgleich und für unantastbar hatten sie sich gehalten – und meinten immer noch, daß es so sei. Ein Irrtum mußte das alles sein, ein Hirngespinst, nun ja, ein verrückter Traum, den man in diesem unangenehmen Land schon mal haben konnte, das da und dort oder auch hier von dummen, aber ebenfalls unangenehmen Wilden bewohnt wurde.
Daß es diese Wilden nun auch noch gewagt hatten, zu rebellieren, und zwar mit Erfolg, das paßte nicht in ihr Weltbild, das war ungeheuerlich.
Und natürlich waren sie weit davon entfernt, bei sich selbst die Ursache für die Rebellion der Timucuas zu suchen. Ebenso natürlich war es die Schuld der Truppe, daß es ihr nicht gelungen war, den Aufstand niederzuschlagen. Schlappschwänze waren das, jawohl, da hatte der Kommandant völlig recht. Daß sie selbst sich heimlich abgesetzt hatten, während die Truppe kämpfte, war natürlich eine strategisch-taktische Maßnahme gewesen, weil sie als Stab den denkenden und planenden Kopf der Truppe darstellten. Es war äußerst wichtig, daß dieser Kopf erhalten blieb. Jetzt allerdings fehlte dem Kopf der Rumpf, nämlich die Truppe, also gab’s nichts mehr zu denken und zu planen, weil da niemand mehr war, der die Pläne in die Tat umsetzte,