Seewölfe Paket 17. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.erschließen für Güter, die es in Deutschland bislang kaum gibt – Edelmetalle, Perlen und Edelsteine, Gewürze und Tabak, Zucker, Kakao, Indigo und vieles mehr.“
„Ich habe von diesen Gütern gehört“, sagte Arne und nickte, „aber der Handel damit wird doch von den Spaniern beansprucht.“
Hasard und Nils Larsen lächelten.
„Dieser Machtanspruch besteht für uns als Engländer nicht“, entgegnete Hasard, „das Recht, auf das sich die Spanier berufen, ist das Recht der Gewalt. Denke an Polens König Sigismund und sein Bernsteinmonopol. Nichts anderes treiben die Spanier auf ihre Weise. Diesem Machtstreben haben wir seit Jahren den Kampf angesagt. Mit Erfolg.“
„Daran zweifele ich nicht“, sagte Arne. Er leerte sein Glas. „Ich werde über deine Worte nachdenken. Im Augenblick habe ich das Gefühl, ein neues Ziel vor Augen zu sehen. Aber ich weiß auch, daß man nicht aus einer anfänglichen Begeisterung heraus entscheiden sollte.“
Kurze Zeit später verabschiedete Hasard seinen Vetter. Eine bleierne Müdigkeit hatte Arne ergriffen. Die seelischen Qualen, die er an diesem Tag durchgestanden hatte, blieben auch für einen Mann wie ihn nicht ohne Folgen.
Schon bei Sonnenaufgang setzten die „Isabella“ und die „Wappen von Kolberg“ Segel und verließen den Hafen von Rügenwaldermünde. Der 8. April zeigte sich von einer freundlicheren Seite. Die Wolkendecke war aufgerissen und ließ weite Flächen blauen Himmels durchscheinen. Der Wind blies handig aus Nordwest. Die dünnen Schaumkronen der Wellen glitzerten im frühen Sonnenlicht. Beide Galeonen liefen rauschende Fahrt über Backbordbug.
Etwa zwei Stunden nach dem Auslaufen aus Rügenwaldermünde wurden die Männer auf dem Achterdeck der „Isabella“ von der „Wappen von Kolberg“ angepreit. Der Seewolf folgte dem Beispiel seines Vetters und ließ die Segel ins Gei hängen. Arne ließ die Jolle abfieren und enterte Minuten später über die Jakobsleiter der „Isabella“ auf. Hasard begrüßte ihn an der Pforte im Schanzkleid.
„Mir ist verschiedenes durch den Kopf gegangen“, sagte Arne, „ich muß es mir von der Seele reden.“
„Dafür habe ich Verständnis“, erwiderte der Seewolf. Abermals zog er Nils Larsen hinzu, als er sich gemeinsam mit seinem Vetter in die Kapitänskammer begab.
Währenddessen wurde die Jolle zur „Wappen von Kolberg“ zurückgerudert. Dort hatte Renke Eggens, Arnes Erster Offizier, das Kommando übernommen. Auf dem Achterdeck der „Isabella“ war es Ben Brighton, der Erste Offizier, der die erforderlichen Kommandos gab. Befehle hallten über die Decks der beiden Galeonen, und sehr bald füllte der Wind wieder das Tuch.
„Es ist gut, wenn man die Dinge überschläft“, sagte Arne, „ich werde dieses Ziel ins Auge fassen, das du für mich umrissen hast. Vor allem muß ich mit meinem Vater und meinen Brüdern darüber reden. Schließlich gibt es das Handelshaus unserer Familie in Kolberg und außerdem …“ Er unterbrach sich, und es gelang ihm, zu lächeln. „Nun, da ist noch etwas, das mir erst nach unserem Gespräch von gestern abend eingefallen ist. Es handelt sich um unser Gut in Alt-Quetzin. Das ist östlich von Kolberg, ein alter Familienbesitz. Dein Vater, Godefroy von Manteuffel, sollte dieses Gut damals übernehmen.“
Hasard verspürte einen Stich. Er mußte an seine eigenen Worte vom vergangenen Abend denken. Der Schmerz blieb für alle Zeiten. Und selbst wenn man glaubte, ihn vergessen zu haben, drang er doch gelegentlich wieder an die Oberfläche.
„Sprich weiter“, bat er leise.
„Ein Gutshof und ein Handelshaus, das klingt nach einer merkwürdigen Zusammenstellung. Aber die von Manteuffels waren in vielen Generationen Seefahrer und Bauern, und sie haben beides geschickt miteinander verknüpft. Wie dem auch sei, genaugenommen bist du der rechtmäßige Erbe von Alt-Quetzin. Denn nach dem alten Familiengesetz muß immer der Erstgeborene das Gut übernehmen.“
Hasard blinzelte verblüfft. Es verschlug ihm glatt die Sprache.
„Die rechtliche Lage ist folgendermaßen“, fuhr Arne lächelnd fort, „damals war dein Vater, Godefroy, der Erstgeborene. Wenn dieser nun aus irgendwelchen Gründen das Erbe nicht antreten kann, geht das Erbrecht auf den Zweitgeborenen über. Das war in diesem Fall Hasso von Manteuffel, mein Vater.“
„Ein bißchen kompliziert“, sagte Hasard mit einem staunenden Kopfschütteln.
„Das muß es wohl sein. Aber es geht noch weiter. Hat nun der Erstgeborene einen männlichen Erben – das wärst in unserem Falle du –, dann geht der Familienbesitz Alt-Quetzin wiederum auf ihn über. Vorausgesetzt, daß er alt genug ist, das Gut zu übernehmen, so heißt es in den Regularien. Aber diese Frage stellt sich bei dir natürlich nicht.“ Arne lächelte erneut. „Nun muß der Zweitgeborene zurücktreten oder das Gut solange verwalten, bis der rechtmäßige Erbe es übernehmen kann. Kurzum: Das Recht über Alt-Quetzin bleibt also gewissermaßen in einer Familienlinie, bis diese ausstirbt oder zugunsten der Nebenlinie verzichtet. Es ist nicht schön, davon zu reden, jedoch – nach deinem Tod wäre also Hasard junior, der ältere deiner beiden Söhne, der rechtmäßige Erbe von Alt-Quetzin.“ Arne lehnte sich zurück und sah Hasard erwartungsvoll an.
„Du lieber Himmel!“ rief der Seewolf. „Das muß ich erst einmal verdauen.“
Die Eröffnungen Arnes waren mehr als überraschend. Nicht etwa deshalb, weil Hasard vorhatte, auf sein Recht zu pochen und das Gut zu übernehmen. Nein, dies weckte Erinnerungen an seine Kindheit und an jene Jahre, die vor seinem Erinnerungsvermögen lagen.
Da hatte es die Hansekogge „Wappen von Wismar“ gegeben. Auf ihr hatten ihn die Brüder seiner Mutter damals als Säugling nach Deutschland abschieben wollen. Und wäre nicht die raffgierige Lady Killigrew gewesen, die die Kogge im Hafen von Falmouth überfallen und ausplündern ließ, so hätte sein Leben einen völlig anderen Verlauf genommen. Das stand unumstößlich fest. Und noch eins stand fest. Hasard sagte es laut.
„Ich werde dieses Erbe nicht antreten, Arne.“
Arne beugte sich verblüfft vor.
„Warum nicht? Es ist nicht etwa so, daß meine Familie davon abhängig wäre. Außerdem – in diesen paar Minuten kannst du das doch noch gar nicht richtig überlegt haben.“
„Doch, ich denke schon. Die Dinge liegen für mich völlig klar. Ich kann nicht etwas beanspruchen, was mir meinem Gefühl nach nicht zusteht. Sicher bin ich von der Blutsverwandtschaft her ein von Manteuffel.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Ein Gedanke, der für mich immer noch merkwürdig ist. Das mußt du verstehen.“
Arne nickte schweigend.
„Ich bin in England bei den Killigrews aufgewachsen“, fuhr Hasard fort, „und diese Kinder- und Jugendjahre sind nicht wegzuwischen. Ich bin dadurch zum Engländer geworden. Mein ganzes Leben wurde dadurch geprägt.“
Arne von Manteuffel schwieg noch eine Weile.
„Ich habe mit dieser Antwort gerechnet“, sagte er dann, „weil ich selbst nicht anders reagiert hätte.“
2.
Man schrieb den 9. April anno 1593.
Mit rauschender Fahrt, bei halbem Wind über Backbordbug segelnd, liefen die „Isabella“ und die „Wappen von Kolberg“ auf die Küste von Hinterpommern zu. Die Mittagsstunde war eben vorüber, der Himmel über der Baltischen See versteckte sich hinter schweren grauen Wolken. Der Monat April, soviel hatten die Arwenacks zur Genüge feststellen können, zeigte, daß er in diesem Teil Europas zu Recht als launisch bezeichnet wurde. Mit einem baldigen Regenguß war jedenfalls zu rechnen.
Die beiden Galeonen erreichten die Mündung der Persante, und nach und nach schälten sich die Umrisse der Hafen- und Handelsstadt Kolberg aus dem Dunst. Den Männern, die zum Aufgeien der Segel in die Wanten gescheucht wurden, bot sich zum Lohn für die harte Arbeit der schönste Überblick.
Die Mauern und Türme der Stadt zeugten vom Reichtum