Seewölfe - Piraten der Weltmeere 99. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.Old Shane, Matt Davies, Luke Morgan und Bob Grey, und andere Männer drängten von den Niedergängen aus nach. Mit vereinten Kräften trachteten sie, den Mast zu halten, aber es nutzte nichts.
Brecher von unsagbarer Macht rammten das Schiff und überspülten es, und wieder war da das fürchterliche Knacken und Knirschen. Ferris Tucker wetterte Mord und Bein, Carberry fiel mit ein, aber auch das hatte wenig Zweck.
Der Fockmast lehnte sich nach Backbord und kippte wie ein gefällter Baum.
„Hinlegen!“ brüllte Hasard. „In Deckung! Haltet euch fest!“
Der Mast hieb auf das Backbordschanzkleid nieder und zerdrückte es. Hasard konnte gerade noch Al Conroy packen und zu sich heranziehen, sonst wäre sein Waffenmeister unter dem Holz begraben worden.
Der Mast lag zu gut zwei Dritteln seiner Länge außenbords in Schaumseen und Sprühwasser, ging aber nicht völlig verloren, weil er an der Bruchstelle noch mit dem splittrigen Stummel verbunden war, der aus dem Vordeck aufragte. Die „Isabella“ krängte gefährlich nach Backbord, ihr Oberdeck war eine steile Rutschbahn, die die Männer in die tosende See zu werfen drohte. „Wir schlagen quer!“ rief Shane.
„Besorgt mir eine Axt!“ schrie Hasard.
Ferris Tucker hatte bereits seine Zimmermannsaxt gezückt und rückte auf den Maststummel zu. Big Old Shane zog den Tschakan, die türkische Wurfaxt, aus dem Gurt. Sie war ein Überbleibsel der Abenteuer im Mittelmeer und hatte Shane schon mehrfach gute Dienste geleistet.
Matt Davies hatte es geschafft, ins Vorschiff zu kriechen. Jetzt kehrte er robbend auf die Back zurück und händigte seinem Kapitän die Axt aus, die er hatte beschaffen können.
Hasard, Ferris und Shane hieben wie die Besessenen auf die Bruchstelle des Fockmastes ein, kappten die Wanten und Fallen und das gesamte laufende und stehende Gut. Sie vollbrachten akrobatische Leistungen, denn auf dem abschüssigen Deck konnte kein Mann mehr stehen – nur noch in seinem Haltetau hängen, liegen, kriechen.
Das Backbordschanzkleid der „Isabella“ schnitt unter und war nicht mehr zu sehen. Bedrohlich hatten sich der Groß- und Besanmast zur Seite geneigt. Jeden Augenblick konnte das geschehen, was Shane prophezeit hatte, sie waren nicht mehr weit davon entfernt.
Wenn die Galeone querschlug, gab es keine Rettung mehr. Selbst wenn der Seewolf dann noch die Boote zu Wasser bringen und bemannen konnte, waren die Überlebenschancen gleich Null.
Nein, er mußte den Ballast loswerden, um jeden Preis. Wütend hackte er mit der Axt auf den Maststummel ein. Zoll um Zoll barst das Holz. Der Mast ruckte, die „Isabella“ krängte noch weiter, Splitter wirbelten unter den Hieben der drei Männer.
Das Holz war hart und widerstandsfähig. Gute englische Eiche, die vor der Orkanstärke zwar hatte kapitulieren müssen, sich jetzt aber weigerte, endgültig der See geopfert zu werden. So erschien es den Männern jedenfalls. Sie kämpften gegen die Tücke des Objekts, gegen den drohenden Untergang.
Dann, endlich, verlor der Fockmast seinen letzten Halt zur „Isabella“. Knirschend löste er sich von dem Stumpf, rutschte beschleunigend über das demolierte Schanzkleid und verschwand im kochenden und brodelnden Wasser.
Für Sekunden krängte die „Isabella“ noch weiter nach Backbord. Bis der Mast nicht endgültig außenbords gerast war, bildete das Oberdeck eine beinahe vertikale Gleitfläche. Ausgerechnet in diesem Moment riß Ferris Tukkers Haltetau.
Er sauste in die Tiefe – dem Fockmast nach.
2.
Ein einziger Aufschrei gellte über Deck. Die Männer schickten sich an, ihrem rothaarigen Kameraden nachzuspringen, aber Hasards Ruf stoppte sie.
„Keiner rührt sich von Bord – keiner außer mir!“
Er schlug mit der Axt gegen sein Tau und durchtrennte es etwa zwei Handspannen von der Hüfte entfernt. Sofort glitt auch er die teuflische Rutschbahn hinab und jagte auf das Backbordschanzkleid zu. Die „Isabella“ richtete sich jedoch wieder auf, weil der Fockmast baden gegangen war, und diese Bewegung fing Hasards Schwung etwas ab.
Er landete mit den Füßen unten am Schanzkleid, stieß sich mit den Händen vom Deck ab, schwang hoch und hechtete über die Handleiste weg in die schäumende See. Er sah gerade noch Ferris Tucker untertauchen. Wenige Yards entfernt schwamm der Fockmast, er mutete wie eine riesengroße Vogelscheuche an, die mit ausgebreiteten Armen und Beinen hilflos im widrigen Element trieb.
Hasard streckte die Arme weit vor und tunkte kopfunter ein. Die Fluten rissen ihn sofort mit, sie schienen aus Tausenden von Strudeln zusammengefügt zu sein. Hasard riß die Augen auf, konnte aber nichts erkennen als tintenschwarze Finsternis. Er ruderte mit den Gliedmaßen gegen das Saugen und Wirbeln des Wassers an, richtete aber kaum etwas aus.
Dabei mußte er noch aufpassen, nicht mit dem Fockmast zu kollidieren. Prallte er von unten gegen das Ding, konnte es ihm glatt die Besinnung rauben.
Und Ferris Tucker? Himmel, dem konnte das gleiche passieren!
Hasard tauchte auf, schnappte Luft und schloß den Mund, als eine Woge ihn unterzuwühlen drohte. Ein gurgelnder Schub Wasser brandete gegen ihn an, er hätte es gallonenweise geschluckt, wenn er nicht sofort wieder den Mund geschlossen hätte.
Schreie wehten von der „Isabella“ herüber. Das Schiff war ein grauer Schatten im Sturm, angeschlagen, seinem Schicksal ausgeliefert. Die Crew war kaum zu erkennen, nur schwach gezeichnete Punkte bewegten sich am Schanzkleid hin und her, das waren die Köpfe der Männer. Die Unzulänglichkeit des Menschen zeigte sich in dieser Kraftprobe mit der Natur in aller Deutlichkeit.
Hasard dachte, die Männer schrien nur aus Sorge um ihn und Ferris Tukker, aber dann hörte er doch noch mehr heraus. Sie wollten ihn auf etwas hinweisen – und das konnte bei diesen Verhältnissen nur von Dan O’Flynn ausgehen. Dan, dieser Mordskerl! Er hielt sich nach wie vor im Großmars und schien durch die Gischt hindurch etwas entdeckt zu haben.
„Weiter nach achtern!“ brüllte Carberry.
Achtern – Hasard orientierte sich an der „Isabella“ und kämpfte sich in Richtung auf ihr Heck zu. Die Wogen zerrten an ihm, wollten ihn nicht, versuchten, ihn zu vernichten. Er stieg wie von einem Katapult befördert in einen der schäumenden Kämme auf, verharrte für eine Sekunde, vielleicht für zwei, und sah unter sich den Fockmast.
Die Welle riß ihn in die Tiefe, auf den Mast zu. Sie drohte ihn unterzubaggern und gegen das Holz zu werfen, aber Hasard tauchte. Er schwamm mit aller Kraft, so tief er konnte. In seinen Ohren war das Urbrüllen der Welt. Der Teufel schien hier unten näher zu sein als anderswo. Aber der Seewolf preßte die Zähne zusammen und dachte nur das eine: Fahr du selbst zur Hölle, du Satansbraten!
Die Fluten stießen ihn vor sich her. In seinen Lungen machte sich die Atemnot bemerkbar, er mußte wieder auftauchen. Er drehte sich um die Körperlängsachse und blickte nach oben. Etwas Schemengleiches schien über ihm dahinzuhuschen. Er ließ sich vom Auftrieb mitnehmen, schwang an die Oberfläche und pumpte wieder Luft in sich hinein.
Der Fockmast trieb keine fünf Yards hinter ihm.
Plötzlich sah er auch Ferris Tukker. Ferris befand sich in unmittelbarer Nähe des Mastes, Dan hatte also richtig beobachtet. Hasard drehte sich im Wasser, schwamm auf den Rothaarigen zu – und kriegte einen Schreck.
Ferris Tucker bewegte sich nicht. Wie tot trieb er in der See. Kein Zweifel, er war zu dicht an den Fockmast geraten und wahrscheinlich gegen die Vormarsrah geprallt. Die schweren Spiere mußten seinen Kopf getroffen haben. Er war ohnmächtig und schluckte Wasser.
Hasards Arme ruderten unablässig, er bewegte die Beine heftig auf und ab. Ungeachtet des Orgelns und Tobens, Kochens und Schäumens des Wassers hielt er auf Ferris zu. Er war bei ihm, als der Rotschopf schon unter der Oberfläche der See verschwand.
Hasard tauchte, griff Ferris von hinten unter die Arme und zog ihn mit sich hoch. Sie schossen hoch und drohten erneut unterzugehen. Hasard strampelte