Seewölfe Paket 11. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.mit dem zernarbten Rammkinn packte das Segeltuch und runzelte die Stirn. „Kannst du mir mal verraten, was diese Fummelei soll?“
Ferris Tucker, der riesige Schiffszimmermann, warf ihm einen schiefen Blick zu. „Das ist keine Fummelei, sondern ein“, er räusperte sich, „ein Windmacher, klar?“
„Nein.“
Ferris Tucker seufzte, schickte einen ergebenen Blick in den blauen Himmel und fixierte dann einen Punkt an, der bei den Leewanten des Hauptmastes liegen mußte.
Ed Carberry starrte auch dorthin, konnte aber nichts Interessantes entdekken. Die rechte obere Ecke der Plane hatte er immer noch in den Pranken.
„Hm, müßte gehen“, murmelte Ferris Tucker, fuhr eine Leine aus, die er an die linke obere Ecke der Plane angesteckt hatte, stieg mit der Leine ein Stück in die Leewanten hoch und schlug die Leine dort an.
Carberry stand mit offenem Mund da und hatte Glotzaugen.
„Mach’s Maul zu, Ed“, sagte Ferris Tucker freundlich. Dann deutete er mit dem Kopf zum Luvwant des Hauptmastes und fügte hinzu: „Schlag dort die Leine von deiner Ekke an, etwa in gleicher Höhe wie hier bei mir.“
„Soll das ’ne neue Art von Quersegel sein?“ fragte Carberry bissig, tat aber, was Ferris Tucker gesagt hatte.
„Hörst du nicht zu?“ erwiderte Ferris Tucker. „Ich hab gesagt, daß das ’n Windmacher ist.“
Mit diesen Worten zurrte er seine Leine fester, nachdem Carberry die Leine seiner Ecke am Luvwant angeschlagen hatte. Jetzt hing die Plane schräg aufrecht nach Luv geneigt über dem Backbordsüll des Kuhlladeraums. Ihre untere Kante war mit mehreren Stropps am Süll befestigt. Der Nordost stieß auf die Plane und wölbte sie etwas – fast wie ein Segel.
Ferris Tucker grinste zufrieden, als er aus den Wanten stieg und zur Kuhl ging.
„Heiß heute, was, Ed?“ sagte er zu Carberry.
„Wußte ich noch gar nicht“, erwiderte Carberry grollend. Dabei hatte er vor zwei Tagen noch in seiner fluchenden Art erklärt, in dieser Ecke der Erde brauche der Kutscher kein Feuer in der Kombüse, denn hier könne man Eier auf den Decksplanken braten oder den Suppentopf in der Sonne zum Kochen bringen, wenn man zweimal tief durchgeatmet hätte – in der Zeit von zwei Atemzügen „koche die Pampe über“.
Genau das war’s. Und darüber hatte Ferris Tucker in seiner gründlichen Art als Schiffszimmermann nachgedacht. Fest stand, daß es unter Deck nicht mehr auszuhalten war. Da konnte man die Luft in Scheiben schneiden – vom Mief gar nicht zu reden. Und die Feuchtigkeit!
Erste Maßnahme Ferris Tuckers war gewesen, sämtliche Luken offen zu fahren. Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, dem er das vorgetragen hatte, war skeptisch gewesen und hatte gemeint, das sei eine gefährliche Maßnahme, weil es den Verschlußzustand der „Isabella“ gefährde. Da brauche nur eine harte Bö kräftig zuzulangen und die Galeone zu krängen, und schon würde das Wasser durch die geöffneten Luken in den Schiffsbauch gurgeln. Je länger, je mehr. Schneller könne man die „Isabella“ gar nicht versenken.
Schon richtig, hatte Ferris Tucker gemeint, aber mit der „harten Bö“ sei das wohl nicht so wild, denn der Nordost habe sich bisher als keineswegs unbeständiger Geselle präsentiert, im Gegenteil.
Gut, Hasard war einverstanden gewesen. Außerdem hatten die Räume unter Deck wirklich mal durchlüftet werden müssen. Etwas Erleichterung hatte diese Maßnahme gebracht, aber nicht genug für Ferris Tucker.
Darum hatte er den „Windmacher“ erfunden.
„Hör zu, Mister Carberry“, sagte er und deutete auf die Plane. „Dieses Ding fängt den Nordost auf und leitet ihn nach unten in den Laderaum, klar? Und wenn ich jetzt die Schotten vom Laderaum unter der Kuhl öffne, strömt der Wind weiter in die anderen Laderäume und sorgt dafür, daß der Mief rausgejagt wird. Muß ja, nicht wahr? Denn überall haben wir die Luken geöffnet. Kannst du mir folgen, Mister Carberry?“
„Ich hab ja kein Spill vorm Schädel“, brummte Ed Carberry, „Mister Tucker.“ Dieses „Mister Tucker“ sagte er so richtig biestig.
„Macht das Ding jetzt Wind unter Deck oder nicht, Mister Carberry?“ fragte Ferris Tucker ein bißchen tückisch.
Bei Carberry klickte es endlich.
„Sag das doch gleich, du Enkel eines vergammelten Holzwurms“, knurrte er. „Aber ein Windmacher ist das nicht – eher ein Windchenmacher, ein Säuselchen, wie ihn Babys in die Windeln entlassen, wenn du verstehst, was ich meine – Mister Tucker!“
Die Kerle auf der Kuhl, die Ferris Tuckers Aktivitäten mit der Plane verfolgt und seinem Dialog mit dem Profos gelauscht hatten, begannen zu grinsen. Da bahnte sich mal wieder etwas Ergötzliches an. Wenn der Profos und der Schiffszimmermann, sonst dicke Freunde, sich gegenseitig mit „Mister“ anredeten, dann wurde es meist recht heiter.
So reckte denn auch der Schiffszimmermann das Kreuz, das breit wie ein Rahsegel war, zog den Kopf etwas ein und peilte Carberrys Rammkinn an.
„Sagtest du was von vergammeltem Holzwurm, Mister Carberry?“ fragte er mit jenem Ton in der Stimme, der verriet, daß nunmehr Gefahr im Verzug war. „Und sagtest du, mein Windmacher sei ein gewisses Säuselchen, du Urenkel eines bestußten Wasserbüffels und einer verlausten Seekuh?“
Carberry schnappte nach Luft.
Aber Ferris Tucker war in Rage und nicht zu bremsen. Der Profos hatte seinen „Windmacher“ verniedlicht, und das ging ihm gegen seinen Stolz als Erfinder.
„Hast du vielleicht darüber nachgedacht, was man anstellen könne, um die Decks zu durchlüften?“ blaffte er Carberry an. „Nein, hast du nicht! Aber herumstehen, das Maul aufreißen und große Sprüche klopfen, das kannst du.“ Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Hier oben muß man’s haben. Aber da ist bei dir nicht viel, da ist noch weniger als gar nichts …“
„Ha!“ Carberry knirschte mit den Zähnen, und das klang, als zersplittere eine Eichenplanke. „Ha! Noch weniger als gar nichts gibt’s überhaupt nicht! Du redest Stuß, Mister Tucker! Und wenn so ein verdammter Windmacher wirksam sein soll, dann ist es nicht mit einem getan, Himmel, Arsch und Ziegenkäse! Nein, da muß am Leesüll jeder Oberdecksluke so ’n Dingsmacher gespannt werden, jawohl!“ Carberrys Augen funkelten triumphierend.
„Nein so was“, sagte Ferris Tucker höhnisch, „was du doch für tolle Ideen hast, Mister Carberry! Allein wäre ich nie darauf gekommen.“
Carberry klopfte grinsend an seinen Schädel. „Ja, Mister Tucker, man muß es eben hier oben haben. Der eine hat’s, der andere hat’s nicht …“
„Eben, eben!“ zischte Ferris Tukker. „Und was liegt dort gestapelt, Mister Carberry?“ Er deutete auf zusammengelegte Segeltuchplanen neben dem Schott zum Vordeck. „Weitere Windmacher, Mister Klugscheißer! Woraus logisch folgert, daß es meine Idee war, nicht nur einen solchen Windmacher aufzuspannen. Schließlich hab ich mir die Planen aus der Segellast geholt und dort deponiert. Oder hast du sie da hingelegt, he? Nein, hast du nicht. Du mußt früher aufstehen, Mister Carberry, weil bei dir das Nachdenken so lange dauert.“
Carberry pumpte gerade Luft in seinen gewaltigen Brustkasten, um zur Gegenrede anzusetzen, da ertönte eine helle Stimme aus dem Laderaum unter der Kuhl. Es war die Stimme von Hasard junior.
„Mister Tucker, Sir! Hier unten zieht’s mächtig! Richtig windig ist es. Und miefig riecht’s auch nicht mehr!“
„Na also“, sagte Ferris Tucker befriedigt. „Von wegen Säuselchen!“
Carberry beugte sich über das Süll und starrte hinunter in den Laderaum. Sein Groll fand eine neue Zielrichtung.
„Könnt ihr mir mal verraten, was ihr da unten zu suchen habt, ihr Hüpfer?“ dröhnte seine Stimme.
Dieses Mal ertönte die Stimme von Philip junior. „Wir sind auf der Jagd, Mister Carberry, Sir!“