Seewölfe Paket 8. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 8 - Roy Palmer


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Hinterhalt zu überraschen trachtete.

      Jeder hatte sich ein kleines, leeres Faß unter den linken Arm geklemmt, aber die rechte Hand blieb frei. Hasard hatte es seinen vier Männern nicht einzuschärfen brauchen, ständig auf der Hut zu sein. Sie paßten von sich aus auf, denn ihre Erfahrung sagte ihnen, daß nichts, aber auch gar nichts unmöglich war und die ganze Welt voller böser Zufälle war.

      Hasard trug zusätzlich zu seinem leeren Wasserfäßchen eine Ledertasche an einem Schulterriemen bei sich. Doch sie behinderte ihn keineswegs so sehr, daß er nicht mehr in der Lage war, rasch eine doppelläufige sächsische Reiterpistole zu ziehen, falls es notwendig wurde.

      Shane und Ferris schritten dicht nebeneinander her. Der graubärtige Riese malte sich schon aus, wie es war, wenn gleich die Tür des Hauses aufschwang und ein Trupp wilder Kerle ins Freie stürmte. Ferris Tukker fragte sich immer wieder, wie, zum Teufel, sie eigentlich in diese verzwickte Situation hatten hineinschliddern können.

      Das alles wegen dieser vorlauten zwei Mädels, sagte sich der Profos, der ganz hinten in der Gruppe stapfte. Na wartet, wenn ihr was gegen uns ausgeheckt habt, ihr Satansbraten, dann haue ich euch den Hintern voll, soviel ist sicher!

      Er packte sein Fäßchen fester — bereit, es jedem Angreifer mit aller Kraft auf den Schädel zu wuchten.

      Mit einemmal entdeckte er Sir John. Der Papagei zog seine Kreise über dem mächtigen Profos-Schädel, gurrte und ließ sich zielsicher auf Carberrys Schulter nieder. Zärtlich zupfte er seinem Herrn am Ohrläppchen herum.

      „Sir John, du Mißgeburt“, grollte der Profos. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst an Bord bei Old O’Flynn bleiben? Warum bist du mir wieder nachgeflogen, was, wie?“

      Hätte Sir John den Inhalt dieser Worte verstanden und wäre er in der Lage gewesen, Sinnvolles in der Sprache der Menschen auszudrükken, so hätte er jetzt geantwortet, daß er den alten O’Flynn nun mal nicht leiden konnte.

      So aber krächzte er nur: „Beidrehen! Mann über Bord!“

      Carberry verspürte Lust, sich den Vogel von der Schulter zu pflücken und ihm den Hals umzudrehen, aber er beherrschte sich. Er blickte sich statt dessen um und prüfte, ob ihnen etwa auch die Zwillinge nachgelaufen waren. Zuzutrauen war es Philip und Hasard, aber Gott sei Dank, sie tauchten nirgendwo auf.

      Segura hatte versucht, die Tür zu öffnen, aber von innen schien ein Riegel vorgeschoben zu sein.

      „Padre! Madre!“ rief sie.

      Daraufhin schlurften von innen Schritte heran. Jemand hantierte an der Tür, ein Balken schien zur Seite gezogen zu werden – die Tür öffnete sich.

      Der Bärtige, der das Rechteck der Tür mit seiner Gestalt ausfüllte, war das Betrachten wirklich wert. Ein echter Koloß war er. Was den Umfang seines Bartgestrüpps sowie seine Körpermaße betraf, konnte er es mit Big Old Shane durchaus aufnehmen. Shane war um ein paar Zoll breiter und größer als Hasard, Ferris und Carberry. Er blickte Pinho Brancate denn auch ziemlich mißbilligend an. War es nicht eine Zumutung, daß jemand es wagte, ihm ähnlich zu sehen?

      Brancate breitete die Arme aus und setzte eine Miene auf, als sei er von einer wunderbaren Erscheinung überwäligt.

      „Segura, Franca, meine Töchter – por Dios, wen bringt ihr denn da nur mit?“

      Segura setzte es ihm auseinander, während sie alle eintraten. Der Vollbärtige schüttelte „Captain Philip Drummond!“ und dessen Begleitern spontan und hocherfreut die Hände.

      Segura und Franca berichteten abwechselnd, was sich auf den Klippfelsen abgespielt hatte. Pinho Brancate hörte zu, nickte hin und wieder, schaute zu seinen fünf Besuchern und lud sie durch Gesten ein, doch an dem großen Zypressenholztisch Platz zu nehmen.

      Auf dem Tisch zeugte inzwischen nichts mehr davon, daß hier kurz zuvor fünf Schiffbrüchige beköstigt worden waren. Und auch die übrigen Spuren im Kaminzimmer, die einen Verdacht hätten wachrufen können, hatte die flinke Emilia beseitigt, nachdem sie Josea, Charutao und Iporá im Obergeschoß ihre Anweisungen gegeben hatte.

      Nur die Korbflasche Wein, Schinken, Wurst und Brot waren auf der wuchtigen Tischplatte zurückgeblieben – als Zeichen, daß die Familie hier über kurz oder lang ihre Abendmahlzeit einzunehmen gedachte.

      Als die Mädchen ihre Schilderung beendet hatten, lächelte Pinho seinen neuen Gästen wohlwollend zu. Dann drehte er sich um und rief: „Emilia! Emilia, wo in aller Welt steckst du wieder?“

      Emilia trat ein, umarmte kurz und heftig ihre Töchter, begrüßte die Seewölfe und begann auf eine Gebärde ihres Mannes hin, Becher auszuteilen.

      „Ja, ja, die Piraten“, sagte Pinho Brancate in einer Mischung aus Portugiesisch und Spanisch. „Sie haben ja gehört, welchen Ärger wir mit diesem Lumpenpack haben, Capitán Drummond. Zweimal haben wir in kopfloser Flucht unser Haus verlassen. Zweimal! Wir haben uns wie die Tiere im Wald verstekken müssen – und als wir nach dem Verschwinden dieser Kerle zurückkehrten, wissen Sie, wie wir da unser Heim vorfanden?“

      „Ich kann es mir vorstellen“, entgegnete Hasard. „Alles in allem müssen wohl auch wir, meine Männer und ich, froh darüber sein, bislang an der portugiesischen Küste keinen Seeräubern in die Hände gefallen zu sein.“

      Emilia bejahte aufgeregt. „Das müssen Sie, Senor Drummond. Herrje, was hätte Ihnen alles passieren können!“

      Hasard wechselte einen kurzen Blick mit seinen Männern. Er wandte sich wieder den Gastgebern zu und zog die Ledertasche auf seine Knie.

      Die Seewölfe hatten die Fäßchen in der Nähe der Tür abgesetzt und dann an der klobigen Tafel Platz genommen. Carberry, Shane und Ferris mit dem Rücken zum Kamin, Hasard und Ben ihnen gegenüber an der anderen Seite des Tisches.

      „Seltsam“, sagte der Seewolf. „Dabei dachte ich, man hätte allenfalls an den afrikanischen Küsten noch die Seeräuber zu fürchten. In Lissabon, wo ich Holz für den Schiffsbau löschte und Getreide für Irlands Kornspeicher übernahm, wurde mir außerdem versichert, daß die Küsten Iberiens ausgezeichnet bewacht seien – durch die Armada.“

      Pinho räusperte sich. Emilia griff zur Korbflasche und schenkte Carberrys Glas als erstes voll.

      „Im Prinzip ist das wahr“, erklärte der bärtige Portugiese. „Aber unsere glorreiche Armada wird immer wieder abgelenkt und anderswo gebraucht – was man meistens geflissentlich verschweigt, damit ja keiner glaubt, die Zahl der Schiffe, die Spanien-Portugal zur Verfügung stehen, sei begrenzt.“

      „Aha“, erwiderte Hasard, ohne überzeugt zu wirken. „Aber unter uns könnten wir doch ruhig ehrlich sein. Welche Routen segeln die Galeonen Philipps II. denn gerade? Sind sie in die Neue Welt unterwegs? Oder kämpfen sie gegen die dreisten Barbaresken, die vielleicht einen neuen Schlag gegen die christliche Welt planen?“

      „Es braut sich was zusammen“, sagte Brancate mit Verschwörermiene. „Ich habe vernommen, daß ein Angriff auf Cadiz stattgefunden hat.“

      „Durch die Muselmanen?“

      „Nein, durch die Engländer.“

      Ben Brighton hieb mit der Faust auf den Tisch, daß die Brancates zusammenfuhren.

      „Die englischen Bastarde“, sagte Hasards Erster und Bootsman in täuschend echt gespielter Wut. „Sie begnügen sich nicht mehr damit, gegen uns zu kämpfen, sie fallen jetzt auch über unsere Verbündeten her. Der Teufel soll sie holen!“

      Carberrys Augen weiteten sich. Fast hätte er Ben angebrüllt, was ihm denn eigentlich einfalle, das eigene Nest zu beschmutzen, aber rechtzeitig besann er sich darauf, daß sie ja „Iren“ waren. Trotzdem, er mußte seinen Ärger über Bens Äußerung herunterspülen, mit einem kräftigen Schluck Wein.

      Er setzte seinen Becher an, ehe Hasard ihn daran hindern konnte. Mit einem tiefen Zug leerte ihn der Profos. Er leckte sich die Lippen, stieß einen wohligen Laut aus, und Emilia schickte sich an, sofort von der dunkelroten Flüssigkeit nachzugießen.


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