Seewölfe Paket 10. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.und rannte blindlings weiter.
Sekunden später schwebte er frei in der Luft, und dann war er verschwunden. Nicht einmal der Aufprall war zu hören.
Hasard konnte nur noch ganz knapp ausweichen, als das hölzerne Wurfgeschoß heranflog. Er blockte es mit der Hand ab und wollte dem Spanier nach, aber der hatte es sich jetzt plötzlich anders überlegt und rannte ebenfalls los.
Der Seewolf versuchte, ihm noch zu folgen, doch er verlor den flüchtenden Don bald aus den Augen, der irgendwo weiter hinten im angrenzenden Regenwald verschwand. Sein Messer hatte er jedenfalls auf der Flucht verloren.
Hasard hob es auf und kehrte zurück, als er sah, daß eine weitere Verfolgung sinnlos geworden war. Den Mann würde er in dem undurchdringlichen Dikkicht nie mehr finden, und wenn er ihn tagelang suchte.
Auf der Lichtung erwartete ihn eine weitere Überraschung.
Die Insulaner waren verschwunden, als hätten sie sich buchstäblich in Luft aufgelöst.
„Wo sind sie geblieben?“ fragte der Seewolf. „Du mußt sie doch noch gesehen haben, Siri-Tong?“
„Nur ganz flüchtig, sie tauchten im Gehölz unter und waren wie Schemen verschwunden. Man hört auch kein Rascheln mehr.“
„Und der andere fiel in den Abgrund“, sagte Dan. „Meine Warnung kam zu spät.“
„Also sind noch weiterhin ein oder zwei Dons auf der Insel, die sich versteckt halten. Nun ja, sie werden den Insulanern nicht mehr gefährlich werden können, und ich bin sicher, daß man sie auch bald fassen wird.“
Hasard bewegte sich auf den Abgrund zu, hinter dem der eine Don verschwunden war. Von einer vorspringenden Klippe aus schaute er hinunter.
Er sah nichts mehr von dem Don, er hatte auch keinen Schrei ausgestoßen. Er war einfach weitergelaufen und in die endlose von Wald und Pflanzen bedeckte Tiefe gefallen. Dort würde er bis zum Jüngsten Tag liegenbleiben, denn da unten trauten sich ganz sicher nicht einmal die Insulaner hin.
Die Insulaner hatten sie anscheinend im ersten Schreck ebenfalls für Spanier gehalten, und daher war ihre Angst verständlich.
Sie waren geflüchtet, und da sie sich auf ihrer Insel bestens auskannten, war die Suche nach ihnen ebenso zwecklos.
Hasard hatte sie jedoch für kurze Augenblicke gesehen. Es waren fast goldhäutige, großgewachsene Menschen mit langen schwarzen Haaren und schönen Gesichtern. Sie sahen nicht wie Wilde oder wie Kopfjäger aus, entfernt ähnelten sie den Menschen von den Hawaii-Inseln. Nur ihr Hinterkopf schien etwas flach zusammengedrückt zu sein, aber das hatte vermutlich nicht die Natur geschaffen, es war wahrscheinlich künstlich so zusammengedrückt worden.
Die Insulaner, die Hasard flüchtig gesehen hatte, waren in blauen Kaliko gekleidet, der von den Hüften bis zu den Knien reichte.
Als sie einen Blick in die Hütten warfen, mußten sie feststellen, daß sie leer waren. Es gab keinerlei Einrichtungsgegenstände. Entweder waren sie noch nicht bezogen worden, oder man hatte sie schon wieder verlassen, oder sie dienten nur einem vorübergehenden Aufenthalt.
„Was jetzt?“ fragte Siri-Tong.
„Ja, was jetzt?“ wiederholte Hasard etwas ratlos. „Uns bleiben nur noch zwei Wege. Dort schräg hinüber oder der Rückweg.“
„Dann lieber dort schräg hinüber“, sagte Dan spontan. „Sonst finden wir die Insulaner nie.“
Ein lauer Windstoß fuhr durch die Bananenwälder und ließ sie rascheln. Als die kleinen Wedel sich wieder aufrichteten, herrschte beklemmende Stille.
Sie schlugen den Weg ein, der wiederum durch dichtes Gestrüpp, unter Bäumen und an herrlich duftenden Blüten vorbeiführte.
Nach knapp zehn Minuten Marsch blieb der Seewolf stehen.
Dan sah ihn fragend an.
„Ganz stillbleiben“, sagte Hasard. „Da rauscht doch etwas. Hört ihr es auch?“
Dan spitzte die Ohren, die Rote Korsarin bewegte sich nicht und lauschte ebenfalls.
Anfangs war es nur ein ganz zartes Säuseln, das sie vernahmen, aber dann hörten sie es doch heraus. Es mußte entweder ein größerer Bach sein oder ein Wasserfall.
„Ein Wasserfall“, sagte Hasard bestimmt. „Und zwar einer, der aus großer Höhe herabstürzt.“
Nun versuchten sie, die Richtung zu bestimmen, doch das war nicht ganz einfach. Das Raunen, Flüstern und Murmeln war überall. Mal schien es von rechts zu stammen, mal von links, dann wieder hörte es sich so an, als käme das Geräusch aus der Schlucht tief unter ihnen.
„Gehen wir ein paar Schritte weiter“, sagte der Seewolf. „Wenn es sich dann verstärkt, haben wir die Richtung.“
Der Seewolf behielt recht. Nach knapp hundert Yards wurde aus dem Geraune ein kräftiges Murmeln, dann ein zartes Rauschen.
„Wir gehen dem Geräusch nach, bis wir die Quelle erreichen“, sagte Hasard.
Damit behielt der Papalagi wiederum recht, der behauptet hatte, man würde dem Wasserfall aus Neugier folgen oder auch ganz unbewußt und man würde ihn auch finden.
Später, sie waren jetzt länger als zwei Stunden unterwegs, so schätzte Dan, hatte sich das Geräusch verstärkt. Es war ein monotones Brausen geworden, das immer noch anschwoll.
Als sie aus einer dichten Buschgruppe hervortraten, war das Getöse übermächtig.
Der Wasserfall lag vor ihnen. Er stürzte eine von wilden bunten Blumen und Ranken bewachsene Steilwand hinunter und ergoß sich unten zischend und brodelnd in einen kleinen See, von dem wiederum der Bach gespeist wurde.
Sie blieben stehen, um den Anblick in sich aufzunehmen.
„Phantastisch“, sagte die Rote Korsarin. Sie hatte einen weiteren Knopf ihrer roten Bluse geöffnet, so daß man den Ansatz ihrer kleinen festen Brüste erkannte.
„Man hat den Wunsch, sich darunter zu stellen bei dieser Hitze“, sagte Dan, „und das stundenlang.“
„Das steht dir frei, Dan. Wenn du dich abkühlen willst, bitte.“
„Weshalb springen wir nicht einfach in den See?“ fragte Siri-Tong.
„Uns allen ist es verdammt heiß, eine kleine Abkühlung würde ganz guttun.“
Hasard war kein Spielverderber. Ihre Sachen würden in kurzer Zeit wieder trocken sein, und die Abkühlung tat wirklich gut.
„Also los“, sagte er, riß sich das Hemd vom Oberkörper und sprang mit einem Satz in das glasklare Wasser.
Dan und die Rote Korsarin folgten seinem Beispiel, wobei Dan lebhaft bedauerte, daß Siri-Tong nicht auch ihre Bluse ablegte.
Das Wasser war kühl und erfrischte. Man konnte bis auf den Grund des Sees blicken. Aber es gab kein Lebewesen darin, jedenfalls sahen sie keines.
Eine Weile planschten sie in dem See, tauchten, schwammen ein Stück und kletterten schließlich wieder an Land.
„Herrlich war das“, sagte Hasard lachend und drehte sich um. Er zog sein Hemd über und erstarrte, als er ein leises Kichern hörte. Wie vom Blitz getroffen, blieb er stocksteif stehen und blickte Siri-Tong an. Aber es war nicht ihr Lachen.
Am Gebüsch standen sie.
Mindestens zehn Insulaner, Männlein und Weiblein bunt gemischt, sie lachten fröhlich und unbeschwert und schienen nicht die geringste Angst vor den Fremden zu haben.
Sie kamen sogar neugierig näher.
Allen voran ging ein verwitterter Greis mit hellen, klaren Augen. Er schien uralt zu sein, doch er bewegte sich erstaunlich sicher, und seine wachen Augen huschten wieselflink umher.
Ihm zur Seite standen jüngere Männer, wie sie sie flüchtig schon gesehen hatten.
Aber