Holzpantoffel und blutige Zehen. Maria Marka

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Holzpantoffel und blutige Zehen - Maria Marka


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zum Kopf der liegenden Kuh, damit die es ablecken konnte. Kälbchen, Kuh und Kathi waren zufrieden als die Großen abends vom Feld kamen.

      Als Mama uns die Geschichte erzählte, dachte ich bei mir: Der Tag eines Häuslerkindes konnte schon sehr erlebnisreich sein. Ohne Spielzeug, ohne Fernseher! Nur Mut und Köpfchen musste man haben. Köpfchen hatte Kathi schon. Oft mehr als allen lieb war. Ihre Mutter nannte das den „Motzenschädel“. Der Motz, das war Kathis verstorbener Vater. Ein Beispiel: Kathl, schon etwas größer, saß auf dem breiten Stubenfensterbrett und übte sich im Stricken. Die Sonne schien. Sie machte die Fensterflügel auf und ließ die Beine in den Hof baumeln. Ein Idyll, das leider durch den Wind beeinträchtigt wurde. Bei jedem Windstoß trieb es den rechten Fensterflügel zu und an die Hand der fadenführenden Stricknadel. Das war hinderlich und zunehmend ärgerlich. Kathl reagierte auf die ihr eigene Weise: „Blöder Wind, dir werde ich zeigen, wer von uns beiden der Stärkere ist!“ Sie ballte die Faust, hielt sie in die Flugbahn der Scheibe und passte den Wind ab. Die Faust hielt stand, aber der Wind war stärker. Klirr, das zerbrochene Glas fiel in den Hof. Dieses: „Das werden wir ja sehen, wer gewinnt“ hat sie ein Leben lang nicht abgelegt. Oft zu ihrem Nachteil. Aber vielleicht war dies der Grundstock zu ihrem Durchhaltevermögen in all der schweren Zeit, die ihr noch aufgegeben war.

      1914 kam der 1. Weltkrieg. Ihr Stiefbruder Hans musste einrücken. Etwas später auch Josef. Meine Großmutter, ich war noch ungeboren, musste sich allein über Wasser halten und das Lebensnotwendige für sich und die Mädchen herschaffen. Was es heißt ohne männliche Hilfe eine Landwirtschaft zu bewältigen, wird nur der ermessen können, der es selbst versucht hat. Nach vier Jahren, kurz vor Kriegsende, war Großmutters Kraft am Ende, auch die von Anna, Kathis großer Schwester. Anna starb zuerst. Man rief die Brüder zur Beerdigung aus dem Krieg zurück. Aber sie kamen nicht rechtzeitig. Die Mutter konnte auch nicht mit zum Friedhof. Sie lag todkrank und starb am Tag danach. Als Hans zu Hause eintraf und nach der Mutter fragte, wies man stumm auf die Kammertür. Dort drin lag die Mutter aufgebahrt.

      Kathi, also meine Mutter, war damals zwölf Jahre alt. Ihr Stiefbruder durfte nun zu Hause bleiben. Er hatte nach einem Kopfschuss nur noch ein Auge. Wie es dann im Einzelnen weiterging, darüber hat Mama mir nichts erzählt. Vielleicht hat sie die Zeit aus ihrem Inneren verdrängt. Vielleicht ist sie auch nur ohne Übergang mit einem Schlag erwachsen geworden. Erst später, als Hans geheiratet hatte, was zwingend nötig war im frauenlosen Wirtschaftl, und somit eine „Stiefschwester“ ins Haus kam, werden Mamas Erinnerungen lebhafter. Leider nicht freundlicher. Kathi war nicht mehr das kleine Schwesterl. Österreich war zerfallen, Böhmen Bestandteil der neu gegründeten Tschechei und die Wirtschaftslage für Deutsche besonders schlimm. Es musste gespart werden. Als Mama sich einmal als Stadtmitbringsel einen Salzhering wünschte, war des Bruders Frau wütend. Seefisch war in der Tschechei verhältnismäßig teuer. Es gab deswegen wochenlangen Streit. Mama wünschte sich so etwas nie wieder. Freilich, dass es Hans und seine Frau mit Kathl auch nicht immer leicht hatten, soll nicht verschwiegen werden. Kathl hatte auch ihren Kopf, wie schon ihre Mutter sagte: einen „Motzenschädel“ vom Vater her. Der stammte aus dem Wirschaftl der Straße gegenüber. Er war ein kleiner Mann mit starkem Willen. Und den muss er meiner Mutter vererbt haben. Zuweilen spürten wir das alle in der Familie. Aber das kommt viel später.

      Marias Kindheit – in der „Schmied“ und im „Deitschnhof (Swina)“

      Noch kann ich nicht sitzen und muss getragen werden, sofern ich nicht irgendwo liege. Auch Hansens Frau nahm mich manchmal auf. Einmal stand sie mit mir unter dem Hoftor und trug mich unter dem Arm – mit dem Kopf nach hinten! Sie sprach mit der Nachbarin. Die sagte zu ihr: „Nimm halt das Kinnerl ordentlich auf den Arm, nicht wie ein Packl Stroh.“ „Für einen Bankert taugt’s !“ war die Antwort. Meine Mama, jetzt 20 Jahre alt, hat das gehört. Am Sonntag erzählte sie es ihrer zukünftigen Schwiegermutter in Swina. Und am Montag stand diese in Techlowitz vor der Haustür und verlangte die Herausgabe ihres Enkelkindes. Zwar hatte sie selbst sechs Kinder, vier davon noch im Schulalter, mein Vater war mit zweiundzwanzig Jahren der Älteste, aber einen Bankert ließ sie aus ihrem Enkelkind nicht machen. Sie nahm mich mit – und so kam ich zu meiner Großmutter. Meine Mutter konnte erst später nachziehen als eine Wohnung beim „Deitschen“ gefunden war und meine Eltern heiraten konnten. Nun hieß ich nicht mehr Maria-Anna Deimling, sondern Maria-Anna Gebert. Aber keiner nannte mich so. Ich war einfach das Schmied-Marerl. Das kam daher, weil meine Großeltern die aufgelassene Dorfschmiede zum Wohnhaus umgebaut hatten. Lange vor meiner Zeit.

      Ich hatte zwar immer noch keinen Kinderwagen, aber dafür einen Haufen Leute um mich. Die Großeltern, meine Onkel und Tanten, wenn auch Tante Emmi nur sieben Jahre älter war und mit Puppen spielte. Swina und die „Schmied“ bedeuten mir noch heute Kinderzeit.

      Wenn ich „Heimat“ denke, denke ich an „Zwinger“ (den Deutschen passte das tschechische „Swina“ nicht so recht in den Mund). Zu meiner und auch schon zu meines Vaters Zeit hat in Zwinger keiner tschechisch gesprochen, aber zweifellos war das ganz früher anders. Die Hussitenkriege hatten einst das Land verwüstet, man denke nur an das verschwundene Dörfchen Doubrawa, von dem nichts als das Petruskirchlein übrig blieb und der Friedhof, auf dem drei Dörfer ihre Toten begruben. Auch meine Gebert-Großmutter liegt in dieser Erde.

      Der Silber- und Bleibergbau um Mies herum zog mit kaiserlichem Wohlwollen viele Deutsche ins Land. Als meines Vaters Vorfahren sich in Zwinger einkauften, bekam der Hof den Namen „Beim Deutschen“ und dabei blieb es bis zur Aussiedlung 1945.

      Der „alte Deitsch“, mein Urgroßvater, hatte zwei Söhne und eine Tochter. Der älteste bekam den Hof, mein Großvater Anton Gebert wurde ausgezahlt und baute die „Schmiede“ aus. Die Tochter heiratete einen Eisenbahner und zog in die Stadt. Sie war meine Firmpatin und schenkte mir ein vergoldetes Halskettchen mit Kreuz, das ich leider verlor. Ich hatte auf eine Armbanduhr gehofft, aber so viel Geld hatte sie wahrscheinlich nicht. Armbanduhren waren 1934 noch recht teuer. Ich habe diese Großtante selten gesehen. Meine Erinnerung beschränkt sich darauf, dass sie kinderlos blieb und ständig an Kopfweh litt. Deswegen trug sie oft zwei Kopftücher übereinander. Wind vertrug sie gar nicht. Ich vermute, diese Empfindlichkeit gegen Wind und Kälte habe ich von ihr geerbt. Einige Zeit ungeschützt dem kalten Wind ausgesetzt und das ganz Gesicht tut mir weh. Die Großtante wurde als einzige unserer Familie 1945 nicht ausgesiedelt, weil sie als Eisenbahnerwitwe vom Staat eine Rente bekam. Eisenbahner konnte nach 1918 (Gründung der Tschechei) nur werden, wer für die Tschechen optierte. Das hatte ihr Mann wohl getan. Sie starb in der Altenpflegeanstalt in Wiesengrund (Dobrzan) als wir schon längst in Bayern lebten.

      Die Schmied heute, Aufnahme: Karl Marka

      Swina – Dorfplatz mit Kapelle 1937- Václav Baxa et. Al. 2004

      Kirche in Swina heute, Aufnahme: Karl Marka

      Der zweite Sohn vom „alten Deitsch“ mit Namen Anton Gebert, das ist mein Großvater. Der wohnte also mit meiner Großmutter und den sechs Kindern in der „Schmiede“ mitten am Dorfplatz, nur durch eine Straße vom Dorfteich getrennt. Genau gegenüber stand der „Deitschnhof“ am runden Dorfplatz. Über den Dorfteich hinweg hatten sich also immer alle im Auge, die ganze Verwandtschaft.

      Das mit der Schmiede muss erklärt werden. Großvater Anton war ja Zimmermann, nicht Schmied. Als die Schmiede abgebrannt war und der alte Schmied wegging, kaufte mein Großvater mit dem eingebrachten Heiratsgut meiner Großmutter die Brandstätte und baute sie zu Wohnhaus, Stall und Scheune um. Es gab nur eine große Wohnküche und eine noch etwas größere „gute Stube“, die auch als Schlafstube diente. Auch auf dem Boden darüber standen Betten, neben den Getreideschütten, dem Mehlkasten und – über den Stall hin gelagert, ein Teil des Winterheus. Für einen regelrechten Bauernhof war nicht genügend Platz. So wurde ein leer stehendes, strohgedecktes Häuschen mit Höfchen hinter


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