Holzpantoffel und blutige Zehen. Maria Marka

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Holzpantoffel und blutige Zehen - Maria Marka


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gehen. Dort lagerten Brennholz und Geräte, da waren der Schweinestall und das Holzhäuschen mit Herz in der Tür für die Familie, deren Mitglieder mit ihrem Bedürfnis quer über die Dorfstraße und an der Kapelle vorbeilaufen mussten.

      Zumindest bei Tage. Für die Nacht stand ein zugedeckter Kübel im Vorhaus, denn die Nachtwanderungen wären, vor allem zur Winterszeit, gesundheitsgefährdend gewesen. Das halbe Dorf bekam also mit, wenn es einem der „Schmieds“ pressierte. Und er lief umso schneller, je dringender es war. Es lief ständig jemand; immerhin bewohnten die Schmiede acht Leute, mit mir neun. Der Name Schmied hielt sich zäh, obwohl wir alle Gebert hießen. Und so war mein Vater, der Älteste der Kinder, der Schmied-Franz und ich, seine Tochter, das Schmied-Marerl. Als Onkel und Tanten gab’s den Schmied-Beb, den Schmied-Ernst, die Schmied-Mare (meine Taufpatin), die Schmied-Anna und die Schmied-Emmi (nur sieben Jahre älter als ich).

      In der Enge der Schmiede hatte die junge Gebert-Familie nicht Platz. Das Wohnhaus am Deitschnhof war größer. Wir bezogen eine Stube und eine Kammer im 1. Stock. Ich glaube, wir wohnten dort etwa drei Jahre. Ich nannte meinen Großonkel Deitschn-Vetter, das taten alle im Dorf und seine Frau war die Deitschn-Teta. Vier Söhne waren da. Der Jüngste hieß Wenzel und mit dem wuchs ich auf. Er war der Cousin meines Vaters, aber im selben Jahr 1924 geboren wie ich. Nur kam er schon im Januar und ich erst im Dezember zur Welt. So war er mir körperlich ein Jahr voraus. Ich war noch Kleinkind und habe fast gar keine Erinnerung an diese drei Jahre.

      Franz

      Als ich zweieinhalb Jahre war, wurde mir ein Bruder geboren. Man erzählte mir, dass ich verstört unter dem Tisch saß als die Hebamme kam. Irgendwie sehe ich noch heute im Unterbewusstsein bei ihrem Eintritt die Stubentüre aufgehen. Der kleine Franz lebte nur zwölf Stunden. Woran er starb, konnte auch die Hebamme nicht sagen. Dass mein Vater, damals gerade vierundzwanzig Jahre alt, den kleinen Sarg über den Kauerberg und durch das Miesatal auf seinen Armen bis zum Petruskirchlein trug, das sind gute 8 km, wurde mir von Mama später erzählt. Ich war immer dabei, wenn sie an Allerseelen das kleine Grab schmückte. Meistens hatte sie Girlanden aus Preiselbeerkraut geflochten und diese mit selbstgefertigten Papierblumen verziert. Dabei lernte ich Papierrosen aus Krepppapier zu machen. Das kann ich noch immer. Auch das Wissen, dass man aus Binsenmark weiße Schleifchen dazu herstellen kann, stammt noch aus dieser Zeit.

      Mama half meistens auf dem Deitschn- oder Schmiedhof in der Landwirtschaft und wurde mit Milch und Brot entlohnt. Wir aßen je nach Umstand einmal bei der Großmutter (meistens) und einmal bei der Deitschn-Teta.

      Vater arbeitete als Zimmermann ständig irgendwo auswärts – in Eger, Asch oder gar drüben „im Reich“, zum Beispiel in Plauen oder Suhl. Im Sommer kam er gar nur alle vier Wochen für einen Sonntag heim. Dann kroch ich am Samstagabend zu ihm ins Bett – er roch so schön nach Vater. Aber wenn er die Zudecke über den Kopf zog und von da drinnen her brummte wie ein Bär: „Kumm mit in ma Höhl“, bekam ich Angst und rief nach der Mama. Das weiß ich noch aus eigener Erinnerung. Auch, dass ich in der Vorweihnachtszeit in der Stube vor dem Wandkreuz betete und plötzlich eine Walnuss heruntergefallen kam.

      Federnschleißen

      An den dunklen Winterabenden wurden im Dorf reihum auf allen Höfen Federn geschlissen. Schöne, weiße, saubere Federn, erste Qualität. Denn den Gänsen stand der Dorfteich zum täglichen Bad zur Verfügung und sie nutzten ihn weidlich. Jeweils eine Woche lang kamen befreundete Frauen im gleichen Haus am Abend zusammen um die Federn dieses Hofes zu schleißen – von den Kielen zu befreien, die sich sonst durch’s Inlett bohren würden. War die letzte Feder geschlissen, gab es für alle Helferinnen einen Gugelhupf und Kaffee. Man nannte diesen Abend „Federball“ (ohne Tanz!). Mama half überall wo gerade Federzeit war und ich durfte mit. Sie konnte mich ja schwerlich allein zu Hause lassen. Entweder unterhielt ich die Frauen mit meiner Plauderei oder ich schlief auf einer Bank in der Ecke. Die Frauen saßen bei Petroleumlicht um einen großen Tisch in der warmen Stube. Jede fasste sich Federn aus einem Häufchen vor sich auf dem Tisch. Die vom Kiel geschlissenen Federn wurden zu leichtestem Flaum und die so entstandenen Daunen steckte man in der Tischmitte unter einen beschwerenden Teller. Im Laufe des Abends wurde der Berg unterm Teller immer größer. Da hinein niesen durfte keine, auch nicht hemmungslos lachen, denn dann wäre der Flaum in alle Richtungen davon geflogen.

      Ich kann mich erinnern, dass man mich einmal in eine etwas erhöhte Fensternische setzte und mich ermunterte, die Geschichte von der schiefmäuligen Bauernfamilie zu erzählen, die beim Schlafengehen die Kerze ausblasen wollte ohne es zu schaffen, weil sie immer in die falsche Richtung blies. Ich musste diese Geschichte, mit brennender Kerze in der Hand, immer wieder erzählen, denn ich schnitt angeblich so herrliche Grimassen dabei. Älter als vier Jahre war ich damals nicht, jedoch sicher recht unbefangen. Aber dann beim nach Hause gehen im nachtdunklen, unbeleuchteten Dorf, zwischen Dorfteich und hohem, dicken Holzschrot-Gartenzaun mit den kahlen Baumästen dahinter, war es mir gruselig. Mama trug mich Huckepack auf dem Rücken und da war nichts als nur noch Dunkelheit hinter mir. Ich war immer sehr erleichtert, wenn wir vor der Haustür standen und der Schlüssel sich im Schloss drehte.

      Mama hieß mit Mädchennamen Deimling. Und das war ein Omen. Denn ihre Gestalt hatte Däumling-Format: 150 cm groß und sehr rundlich.

      Umzug ins Haus am Weinberg in Mies

      Während wir im Deitschnhof in Zwinger wohnten, wurde für uns in Mies am Weinberg ein Häuschen gebaut. Mama hatte als Heiratsgut 10.000 Kronen bekommen, Vaters Familie half durch Mitarbeit, denn bei sechs Kindern war an geldliche Zuwendung nicht zu denken. Es wurde ein schönes Haus mit drei Stuben unten und einer unter dem Dach, ausbaufähig. Die Toilette war beim Eingang vor der Haustür mit kleiner Veranda. Das war schon fortschrittlich 1926. Die Wasserleitung mit nur einer Zapfstelle und Ausguss befand sich im Vorhaus. Wir hatten einen geräumigen Hof mit Holzlege (Holzschuppen) an der Ostseite und einen Garten an der Westseite. Mama zog dort ihr Gemüse und ich war eifrig mit dabei. Damals muss wohl die Vorliebe für’s Garteln bei mir entstanden sein. Ich habe eigenhändig duftende Veilchen eingepflanzt. Noch heute pflege ich meine Veilchen im Garten - so weit weg von Mies.

      Großmutters Tod

      Ich weiß nicht mehr, wohnten wir noch in Zwinger oder schon in Mies – 1928 starb meine Großmutter. Sie war nur achtundvierzig Jahre alt geworden. Meine Erinnerung reicht so weit, dass ich weiß, wie sie in der guten Stube aufgebahrt lag. Ich war noch nicht groß genug um in den Sarg sehen zu können. Auch, dass ich den weiten Weg auf der Straße durch das Miesatal, von Zwinger über den Mieser Bahnhof, die Vorstadt, durch den Brückenturm, die ganze Stadt und hinaus gegen Unolla bis zum Petruskirchlein hinter dem Leichenwagen hergegangen bin, weiß ich noch. Das blieb mir haften. Aber nur der Weg, nicht die Zeremonie am Grab, auch keine Gefühle; weder meinerseits noch die des Großvaters oder der sechs Kinder. Ich war halt noch zu klein und wahrscheinlich zu müde. Bei Großmutter, ich sagte wie ihre eigenen Kinder „Mutter“ zu ihr, hatten die Nieren versagt. Als man sie nach Plan ins Krankenhaus brachte, konnte ihr nicht mehr geholfen werden. Die Möglichkeiten von heute waren damals noch nicht gegeben. Großmutter war eine Raschtatochter vom großen Neubauernhof in Sittna (Sytno). Ich hörte später, dass sie die „Bauerntochter“ auf dem kleinen „Wirtschaftl“ der Schmiede nie so richtig ablegen konnte. Und sie musste doch drei Buben und drei Mädchen großziehen. Und dann hat sie auch noch mich aus Techlowitz geholt.

      1975 fand ich noch ihr Grab auf dem verwahrlosten Petrusfriedhof, aber ihr Bild vom Grabstein war heruntergeschlagen. Jetzt ist der Friedhof eingeebnet, nachdem man ihn vorher verwüstet hatte. Das war nicht fair von den Tschechen. Aber wer darf richten?

      Die Geschwister von Mama

      Obwohl wir nun schon am Weinberg in Mies wohnten, war ich doch die meiste Zeit in der „Schmied“ in Zwinger. Mama half hier bei vielen Arbeiten mit, vor allem zur Erntezeit. Mein Vater und sein Bruder Seff (Schmied-Beb) verdienten außer Haus ihren


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