Italien - Gefangen in Land und Liebe. Alexander Frey
Читать онлайн книгу.oder wir hatten unsere Sinne nicht mehr beisammen.
Jedenfalls stand der Feldwebel so urplötzlich vor uns, dass wir fast vor lauter Schreck und Überraschung mit unseren Fahrrädern im Straßengraben gelandet wären.
„Na, Jungs, was macht Ihr denn für Gesichter? Wohl noch nie einen Feldwebel gesehen? Wo soll´s denn hin geh´n?“
„Ach, nur zu einem kleinen Wochenendausflug nach Verona“, antwortete Fritz, der sich als erster gefangen hatte.
„Da werdet Ihr wohl kein Glück haben. In dieser Gegend kommt Ihr nicht durch. Hier wimmelt es nur so von Partisanen. Ein paar hundert Meter weiter halten sie deutsche Landser gefangen. Sie foltern sie bis auf´s Blut.“
„Wo sind diese Schweine?“ wurde Paul gleich wütend.
„Jetzt keine Aufregung, lasst uns in Ruhe überlegen, was wir da machen können“, versuchte ich zu beschwichtigen.
„Da ist nichts zu machen“, sagte der Feldwebel. „Wir vier können da gar nichts ausrichten. Das ist zu gefährlich, sie sind zu viele. Das wäre Selbstmord.“
„Aber wir können die Kameraden doch nicht im Stich lassen“, mischte sich Fritz ein.
„Genau, wir müssen alles versuchen, um sie zu retten“, versuchte ich dem Feldwebel klarzumachen.
„Da, seht doch selbst“, sagte der Feldwebel und zeigte in Richtung auf das Haus. „Das Haus steht mitten auf freiem Feld. Wir wissen nicht, wie viele Partisanen sich darin verborgen halten.
Es ist unmöglich, das Haus zu stürmen. Wenn wir auch nur den geringsten Versuch wagen, dann bedeutet das erst recht den Tod für unsere Leute. Es gibt keine Chance. Mit diesen Burschen ist nicht zu spaßen. Die kennen keine Gnade. Und seit sie wissen, dass wir uns auf der Straße der Verlierer befinden, schon gar nicht mehr.“
Wir sahen uns gegenseitig an. Man spürte bei jedem Einzelnen nur zu deutlich die Niedergeschlagenheit. Ich verspürte wieder dieses ekelhafte Gefühl der eigenen Ohnmacht, das mich schon so oft befallen hatte. Ich glaube, es gibt nichts, was so niederschmetternd ist, wie im Angesicht der Gefahr hilf- und tatenlos zusehen zu müssen, helfen zu wollen – es aber nicht zu können.
„Dann nehmen Sie uns doch bitte mit“, bat ich den Feldwebel.
„Das ist unmöglich, das sehen Sie doch“, antwortete er. „Wie soll ich Sie denn in meinem Beiwagenkrad mitnehmen? Soll ich meinen Beifahrer hier stehen lassen?“
Es blieb uns nichts anderes übrig, wollten wir wenigstens unser eigenes Leben retten, unseren Marsch auf Umwegen fortzusetzen.
So vorsichtig es ging, schlugen wir wieder unsere alte Richtung auf Verona ein, querfeldein über kleine unwegsame Feldwege.
Mit viel Mühe schlugen wir uns so bis ungefähr dreißig Kilometer vor Verona durch.
Über Landstraßen, Feldwege, durch verlassene und halb verlassene Dörfer versuchten wir, so gut wir konnten, jedes Hindernis zu umgehen. Vermieden es jetzt um so mehr, mit der Bevölkerung in Berührung zu kommen. Zwei Maschinenpistolen hielten wir schussbereit nach vorne, eine Maschinenpistole hatte der letzte Mann schussbereit nach hinten gerichtet.
So schön unsere Tour am Morgen begonnen hatte, von einem Wochenendausflug konnte jetzt nicht mehr die Rede sein. Nicht einmal im Spaß.
In der ständigen Angst, doch noch entdeckt zu werden, bei sengender Sonne und einem quälenden Hungergefühl in der Magengegend, war uns auch die letzte Lust an Späßen vergangen. Wir dachten nicht einmal an Essen oder Rast.
Uns trieb nur ein Gedanke, der Gedanke, selbst zu überleben. Gegen Abend fanden wir dann endlich eine Scheune, die uns geeignet schien, einigermaßen ungestört die Nacht zu verbringen.
Völlig erschöpft ließen wir uns fallen und schliefen sofort ein.
Am frühen Morgen kam eine Italienerin zu uns in die Scheune gelaufen und schrie immerfort: „Carroarmato, Panzer, Panzer, deutsche Panzer!“
„Denkste, das sind Ami-Panzer“, gab ich meinen Kameraden zu verstehen. „Wo wollen denn da noch deutsche Panzer her kommen? Wir haben seit Tagen keine mehr gesehen.“
Wir waren natürlich wie erstarrt. Da saßen wir, wie die Maus in der Falle. Zur Straße konnten wir nicht mehr.
Aus dem Haus gegenüber versuchten zwei Kameraden aus einer anderen Einheit auf Pferden zu fliehen. Gleich darauf peitschten einige Schüsse aus einer Panzerkanone. Wir konnten sehen, wie unsere Kameraden zu Boden stürzten. Da war uns klar, dass eine Flucht völlig sinnlos wäre.
Der reine Selbstmord.
Vor lauter Überraschung wussten wir nicht recht, was wir machen sollten. Irgendwie kamen wir uns total hilflos vor. Woher wusste man überhaupt, dass wir uns hier versteckt hielten? Hatte man uns am Abend vorher doch beobachtet? Nachdem ich mich von meinem ersten Schrecken einigermaßen erholt hatte, lief ich hinaus, um zu sehen, was los war. Mir stockte fast der Atem. Von Entsetzen gepackt blieb ich wie erstarrt stehen. Ich sah meine Vermutung bestätigt, es waren Ami-Panzer, Sauerei!
Auf der Straße standen vier amerikanische Panzer mit Infanteristen besetzt. Über den Panzern kreiste ein „Eiserner Gustav“, eines der typischen amerikanischen Aufklärungsflugzuge und suchte die Gegend nach deutschen Truppen ab. Aber da gab es nicht mehr viel zu sehen. Wir waren in alle Himmelsrichtungen versprengt. Nun hatten sie uns doch noch erwischt.
Die Amerikaner hatten bei St. Benedetto den Po überquert und uns von der Westflanke eingeholt.
Da gab es kein Entrinnen mehr.
Aus der Traum von den Alpen, der Heimat, der Freiheit, doch noch ungeschoren davon zu kommen.
Drei Mann gegen vier Panzer und 30 bis 40 Infanteristen, das wäre reiner Wahnsinn gewesen.
Nachdem ich mich wieder etwas gefasst hatte, zog ich mich wieder in die Scheune zurück und berichtete meinen Kameraden in wenigen Zügen, was sich draußen abspielte.
Raus konnten wir unmöglich. Wir dachten nicht daran, uns zu ergeben. Unser einziger Gedanke in diesem Augenblick war – verstecken! Aber wie würden sich die Italiener verhalten? Würden sie uns verraten? Oder vielleicht hinaustreiben, direkt dem Feind in die Arme?
Dann blieb uns nichts mehr. Wenn sie uns erst einmal gesehen hatten, war auch an Flucht nicht mehr zu denken. Einfach unmöglich.
Das Bauerngehöft befand sich mitten auf freiem Feld, wir hätten nicht die geringste Chance gehabt. Eine Panzer-Granate hätte uns den sicheren Tod gebracht.
In unsrer Verzweiflung suchten wir Schutz im Luftschutzkeller, der sich direkt, in Form eines tiefen Grabens und aus einer riesigen Menge Busch bestehend, der Scheune anschloss. Hinten und vorne befand sich je ein Ausgang.
Fritz und Paul stellten sich mit der Maschinenpistole im Anschlag hinten auf, ich behielt den vorderen Ausgang im Auge.
Äußerste Ruhe und Disziplin waren erforderlich, um nicht aufzufallen. Gespannt und konzentriert achteten wir auf das geringste Geräusch.
Die Italiener waren von uns noch schnell zum Stillschweigen verpflichtet worden. Aber wussten wir auch, ob sie Wort halten würden? Die Gefahren lauerten aus allen Ecken.
Bange Minuten folgten, die uns wie eine Ewigkeit schienen. Die Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt.
Die Panzer rollten bis zur Einfahrt des Gehöfts, blieben dann einen Moment stehen, einige Soldaten sprangen vom ersten Fahrzeug und kamen auf uns zu.
„Sind hier noch Deutsche?“ riefen sie der Italienerin zu.
Ich verstand ihre Frage sehr gut. Mir wurde sofort bewusst, in welcher Gefahr wir uns befanden. Ein Wort von der Frau und wir waren geliefert.
„No, no!“ rief die Frau des Hauses. „Sie sind heute früh abgereist.“
Sie machte ihre Sache ausgezeichnet. Vom Bunker aus beobachtete ich jede Bewegung, fest entschlossen, nicht aufzugeben.