Italien - Gefangen in Land und Liebe. Alexander Frey
Читать онлайн книгу.öffnete ich die Tür. Nichts. Draußen wie drinnen rührte sich nichts, blieb alles still. Ich verschwand um die nächste Ecke.
Ohne von jemanden aufgehalten zu werden, gelangte ich auf die Straße.
Dort orientierte ich mich, wo ich mich befand, und ging ruhigen Schrittes in Richtung Via Cairoli. Ohne weiteren Zwischenfall erreichte ich mein Ziel.
Die Überraschung war perfekt. Ich stand in der Tür und machte den Leuten klar: „Nicht mit mir, so nicht!“
Wieder erschien der Onkel. Es wurde lange palavert, bis wir uns einig wurden.
Ich sollte im Gefängnis „Aufseher“ werden. Hier vermutet man am wenigsten einen deutschen Soldaten.
Es ging alles sehr schnell. Von irgendwo hatte man einen Wagen bestellt. Ein herrliches Auto, ein Opel „Admiral“. Mir war unbegreiflich, wo sie das Auto in dieser Zeit aufgetrieben hatten. Ich stieg ein und man fuhr mich bis vor die Gefängnistür. Dort wurde ich von dem Direktor auf das Herzlichste empfangen. Als ich durch das große Tor ging, wurde mir unbeschreiblich zumute. Kalte Schauer liefen mir über den Rücken. Am ganzen Körper bekam ich eine Gänsehaut.
Durch einen schmalen Gang in einem Zwischenhof angelangt, sah ich zum ersten Mal in meinem Leben diese kleinen vergitterten Fenster. Natürlich hatte ich schon oft darüber reden hören, mir aber weiter keine Gedanken darüber gemacht. Jetzt erst wurde mir bewusst, was sich dahinter, in diesen kleinen Löchern, an menschlichem Schicksal abspielen mochte.
Der Direktor blieb auch weiterhin freundlich. Er zeigte mir die Anstalt und ihre Sicherungsmaßnahmen. Er versuchte, sich dabei fast zu entschuldigen, um mir die Berechtigung und Notwenigkeit zu erklären. Dann machte er mich mit den Zentralbeamten bekannt und verabschiedete sich mit den besten Wünschen.
Von der Zentrale bekam ich dann die nötigsten Anweisungen. Sicherheit und Ordnung waren hier das oberste Gebot. Doch sehr schnell merkte ich, dass die Wirklichkeit dagegen ganz anders aussah. Auf der Station, der ich zugeteilt wurde, wies mich ein uralter Mann ein, der noch aus der Römerzeit zu stammen schien, mich aber um so besser in die Praxis einführte. Der alte Kauz schien die Ruhe in Person. Und das war auch für ihn das oberste Gebot: Ruhe und nochmals Ruhe. Mit allen gut auskommen und gut Freund sein. Das aber war gar nicht einfach. Doch er hatte seine Erfahrungen darin.
Ich bekam auch sehr schnell mit, wie er das schaffte.
Die Gefangenen hatten unzählige Wünsche und Anliegen, die sich nicht mit der üblichen Dienstvorschrift vereinbaren ließen. Er aber machte den Briefträger, machte alle möglichen Besorgungen und versuchte so auf seine Art, jedem gerecht zu werden. Schiebung und Bestechung hatten für ihn die Bedeutung reinster Menschlichkeit. Er wollte helfen. Ihm kam es tatsächlich nicht darauf an, sich zu bereichern. Er schien unfähig dazu, obwohl gerade in dieser Zeit die größten Möglichkeiten für Geschäfte aller Art bestanden. Sehr bald versuchten die Gefangenen, auch mich für ihre Zwecke zu gewinnen.
Inzwischen verbesserte ich in meiner Freizeit meine italienischen Sprachkenntnisse. Die Verständigung wurde von Tag zu Tag besser. Ich war dazu eingeteilt, den Gefangenen Essen und Trinken auszugeben, hatte sie zur Wäschekammer, zum Arzt, zum Sanitäter und zu den verschiedenen Büros zu führen, machte also den ganz gewöhnlichen Lauf- und Zubringerdienst.
Dadurch bekam ich aber um so schneller Kontakt zu den Insassen. Denn so wie ich sie aus ihren Zellen ausschloss, um sie irgendwohin hinzuführen, hatten sie das natürliche Bedürfnis, sich mitzuteilen, ganz besonders diejenigen, die allein in ihren Zellen lagen. Aber auch die anderen, die sich in einer Gemeinschaftszelle aufhielten, waren froh, sich mal mit jemanden zu unterhalten, dessen Geschichte sie noch nicht von vorne bis hinten kannten, wie die von ihren Zellengenossen.
Von meinen Bekannten erhielt ich jeden Tag Besuch. Sie brachten mir einige Zigaretten, etwas Wurst, Brot und sonstige Kleinigkeiten. Den Umständen entsprechend konnte ich eigentlich mit meiner Lage wieder einmal zufrieden sein. Dennoch wirkte der tägliche Umgang mit den zum Teil wie Tiere gehaltenen und eingeschlossenen Menschen auf mich sehr deprimierend und machte mich fast krank.
Nach einiger Zeit freundete ich mich mit einem italienischen Offizier an. Er trug deutsche Luftwaffenuniform und gab sich mir erst nach langem Zögern als Südtiroler zu erkennen. Er wollte raus. Einige weitere hohe Offiziere, die ebenfalls hier untergebracht waren, traten mit dem gleichen Ansinnen an mich heran. Sie wollten auf jeden Fall mit meiner Hilfe aus dem Gefängnis. Man bot mir unvorstellbar hohe Summen, wenn ich sie hier herausbringen würde.
Damit befand ich mich wieder in größter Gefahr.
Aus den verschiedenen Andeutungen wurde mir klar, dass mir kaum eine andere Möglichkeit blieb. Sie wussten, dass ich Deutscher war. Entweder ging ich auf ihre Vorschläge ein oder aber ich flog selbst auf.
Ich kannte mich während dieser Zeit schon sehr gut in diesem Gelände aus. Es hätte keine besonderen Schwierigkeiten gebracht, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Doch was hätte das für einen Sinn gehabt? Hinterher wäre ich genau so dran und dürfte die Suppe allein auslöffeln. Dafür hatte ich in der letzten Zeit zu viel erlebt.
Das kam mir zu plötzlich, war mir alles zu überhastet und unbedacht. Ich wollte Ruhe, in Ruhe überlegen, was zu tun ist. Ich versuchte also sie hinzuhalten, so lange es möglich war.
Aber das Schicksal spielte mir wieder einmal einen Streich. Die italienischen Behörden machten mir einen Strich durch die Rechnung und alle meine Pläne. Sie steckten mich von einem Augenblick zum nächsten in eine Zelle. Vor dem Frühstück noch als Aufseher, saß ich danach bereits als Gefangener in einem finstereren, übelriechenden Loch, in dem ich vorher nur nachts geschlafen hatte. Die Zelle war kalt, fast leer und nicht gerade sauber.
Jetzt erst wurde mir bewusst, was ein Gefängnis wirklich von innen bedeutet. Alles, was ich bisher in diesen letzten Jahren im Krieg erlebt hatte, war nicht im Mindesten damit zu vergleichen. Jetzt erst stellte ich fest, wie wenig es einem doch gelingt, sich in die Situation eines anderen zu versetzen. Mir war schon während meiner Zeit als Aufseher nicht wohl zu Mute gewesen, wenn ich diesen eingesperrten Menschen begegnete. Aber nun spürte ich am eigenen Leibe und noch bedeutend stärker im Innersten der Seele, was es bedeutete, ohnmächtig allem, jeder Willkür ausgeliefert, aller natürlichsten Rechte und Bedürfnisse beraubt zu sein. Draußen, auch während der schlimmsten Kriegsereignisse, hatte man doch wenigstens immer noch die Möglichkeit, auf eigene Faust etwas zu unternehmen, gab es immer wieder einen Ausweg. Hinter diesen Mauern jedoch war alles aus, von einer lähmenden Ohnmacht gefesselt, lebendig begraben.
Die Zeit wollte und wollte nicht vergehen. Eintönig verlief ein Tag wie der andere. Endlos, Stunde um Stunde. Für ein paar Minuten durfte ich am Tag in den Hof, gerade so viel, um mich ein paar Mal richtig zu strecken und tief Luft zu holen. Auf dem Hof hingen große Plakate, auf denen in italienischer Sprache stand, dass alle deutschen Landser in die Gefangenenlager der Alliierten abgeschoben werden sollten. Ich war froh darüber, das war meine letzte Hoffnung. Jedenfalls glaubte ich, dass meine Chancen dort günstiger standen. Schlimmer als hier konnte es auf gar keinem Fall sein.
Außerdem hatte sich meine Lage inzwischen auch etwas geändert. Dabei wusste ich selbst nicht, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht. Nach einigen Tagen Einzelhaft, die einfach grauenvoll war, steckte man zwei Partisanen zu mir in die Zelle. Im ersten Moment war ich natürlich erfreut, nicht mehr allein zu sein, wieder Menschen um mich zu haben. Doch schon bald erschien mir diese Situation noch unerträglicher als das vorherige Alleinsein.
Jeder hatte seine Eigenarten, die einem schon nach kurzer Zeit auf die Nerven gingen, sodass man sich nach nichts anderem als Ruhe sehnte. Außerdem konnte ich mich schlecht mit Partisanen anfreunden. Gut, sie waren zum Teil nette Kerle. Unsere Ansichten über Krieg und Politik gingen aber immer weit auseinander. Aber schon nach ein paar Tagen vertrugen sie sich nicht einmal mehr untereinander. Dieses Eingesperrt-Sein erzeugte bei uns allen eine fast unerträgliche Spannung. Hinzu kam jeden Tag das gleiche mangelhafte Essen, Nudeln mit Weißbrot. Das Einzige, was es hier in Mengen gab, waren Wanzen, die auch nicht gerade zur Förderung der Stimmung beitrugen.
Am widerlichsten waren aber die Prahlereien meiner Zellengenossen. Immer und immer wieder erzählten