Die Keusche. Volker Krug

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Die Keusche - Volker Krug


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Blitze spürte.

      Dann senkte sich die Dämmerung herab und er ging zurück ins Dorf. Erste Fackeln und Lampions ergossen ihr bescheidenes Licht über den Marktplatz. Die messingnen Instrumente waren längst eingepackt und dröhnenden Boxen gewichen.

      ,Es passt nicht‘, dachte Rainer. ,Aber man ist’s halt gewöhnt und bumm-bumm-bumm muss sein!‘

      Von allen Seiten lärmte die gar nicht mehr volkstümliche Musik über den Platz, ob vom Podest, aus Richtung Kirche oder im Gasthaus. Getanzt wurde drinnen wie draußen. Rainer musste lange suchen. Und er fand zunächst Sieglinde. Er lächelte unverbindlich und sie schmachtete zurück. Sie mochte sich denken: Wo du bist, will auch ich sein! Und sie fand sich stets in seiner Nähe, wie geschickt er sich auch davonzustehlen versuchte. Stets spürte er ihren erwartungsvollen Blick in seinem Nacken. Aber das hatte auch sein Gutes! Denn Juliane, vom Abendessen mit herzlicher Laune zurückgekehrt, suchte Sieglindes Nähe. Das kam ihm zupass. Und folglich tanzte er unauffällig wohl mehr mit ihr als mit jeder anderen. Zwei oder dreimal auch mit Sieglinde, selbstredend; er konnte es ja – mein Gott – nicht mit Juliane verderben! Dass sie ihm hinterrücks Nasen drehte, störte ihn keineswegs. Er wollte sich holen, was ihm gemäß Police zustand: MIT ALLEN EXTRAS! So kam es, dass er den Abend doch noch recht passabel fand, obgleich er sich unter bäuerlichem Flair etwas anderes vorgestellt hatte.

      Plötzlich waren sie verschwunden, alle beide, Juliane und Sieglinde. Das gab’s doch nicht! So prüde konnte man hier – obwohl Dorf – doch gar nicht sein, dass man noch vor Mitternacht und vor einem einzelnen städtischen Weltmann die Segel strich! Noch dazu im Rahmen eines solch unbedarften Dorffestes, wo sich alles kannte, traf und besoff! Oder hatten die lieben Eltern ein erzieherisches Machtwort gesprochen? Welche Zustände! Die beiden Girls waren doch mindestens zwanzig, wie!

      Sei’s drum! Er wusste ja notfalls, wo Juliane, die so Zauberhafte, wohnte. Rainer verließ also den schon etwas verhaltenen Trubel und schritt erwartungsvoll die bekannte Gasse hinan. Dorthin nämlich, wo er den Born seiner künftigen Freuden ahnte. Jedoch, der Weg war leider nur spärlich beleuchtet. Dennoch glaubte er, das Haus mit sicherer Erinnerung ausgespürt zu haben; letztlich fand er die Hausnummer sorgsam in seinem Kalender notiert. „Vierundzwanzig“, las er, nachdem er zur Sicherheit ein Streichholz angezündet hatte, um die Hausnummer am Torpfosten besser erkennen zu können.

      „Vierundzwanzig“, murmelte er zufrieden vor sich hin und schaute nach links und schaute nach rechts, ob auch kein Störenfried sich bemerkbar mache. Vor ihm das Haus lag bereits in tiefstem Schlaf, das Nachbargebäude, zu dem hin sich Julianes Fenster öffnete, im Übrigen auch.

      Und ihr Fenster – ach hurra! – war sperrangelweit geöffnet. Wenn dies keine Einladung verhieß!

      Vorsichtig erkletterte Rainer das lästige Gartentor. Beinah noch hätte er sich die ländlich geschnittene Hose an der Heckenrose zerrissen. Er sprang hinab auf den Rasen und hörte sich um. Nichts als das Geräusch vom fernen Trara auf dem Dorfplatz! Infolge der blassen Straßenlaternen konnte man weiß Gott kaum etwas erkennen. Der Himmel zeigte sich umwölkt – man hatte es befürchtet – und von Ferne sah man ein munteres Wetterleuchten herüber blinken. Zuweilen rollte schon schwacher Donner heran. Wenn’s nur nicht wittert! MIT ALLEN EXTRAS! Ach, was sollte das! Nur mutig voran, Jugendfreund! Schnell die Leiter ausgehakt und ans Fenster gelehnt. Fensterln! Echt bayrisch fensterln! Selbstverständlich in den Extras inbegriffen, sagte er sich. Schwankend erklomm er Sprosse um Sprosse, prüfend, ob sie nicht morsch seien oder sonst welches Knarren nach sich zögen. Aufm Dorf musste man mit allem rechnen! Wenig später hatte er den Fensterrahmen erreicht. Langsam zog er sich empor, Nasenspitze um Nasenspitze, klopfenden Herzens. Er starrte in die vollkommene Dunkelheit des Gevierts.

      „Juliane!“ Heiseres Röcheln. „Duuu!“

      Er seufzte erkenntlich zum Zeichen äußerster Erregung, tief und theatralisch. Doch kein Wort liebevoller Erwiderung erreichte sein Ohr. Nicht einmal jenes markante Kichern.

      Doch immerhin regte sich bald etwas. Schwach erkannte Rainer die Umrisse des Bettes, eines vorzüglichen Bettes. Unter dem Daunenberg wölbte sich ein menschlicher Hintern, Born seines üppigsten Verlangens an diesem Abend!

      „Juliane!“, stöhnte er abermals, vergehend fast vor Aufregung. Und stieg ein. Das Fensterln war gelungen! Maßgerecht! Hinten in seiner Seele hakte er den Erfolg schon mal ab.

      Die frauliche Gestalt bewegte sich abermals, gab aber noch immer keinen Satz von sich. Verwegen trat Rainer an die Bettstatt, löste flink den Gürtel seiner Anzugshose und ließ diese erwartungsvoll fallen.

      „Juliane!“

      Kaum erkennbar, streckten sich ihm zwei weißliche Arme entgegen.

      „Oh Juliane!“, gluckste es zum wiederholten Male aus ihm heraus. „Du wirst es nicht bereuen!“

      Entschlossen stieg er in die warme Wanne der Wonne und schmiegte sich an den unsichtbaren, aber immerhin tastbaren, fraulichen Körper. Er streichelte ihn und weibliche Hände umklammerten indessen seine drängende Hüfte.

      „Herzallerliebstes!“, flüsterte er im Überschwang der Dringlichkeit.

      Sie vergalt es ihm lediglich mit heißen Küssen, nicht mit wohl gezielten Worten. Er spürte ihr Verlangen, sich ihm bedenkenlos hinzugeben. Und er schloss sie bäurisch in die Arme, nahm sie, keuchend. Immer unvorsichtiger keuchend. Jetzt gab sie endlich Laut, umsichtige Äußerungen wie „Ah!“ und „Ja!“ und „Oh!“. Es war aber auch nicht zum Beruhigen!

      Sie hätten es dennoch nicht tun sollen. Jedenfalls nicht ganz so lärmend. Man könnte meinen, bei offenen Fenstern … Und dem so nahen Nachbarhaus … Wo das dortige Kammerfenster ebenso außerordentlich ungehörig und weit offen stand …

      Infolgedessen öffnete sich – eilig schlurfende Schritte kündeten das Unheil – die hiesige Kammertür und herein trat, vorläufig noch im Schatten werfenden Flurlicht eine weibliche Gestalt gehobeneren Alters und Umfangs. Sie knipste das Licht an und konnte nur ihre Mutter sein.

      In harschem Entsetzen fuhr Gartenfreund Rainer aus der Lust in die Hölle.

      „Oh verdammt!“

      Hierauf warf er einen verschreckten Blick auf die Dame seines Herzens unter ihm. „Oh verdammt! Sieglinde!“

      „Sie Dreckschwein, Sie!“, donnerte die Matrone. Sie ging hinaus und kam augenblicklich mit einem Besenstiel zurück. „Sie Dreckschwein, Sie!“

      Doch das städtische Dreckschwein war – gedankenschnell – eben im Begriff, den Pfuhl der Sünde auf gekommenem Weg zu verlassen. Und als sie, „Verruchtes Weibsstück!“ schreiend, ihrer Tochter einen Funken Aufmerksamkeit widmete, war er längst am Fenster und tastete mit zitternden Knien den ersten Sprossen nach. Der Besenstiel flog als sirrendes Geschoss an ihm vorbei und blieb geradenwegs im benachbarten Kirschbaum hängen. Doch so sehr sich Rainer auch eilte, die Matrone erwies sich als schneller und kippte mit kräftigem Schwung die Leiter in den Rasen, so dass er wie weiland Dorfrichter Adam in die unvermeidlichen Rosen hinab stürzte. Es stach ihn mehrfach im Bein und er hatte sich zu allem Übel auch noch den Fuß verrenkt. Die Hose war hin. Bibbernd stand er nun unten, klagend um die abwesende Hose, und schaute erwartungsvoll hinauf in das erleuchtete Kammerfenster. Die Matrone füllte es gediegen aus.

      „Meine Hose!“, rief er bescheiden und bedeckte seine Scham, von der in der Dunkelheit leider nichts zu erkennen war …

      „Die kannst du dir morgen auf der Wach’ abholen!“, kreischte die Mutter ohne Rücksicht auf nachbarliche Neugier. Entschlossen zog sie das Fenster zu. Er durfte froh sein, nicht einen Eimer Unrat über seinem Haupt entleert zu sehen.

      Hinter ihm begann es zu kichern. Dieses kam ihm sehr bekannt vor.

      „Oh, der Mond is aufgange!“, sagte eine vertraute Stimme.

      „Ach Juliane!“, seufzte Rainer verzweifelt. „Hab’ ich mich doch im Haus geirrt!“

      „Naa, naa,“ beschwichtigte sie ihn. „Ich wollt’ nur der Sigi aach mal was Guts zukomme lass’.“


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