Die Keusche. Volker Krug

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Die Keusche - Volker Krug


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mit Sauerkraut, Karussell und Schausteller, buntes Programm.

      TANZ IN ALLEN SÄLEN – DISKO

      Genießen Sie drei Tage deftiges Landleben!

      Für Mark Deutscher Notenbank 150 inklusive werden Sie es nicht bereuen!!

      MIT ALLEN EXTRAS!!!“

      Rainer nahm den Rotstift zur Hand, der auf seinem städtischen Schreibtisch bereit lag, und strich die fette Offerte an, welche sich in der Mittwochausgabe der „Volkspresse“ breit gemacht hatte. Die Minenspitze verabschiedete sich mit leisem Knacks.

      ‚Das wär doch mal was!‘, dachte er sich. ‚Wuschlige Weiber, tolle Titten, deftige Dirndl, stampfend und sauheiß! Eine Blaskapelle von drei älteren Herrschaften. Und dem Tubisten reißt die Arschnaht, falls er sich bückt!‘

      Mit seinen junggeselligen fünfunddreißig Jahren durfte er schon mal – noch oder erst recht – über bäuerliche Stränge schlagen. Na gut, heute bot sich auch nicht mehr das an, was früher mal die Lampen zum Wackeln gebracht hatte – beim Bauern-Bruegel beispielsweise. Da ging es noch her! Aber – wenn es denn wäre, wie die Zeitung es schwarz auf weiß verhieß? Ein Mordsgaudi vielleicht? So nah an der bayrischen Grenze. MIT ALLEN EXTRAS! Junge, Junge! Er könnte der depperten Dorfjugend schon was nachweisen!

      Also flugs die zuständige Telefonnummer angerufen und ein Bauernbett mit lila Veilchen reserviert, von Freitagnachmittag bis Montagfrüh!

      Das Dorf, na vielleicht achthundert Seelen, lag noch friedlich und freundlich im herbstlichen Nachmittagsschlummer, als er seine geschichtsträchtigen Schritte vor die kleine Bahnhofstür setzte. Verschlafen – sagte er sich überheblich – genauso verschlafen hatte er es sich vorgestellt. Hier müsste städtischer Pfeffer ran! Hier müsste ein Hauch von Weltgeist rübergebracht werden. Hier müsste frisches Blut rein! Sex! Er fühlte sich dazu berufen.

      Sogleich warf er sich in die weltmännische Brust, schwenkte seinen eigens zu diesem Zweck im Kaufhaus erstandenen Wanderstock sowie den Wetter trotzenden Filzhut entschlossen in den reinen Dorfgerüchen. Dann stakte er breitbeinig davon. Tief motiviert durch die heitere Dorfluft schaute er belustigt auf die kleinen, aber schmucken Häuschen, die sich – mein Gott, wie konnte man darinnen nur sein Leben fristen! – in perliger Reihe hin an den sanften Berghang streckten. Für Autos, ächzte er, für Autos allerdings ein Jammertal! Auf der anderen Seite immerhin: Ein entzückendes Panorama, fast als wenn er in seinem städtischen Zwölfgeschosser nach Südsüdwest schaute! Dort allerdings mehr Häuser, mehr Straßenschluchten, hier verständlicherweise lediglich Bäume und Täler. Rainer – ach wie gern hätte er sich im Augenblicke seinen Freund Gotthilf rufen lassen – Rainer seufzte auf, rückte den falschen Gamsbart am Filzhut zurecht und klopfte auf seinen Rucksack, worinnen sicherheitshalber ein paar Lederhosen der möglichen Nutzung harrten. Er lamentierte: Kein Taxi hielt in der Gegend, kein Fiaker, keine noch so gewöhnliche Pferdekutsche, die den hohen Gast in das vornehmste, einzige Gasthaus am Platze gebracht hätte! So musste er den beschwerlichen Kilometer allein und per pedes bewältigen. Immerhin lächelte man ihm, wo immer Gelegenheit bestand, überall freundlich zu.

      Von seinem Zimmer war er enttäuscht. Für das veranschlagte Geld hätte er sich entweder wenigstens eine marmorne Sitzwanne erhofft oder aber eine blecherne, kunstvoll verbeulte Wasserschüssel mit alt-bäuerlich gestyltem Zubehör einschließlich schöner großer Keramikkanne, um den Genuss des Nostalgischen in allen Nuancen erschnuppern zu können. Statt dessen überraschte man ihn mit Dusche und Innentoilette. Sogar der dürftige Weg über den von Hund und Huhn beherrschten Hof blieb ihm erspart! Nichts also mit romantischem Dorfgasthof, Stallduft und ländlichem Feeling. Andererseits fiel, sofern er den Kopf interessiert durch das wunderlich kleine Fensterchen steckte, sein Blick umfänglich auf den schon mit Girlanden und bemerkenswerten dörflichen Accessoires geschmückten Dorfplatz. Auf der gegenüberliegenden Seite glänzte das Rathaus mit Fähnchen und Blumengebinden.

      Nun, an diesem ersten Abend standen keine kulturellen Höhepunkte ins Haus, wenn man dem drei Hauptpunkte umfassenden Festplan Glauben schenken durfte. Auf eine vorgezogene Disko war – in Rücksicht auf die Anwohner, mithin des ganzen Dorfes also, – verzichtet worden, um die nächstfolgende Nacht kräftiger und lautstärker durchfeiern zu können. Wer dann noch pünktlich zum Erntedankgottesdienst zu erscheinen vermochte, war möglicherweise selbst dem Pfarrer rätselhaft.

      Rainer nutzte die Gelegenheit und die kurz vor dem Horizont stehende Sonne, um einige behagliche Schritte vor das Haus zu setzen und die beschränkten Bau- und Räumlichkeiten des kleinen Dorfes vollständig zu erfassen. Es waren nette Anwesen zu sehen. Insbesondere erregte seine Aufmerksamkeit eine Zeile neuerer Siedlungshäuschen, die sich längs des talförmigen Einschnitts an den Berg schmiegten. Bemerkenswert! Dies vordergründig wohl nicht der außerordentlich günstigen Lage, sondern wohl eher den außerordentlich hübschen Mädchenköpfen geschuldet, die ihm links und rechts voller Neugier aus den oberen Kemenaten entgegen lächelten. Er schwenkte seinen vernagelten Stock und warf sich wiederholt in die städtische Brust. Nach jedem Blick, den er erhaschen konnte, strich er sich geschmeichelt und mit Würde über den gepflegten Schnurrbart, der ihm unter diesen Bedingungen nun wahnsinnig passend erschien. Hernach schritt er zufrieden zurück auf sein Zimmer und gab sich verdienter Ruhe hin, nicht ohne die Festkleidung für den folgenden Morgen bereitzulegen. Indessen vermochte er lange nicht einzuschlafen, da ihn das Geräusch eines unweit dahinplätschernden Baches störte. Er vermisste den betulichen Nachtlärm seiner Großstadtstraße.

      Als er am nächsten Tag erwachte, kitzelte ihm die Sonne bereits in der Nase. Draußen auf dem Platz, vernahm er, herrschte bereits buntes Treiben. Er warf sich eilig in seine dörflich aufgemotzten Klamotten und eilte zum Frühstück mit dem angekündigten gekochten Ei vom Bauernhof. Versprochen! Dann trat er sogleich vor das hohe Tor, um die – laut Prospekt – eigens für ihn geschaffene Szene zu genießen. Auf dem Platz montierte jemand tatsächlich ein Karussell – freilich ein Kinderkarussell, was anderes hätte wohl kaum Raum gefunden. Und selbstredend erstand plötzlich die „Würschtelbude“ vor seien Augen. Daneben machte sich der obligate Schießstand breit, natürlich mit Hinweis auf den heimischen Schützenverein. So sah Rainer zwar alle Ankündigungen formal zwar bestätigt; dennoch war er nicht wenig enttäuscht, schien all dies doch den so herbeigesehnten und herbeigeworbenen dörflichen Charakter eher zu verballhornen als dass es festlich oder gar pastoral wirkte. Die zu den Festlichkeiten insgesamt installierten Volksbelustigungen waren im Nu abgeschritten und man musste halt sehen, wie man sich den Nachmittag lang bis zum Abend nachhaltig vergnügen konnte.

      Nachdem gegen drei die versprochene Blasmusik einsetzte, kam ein wenig mehr „Leben in die Bude“, wie der Wirt prophezeit hatte. „Zum Vormittog gehn de Leit’ halt in de Kirchn!“ Auch samstags? fragte sich Rainer.

      Er ließ den Blick wandern und fühlte sich bald mehr vom Gedränge aufgesogen als ihm recht war. Indessen spürte er froher Stimmung allgemeine Herzlichkeit. Es schien, als kennten sich alle die Leute schon ewiglich; sie ließen sich von seiner Erscheinung durchaus nicht irritieren. Nur die Mädchen, die Mädchen kicherten über ihn, wieder und wieder. Und er strich sich effektvoll den frisch gestutzten Bart, keineswegs verlegen und sehr zufrieden mit sich selbst und seiner Statur. Er sonnte sich vielmehr in dieser unbeschreiblich wohltuenden Aufmerksamkeit. Wenn er in ihre erhitzten Gesichter schaute, glaubte er das eine oder andere schon gesehen zu haben. Vielleicht gestern? Am Fenster?

      „Schießen S’ mir eine Papprosen?“, fragte eine Stimme hinter ihm.

      Rainer wandte den Kopf und blickte in ein gerötetes, stupsnäsiges Gesicht. Zwanzig Jahre, schätze er, höchstens einundzwanzig. Recht hübsch für den Tag, unter dörflichen Verhältnissen. Man müsste das Dirndl gleich festnageln, ja! Wenn sich was Besseres fände, na gut … Was man hat, das hat man; und es soll ja auch nicht für mehr als eine Nacht herhalten.

      „Selbstverständlich, verehrtes Fräulein!“, säuselte er folgerichtig in städtischer Überheblichkeit und striegelte sich das Bärtchen mit dem Zeigefinger. „Doch nur, wenn ich Sie höflichst zum Tanze bitten darf. Oder wie drückt man sich hier aus?“

      „Zur Disko? Jo, bitten derfn S’ scho.“

      Seltsamer


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