Jan und Jutta. Liselotte Welskopf-Henrich

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Jan und Jutta - Liselotte Welskopf-Henrich


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der Landstraße, die über den Hügel führte, ein bereitstehendes Motorrad und knatterten damit stadtwärts. Die übrigen machten sich mit den Gefangenen zu Fuß auf den Weg. Nur einmal begegnete die Eskorte Fußgängern, die den Sonntagmorgen im Freien genießen wollten. Zwei Frauen in Sonntags-Sommerkleidern, Männer in frisch geplätteten Hemden, ein kleines Mädchen mit blauen Zopfbändern und ein junge im neuen Anzug wanderten von der Stadt her in den Wald. Als sie die Polizei, die SA und, von diesen halb verdeckt, auch die Gefangenen in den schwarzen Leinenanzügen erblickten, wandten sie scheu den Kopf zur Seite und wichen vom Wege. Erst als die Polizei und die Gefangenen an ihnen vorüber waren, schauten die Spaziergänger noch einmal kurz zurück und wiesen dabei das Mädchen und den jungen an, sich nicht aufzuhalten. Erschien der Anblick der Verfemten den Bürgern gefährlich?

      Die Gefangenen sahen nur geradeaus auf ihren, Weg.

      Die Landstraße führte auf halber Höhe der von Wald und Wiese bedeckten Hügel entlang. Vom Wiesentale her ließ sich jetzt froher Lärm einer Kinderschar vernehmen. Der Augenblick, in dem Jan die fröhlichen Laute vernahm, war auf seinem schweren Weg der einzige, der ihn daran erinnerte, daß er in diesen Wäldern, auf diesen Wiesen auch als Junge umhergestrolcht war und daß er mit dem gleichen übermütigen Geschrei in der Este gebadet hatte, wie es jetzt die jungen aus der kleinen Stadt taten. Allerdings hatte Jan das Vergnügen zu baden immer nur als ein verbotenes Vergnügen genossen. Er hatte schon als Kind arbeiten müssen, denn seine Eltern waren arm gewesen.

      Die Wachmannschaften kamen mit den drei Gefangenen in die Straßen der Stadt.

      Die Fensterscheiben leuchteten blank geputzt an den Fachwerkhäusern. Da und dort tat sich eines der Fenster auf. Die Hausfrau am Herd, der Hausherr, der seine Zeitung in Ruhe lesen wollte, wurden durch das Getrampel der schweren Polizei- und SA-Stiefel auf dem Kopfsteinpflaster aufgeschreckt und warfen neugierige Blicke auf die Straße. Kinder, die sonntäglich geputzt auf den Höfen, in den Toreinfahrten, auf den Bürgersteigen gespielt hatten, verstummten, brachen ihre Spiele ab und schauten voll Spannung auf den ungewöhnlichen Vorgang. Die Kirchgänger faßten ihre Gebetbücher unwillkürlich fester.

      »Habt ihr gesehen? Der Jan Möller ist dabei!«

      Die Ohren der Gefangenen fingen hin und wieder einen Fetzen solchen Geflüsters auf.

      Endlich war das Rathaus erreicht, in dem sich die Polizeiwache befand. Die Gefangenen wurden in den Wachraum gebracht.

      In dem kühlen Raum des alten Gebäudes standen sie vor dem Polizeimeister und dem Protokollanten und gaben ihre Personalien an.

      »Na ja«, meinte der Polizeimeister, ein älterer, gesetzter Mann, »dann werden wir also jetzt das Moorlager verständigen.«

      Der Protokollant klappte die Akte zu. »Es ist nur sonderbar«, hörten die Gefangenen den Polizeimeister noch sagen, »daß wir vom Lager überhaupt keine Meldung bekommen haben … in der Richtung hier hat man die Flüchtlinge wohl nicht vermutet.«

      Die Gefangenen wurden von einem der Polizisten in den Keller gebracht. Der Polizist schloß die drei zusammen in eine enge dunkle Zelle ein.

      Franz, Christoph und Jan setzten sich auf die einzige schmale Bank, die vorhanden war. Wortlos schauten sie sich zunächst in dem schmutzigen Raum um.

      »Also Wanzen jedenfalls, darauf will ich wetten«, bemerkte Franz.

      Dann herrschte wieder längeres Schweigen.

      »Die Kerle sind eigentlich noch grundanständig zu uns«, meinte Christoph schließlich, »daß sie uns nicht isolieren, sondern zusammensperren. Was sagen wir denn nun, wenn die Vernehmung kommt?«

      »Was ausgemacht ist«, antwortete Jan.

      »Also wir wollten durch die Flucht gegen die Behandlung protestieren … gegen die Prügel … wollten unter falschem Namen in der Gegend hier untertauchen und arbeiten … Verbindungen haben wir keine …«

      »Das ist doch alles klar!« meinte Franz.

      »Ja, ja … bloß die von Celle werden ja weniger anständig sein. Die werden wissen wollen, wie wir zu dritt auf den gleichen Gedanken gekommen sind!«

      Jan zuckte die Achseln. »Ich habe schon die höchsten Strafen von uns dreien, und darum kriege ich jetzt wieder die höchsten …«

      Franz und Christoph stützten die Ellenbogen auf die Knie und senkten den Kopf.

      »Es ist ja auch egal«, erklärte Jan weiter. »Bei mir kommt es nicht mehr darauf an. Solange der Hitler an der Macht ist, lassen die mich sowieso nie mehr frei.«

      »Das schon«, sagte Christoph, »aber deshalb braucht man dich doch nicht mehr als nötig hineinzubringen.«

      »Also ich habe das angestiftet«, schloß Jan kurz. »Ich habe euch überredet. Den Schraubenschlüssel habe ich natürlich gefunden, den hat mir keiner gegeben. Dann ist alles klar?«

      Franz und Christoph stimmten zu.

      Die Gefangenen saßen wieder still beisammen. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Nur einmal flüsterte Christoph noch: »Der Henne, so ein Lump! Die Polizei hier hatte keine Ahnung. Alles wäre gut gegangen …«

      Die beiden anderen sagten nichts dazu. Was nützten alle Worte. Der große Plan war an einem Verräter gescheitert.

      Als es Nachmittag geworden war, wurden die Gefangenen wieder nach oben zur Vernehmung gebracht. Im Wachraum stand bei dem Polizeimeister Hinrich Vürmann mit zwei Posten. Es war den Gefangenen klar, daß er auf den telefonischen Anruf der Polizeiwache hin sofort mit dem Wagen gekommen sein mußte.

      Jan, Franz und Christoph blieben äußerlich völlig gleichmütig und sagten auf die Fragen des Polizeimeisters übereinstimmend nach der getroffenen Abrede aus.

      Es war dem Wachtmeister Hinrich Vürmann anzusehen, wie er die ruhigen Fragen des Polizeimeisters und die bestimmten Antworten der Gefangenen mit steigendem Ärger verfolgte.

      »Eine ganz große Schweinerei!« rief er, als das Protokoll geschlossen wurde »Prügel! So eine unverschämte Lüge! Die Bande hat ihre Aussagen offenbar verabredet! Das einzige, was der Wahrheit entspricht … ja, das einzige, was hier nicht erstunken und erlogen ist, das ist die Tatsache, daß der Kommunist hier, der Jan Möller, die ganze Schweinerei angestiftet hat! Das ist ein Staatsfeind, ein waschechter Kommunist ist das, ein ganz gefährlicher Verbrecher, der sich noch um nichts gebessert hat und nur von neuem auf hochverräterische Umtriebe ausgehen will! Er wird auch niemals etwas einsehen … dementsprechend muß man ihn behandeln!«

      Jans Gestalt hatte sich um ein weniges gereckt, als er die Worte vernahm: »… ein waschechter Kommunist ist das.«

      Hinrich Vürmann schaute den »Rädelsführer« wütend an. »Du bist wohl noch stolz darauf, so ein Untermensch zu sein, du Bolschewik! Der Stolz vergeht dir noch!«

      Vürmann wischte sich den Schweiß von der Stirn. Obgleich es kühl im Raume war, hatte ihm der Zorn die Hitze in den Kopf getrieben. jetzt ließ er sich das Protokoll geben, las es noch einmal durch und warf die Blätter dann mit einer heftigen Bewegung auf den Tisch.

      Der Polizeimeister rückte das Aktenstück zurecht, so daß es wieder in genau gemessenem Abstand ordnungsgemäß neben den anderen Akten auf dem Schreibtisch lag. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, stützte die Hände gegen die Tischkante und fragte: »Haben Sie zu der Sache noch etwas zu bemerken, Herr Wachtmeister?«

      »Nein«, erwiderte Vürmann bissig, knurrend wie ein Hund, der an die Leine genommen worden ist. »Ich habe hier nichts mehr zu bemerken. Das übrige wird sich ja in Celle finden.«

      »Ich danke Ihnen. Dann können die Gefangenen also abgeführt werden.«

      Derselbe Polizist, der die Gefangenen das erstemal in den Keller gebracht hatte, führte sie auch jetzt wieder in ihre Zelle.

      Wieder saßen Jan, Franz und Christoph still und stumm in dem kleinen, halbdunklen, schmutzigen Raum. Die Stunden vergingen. Die drei Männer waren sehr müde, und sie waren auch hungrig, denn die Verpflegung war schlecht.


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