Jan und Jutta. Liselotte Welskopf-Henrich

Читать онлайн книгу.

Jan und Jutta - Liselotte Welskopf-Henrich


Скачать книгу
sich im Schloß der Zellentür. Die Gefangenen schauten mißtrauisch auf. Alle Vorgänge, die nicht der üblichen Regel entsprachen, mußten einen Gefangenen zunächst mit Mißtrauen erfüllen, denn das Außergewöhnliche im Gefangenenleben war meistens etwas Schlechtes und selten etwas Gutes.

      Die Tür ging auf.

      Der uniformierte, etwas untersetzte, kräftige Mann, der eintrat, war der Polizeimeister selbst.

      Die Gefangenen hatten sich von ihrer Bank erhoben. Sie waren überrascht.

      Der Polizeimeister lächelte verlegen und wog ein großes Brot in der Hand, das noch nach Hefe und Backofen duftete. Die Blicke der Gefangenen hingen an dem Brot.

      »Die Verpflegung ist nicht so reichlich«, sagte der Polizeimeister. »Ihr werdet ja auch Hunger haben nach eurem Marsch vom Moor hierher. Ich habe euch noch ein Brot beim Bäcker besorgt.«

      Der Polizeimeister blinzelte Jan zu und gab ihm das Brot.

      »Wir danken.«

      »Schon gut, schon gut.«

      Der Polizeimeister entfernte sich schnell.

      Die Gefangenen brachen das Brot. Alle drei aßen heißhungrig. Sie waren noch ganz und gar mit dem Genuß des frischen Bäckerbrotes beschäftigt, als sich an dem vergitterten Kellerfenster ein leises Zischen hören ließ.

      »He … he … scht …«

      Franz stand auf und ging ans Fenster.

      Durch das Gitter konnte er den Schattenriß einer Mädchengestalt erkennen.

      Eine schmale weiche Hand steckte einige große Birnen durch das Gitter. »Da …«, flüsterte es, »laßt’s euch schmecken. Ich komm’ morgen wieder!«

      Das Mädchen war verschwunden. Die Gefangenen glaubten noch ihren leichten Schritt draußen auf dem Hof zu hören. Die Birnen waren reif. Wenn man hineinbiß, spürte die Zunge den Saft voller Süßigkeit; sie schmeckten nach Sonne und fruchtbarer Erde.

      »Das ist sicher das Mädel vom Ratskeller gewesen«, erklärte Jan und warf noch einen Blick zu dem Kellerfenster, durch das jedoch nichts mehr zu erkennen war als das von einem fernen Lampenschein ein wenig erleuchtete nächtliche Dunkel und das Pflaster des Hofs.

      Die Gefangenen aßen die Birnen zum Brot. Sie hatten seit Jahren kein frisches Obst mehr erhalten. Lange, beinahe vorsichtig, schmeckten sie den Saft auf der Zunge. Das Verlangen ihres Körpers nach der frischen Nahrung setzte sich in ein Wohlgefühl ihrer Nerven um, als sie das Begehrte schlucken konnten. Ihre Glieder und ihre Gedanken konnten sich entspannen. Es waren nicht nur der Duft des Brotes und die Süßigkeit der heimatlichen Frucht, was sie belebte. Sie empfanden, daß Menschen ihnen freundlich gesinnt waren, und konnten die harte Abwehrstellung ihres Empfindens für eine Stunde aufgeben. Sie fühlten sich gekräftigt und trotz ihrer elenden Lage in dem dunklen und verwanzten Raum auf eine bestimmte Art befriedigt. Es kamen ihnen wieder eher Worte, und ihre Bewegungen und Vorstellungen wurden lebhafter.

      »Wenn die Verpflegung so weitergeht!« sagte Christoph und lächelte.

      »Alle Achtung«, meinte Franz und ging mit einer Birne und einem Kanten Brot auf und ab. »Die sind hier in Ordnung.« Er lachte kurz. »Sogar der Herr Polizeimeister persönlich geht am Sonntagabend noch für uns zum Bäcker!«

      Jan hatte die Arme auf die Knie gestützt und aß bedächtig.

      »Komisch«, sprach Franz weiter. »Es ist eigentlich komisch – bei uns daheim … nee – hätte es das nicht gegeben. Bei euch hier … muß doch irgendwas anders sein in der Stimmung …«

      Jan zerbiß das Kernhaus seiner Birne und aß auch noch den Stiel auf. Dann schaute er Franz von unten herauf aufmerksam an.

      »Das ist eben Arbeit«, meinte er. »Es kommt auch auf die Arbeit an. Wir sind in der Hamburger Gegend hier. Das darfst du nicht vergessen.«

      Franz zog die Brauen hoch. »Ihr habt wohl hier gar keine schlechte Gruppe gehabt?«

      »Nee, das war gute Arbeit hier«, sagte Jan, mit Stolz und mit Trauer. Der Klang seiner Stimme hatte sich verändert. Er sprach seine einfachen Worte beinahe feierlich. »Siehst du, 1933 hatten wir hier 400 ›Nein‹-Stimmen gegen Hitler, aber 1934 waren es schon mehr als 800, die ›nein‹ sagten … Das ist es ja auch, was denen dann auf die Nerven gegangen ist.«

      Franz wog die letzte Birne in der Hand. »Fast ein halbes Pfund, so ein Ding …« Er sagte das nur, um Zeit für seine Gedanken zu gewinnen. »Mehr als 800, das ist in dem Nest hier nicht schlecht …«, kam er dann auf das Thema zurück, das das Schicksal der drei gefangenen Männer geworden war. »Mehr als doppelt soviel in einem Jahr … schade … wie seid ihr denn nachher hochgegangen, Jan?«

      »Na, du weißt ja, wie so etwas geht.« Jan machte eine Bewegung und legte dann die muskulösen Hände ineinander, als ob er irgend etwas nochmals abschließen müsse. Es war, als ob er nochmals das Unfaßbare fassen müsse, daß seine Kräfte wiederum gebunden, daß sie wieder nutzlos geworden waren. »Wie eben so etwas geht. Wir sind zu dreist geworden. Wir hatten so viel Freunde, daß wir schon eher legal als illegal gearbeitet haben. Das ist immer schlecht. Die Menschen werden zu leicht unvorsichtig. Jedenfalls, sie fingen den Paul ab, meinen Kurier, als er Material von Harburg dabei hatte, und dann … nun, was soll ich viel erzählen. Sie haben ihn fertiggemacht … geprügelt, bis er meinen Namen sagte …«

      »Dir ist es ja nicht anders gegangen, Jan«, warf Christoph hin. »Du sollst ganz hübsch bunt ausgesehen haben, damals, als sie dich vernommen hatten … aber gesagt hast du nichts.«

      »Tscha, ein Zimmermann hat harte Knochen, der spürt das mal nicht so … Du selbst hast ja übrigens auch den Mund gehalten, als der Kiesel dich ein paarmal geschlagen hat, bis du zusammengebrochen bist. Aber ich trag’ dem Paul nichts nach. Bloß der Henne … das war gemein heute.«

      Draußen erlosch der Lichtschimmer.

      Franz fing die erste Wanze, die sich von der schmutzigen Kellerdecke auf ihn herabgelassen hatte. Überall, an den Wänden, auf der Bank, am Fußboden fing es an, sich zu rühren.

      Die Gefangenen hatten ihre Beschäftigung.

      »Macht euch nicht soviel Arbeit«, sagte Jan. »In Celle werden wir geschoren und entlaust.«

      Die Nacht ging mit wenigen Stunden erschöpften Ruhens vorüber. Die Gefangenen erfuhren am Morgen von dem Wachhabenden, daß sie in einigen Tagen mit dem Gefangenenwagen der Reichsbahn nach Celle transportiert werden sollten.

      Die verwanzte Kellerzelle war auf die Dauer kein angenehmer Aufenthalt. Aber die Gefangenen erhielten außer der amtlichen Verpflegung regelmäßig ihr Obst und ihre belegten Brote. Einmal erschien das junge Mädchen, einmal erschien die Wirtin des Ratskellers selbst am vergitterten Fenster und steckte den dreien die Leckerbissen zu.

      »Sag denen mal Bescheid«, meinte Christoph zu Jan. »Deine Mutter oder wen du sonst noch hier hast … die können dich doch jetzt leicht sprechen.«

      Über Jans Züge ging ein dunkler Schatten. »Laß mal …«, antwortete er nur.

      Franz und Christoph wußten, daß Jan niemals Briefe von zu Hause erhielt. Sie rührten die Frage nicht weiter an.

      Zwölf Tage waren seit der Nacht vergangen, in der Jan, Christoph und Franz die Flucht aus dem Teufelsmoor gewagt hatten. Man hatte sie in das Zuchthaus Celle eingeliefert.

      Es war Morgen. Aber das Licht des Septembertages fiel nur trübe in jene Zelle, in der sich Jan jetzt befand. Das kleine, hoch in der Wand angebrachte Fenster war vierfach vergittert. Die Gitter waren in die Mauer eingelassen.

      Innerhalb der Zelle war eine besondere »Arrest«-Zelle durch ein starkes Gitter abgeteilt. In der Arrestzelle befand sich die Holzpritsche. Neben der Pritsche waren noch 50 Zentimeter Raum. Auf diesem Raum konnte der Gefangene stehen oder – in der Länge der Pritsche – gehen. Er konnte zwei lange Schritte von dem Kopfende der Pritsche zum Fußende hin und zwei Schritte in umgekehrter Richtung machen.

      Jan


Скачать книгу