Jan und Jutta. Liselotte Welskopf-Henrich

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Jan und Jutta - Liselotte Welskopf-Henrich


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den Wachmannschaften gegenüber. Vürmann fühlte eine Übelkeit im Magen. Aber wenn die drei wieder eingefangen wurden, die sollten es zu spüren bekommen.

      Der Hauptwachtmeister ging mit seinen Untergebenen in den Hof, um sich den Fluchtweg genauer zu besehen. »Von heute an jedenfalls Verstärkung anfordern und auch Außenposten aufstellen«, bemerkte er zum Oberwachtmeister. »Vor allem müssen wir uns über den Hausvater in Celle beschweren, der uns derart unzuverlässiges politisches Gesindel hierherschickt, das unter den hier gegebenen Umständen gar nicht ordnungsgemäß zu bewachen ist …«

      Vürmann atmete ein wenig auf. Die Schuld abschieben, ja die Schuld abschieben, das war der einzig mögliche Weg.

      Einer der Wachtmeister fand die Laken in der Regentonne.

      »Als ob sie uns verhöhnen wollten!« schrie Vürmann.

      »Dieser Jan muß ein ganz gewiegter Gauner sein! Wie er sich immer verstellen konnte! Ich denke noch, er liest den ›Völkischen‹…«

      »Das interessiert uns jetzt weniger«, bemerkte der Hauptwachtmeister spitz. »Aber wo hatte er den Schraubenschlüssel her?«

      »Der Schlosser … Er kommt sofort in die Arrestzelle!«

      »Na ja, gewiß, der Schlosser! Aber wieso wird hier nicht besser auf das Werkzeug geachtet? Kann hier jeder alles mitnehmen, wohin es ihm beliebt? Wie? Die Schluderwirtschaft hört jedenfalls auf!«

      Vürmann wurde blaß.

      In der Stube des Hauptwachtmeisters rasselte das Telefon. Hoffnung beflügelte alle Wachmannschaften. Vielleicht war das schon die Meldung, daß die Entflohenen wieder gefaßt seien. Vürmann war der erste, der in der Stube anlangte und den Hörer zitternd abnahm, um ihn dem Hauptwachtmeister zu reichen. Alle Ohren lauschten, es war mäuschenstill im Raum.

      Auch in den Mienen des Hauptwachtmeisters hatte sich die angenehme Hoffnung abgezeichnet. Aber auf seiner Stirn erschienen gleich wieder Falten. »Ich habe doch die Personenbeschreibung durchgegeben … nein. Nein!! habe ich gesagt. Ein kleiner Rothaariger war nicht dabei! Nun verhaften Sie wohl die ganze Bevölkerung zwischen uns und der holländischen Grenze, Sie Idiot! Wir haben hier keine Frauen … ganz unwahrscheinlich, daß sie jetzt mit Frauenzimmern gehen … schwarze Arbeitsbluse, schwarze Hosen … mit gelben Biesen …« Der Hauptwachtmeister hängte erschöpft ab. »Die sind ja nicht normal …«, sagte er.

      »Was aber die Biesen anbelangt«, bemerkte einer der Wachtmeister, »so hatte der Jan noch keine Biesen an den Hosen. Einige Gefangene tragen noch die alte Kleidung.«

      »Mist!« rief der Hauptwachtmeister. »Warum habe ich das nicht gleich erfahren! Soll ich vielleicht jetzt an hundert Stellen wieder eine andere Personenbeschreibung durchlaufen lassen?! Wie soll man hier Ordnung halten, wenn nichts klappt, überhaupt nichts!! Wachtmeister, gehen Sie an Ihre Plätze, das ist notwendiger als hier herumzustehen! Sonst laufen uns noch ein paar weg. Nichts ist gefährlicher als das Beispiel … verflucht und zugenäht, es ist zum Kotzen …«

      Die Wachtmeister waren schon verschwunden. Nur die drei wieder in Händen haben, dachte Vürmann. Nur die wiederhaben! Der schwarze Jan war ihm doch nicht umsonst aufgefallen. Es war etwas Unheimliches an diesem Menschen gewesen! Er hatte ihn überzeugen wollen. Quatsch! Einen Kommunisten überzeugen! Totschlagen mußte man sie, nur totschlagen! Warum die Gerichte noch soviel Federlesens mit den Untermenschen machten?

      Als sich diese Vorgänge im Moorlager abspielten, befanden sich Jan, Christoph und Franz auf der Flucht.

      Während ihrer ersten kurzen Atempause hatten sie in einem Rübenfeld gestanden. Der Tau lag in dicken Tropfen auf den Blättern. Aber die drei merkten nicht, daß sie naß wurden, als sie sich einen Augenblick niederließen.

      »Der Vürmann wird Augen machen«, sagte Franz.

      »Dort …«, flüsterte Christoph. »Licht! Das kann nur …«, er schaute umher, »das kann nur Polizei sein!« Er legte sich flach ins Feld.

      Jan hatte auch prüfend in die Richtung geschaut, die sein Freund meinte.

      »Ein Mädel ist es, das nicht schlafen kann«, sagte er dann. »Sie hat eine Kerze hinters Fenster gestellt.«

      Die Flüchtlinge standen auf und setzten ihren Weg fort.

      Sie mieden die Landstraßen und die Häuser. Querfeldein ging es im Dauerlauf die ganze Nacht hindurch. Das Laufen über die Rübenfelder und Kartoffeläcker war anstrengend.

      Als die drei wieder einmal einen Zaun überkletterten, der die Felder trennte, stürzte der schmächtige Christoph vor Müdigkeit. Er fiel kopfüber und lag dann auf etwas Warmem, Weichem, das ihn mehr erschreckte, als ihn eine nasse Wiese voller Brennesseln oder der Lehm eines Kartoffelackers hätte erschrecken können. Das Warme Weiche geriet in Bewegung … und auf einmal gab es einen tiefen Laut von sich: »Muh-öh.«

      Christoph mußte lachen. Die Kuh war offenbar ebenso erschrocken wie er selbst. Rasch glitt er von ihrem Rücken herunter und eilte seinen beiden Gefährten wieder nach.

      Der Mond wanderte am Himmel und auch die Sterne veränderten langsam den Stand. Es kamen die Stunden, in denen das Sternenlicht schon blasser wurde und die ersten Anzeichen der Morgendämmerung zu bemerkten waren.

      Als die Flüchtlinge einen Weg kreuzten, sahen sie am Rain schon große gefüllte Milchkannen stehen, die die Bauern zum Abholen für die Molkereiwagen bereitgestellt hatten. Verschwitzt, erschöpft, vom Durst gepeinigt nach dem stundenlangen Lauf, öffnete Franz die eine der Kannen und trank. Seit Jahren hatten die Gefangenen keine Milch mehr geschmeckt. Franz schlürfte noch ein paar Schluck. Dann ließ er Christoph heran.

      »So macht doch vorwärts«, flüsterte Jan ungeduldig. »Es wird hell!«

      Christoph trank nicht mehr viel, aber das wenige genügte schon, um in ihm eine furchtbare Übelkeit zu erregen. Die Kost war ungewohnt und sein Körper überanstrengt. Aber er durfte nicht nachgeben. Weiter lief er mit den anderen, bald springend, bald kriechend, bald im Dauerlauf. Die Flüchtlinge, die den Schutz der Dunkelheit verloren, mußten im heraufziehenden Tag den Schutz des Geländes suchen. Sie hatten lange nichts mehr miteinander gesprochen.

      Jan führte nach wie vor. Er steuerte jetzt mit seinen beiden Gefährten auf ein Gehölz zu, das sich an einem Hang hinabzog.

      Die drei Männer drangen in das Gehölz ein. Es bestand aus jungen Tannen und Gesträuch. Die Flüchtlinge suchten sich ein geeignetes Versteck. Todmüde von dem stundenlangen nächtlichen Lauf, durchnäßt, erhitzt durch die Anstrengung und zugleich ausgekühlt von dem herbstlichen Winde der letzten Nachtstunden, nisteten sie sich im Unterholz ein. Es roch nach Harz, nach Brombeeren und nach Walderde. Die dünnen Waldgräser glitzerten. Der erste Lichtschimmer, der dem Sonnenaufgang noch voranging, fing sich schon in den Tautropfen. Von einem der Baumwipfel erklang die erste Vogelstimme.

      Jan kroch in dem Versteck umher, um einen geeigneten Ausguck zu finden, der ihm den Blick auf den nächsten Weg erlaubte, ohne daß er selbst von dort gesehen werden konnte.

      »Wo sind wir denn?« fragte Franz, zu Jan hingewandt. »Du scheinst dich ja auszukennen.«

      »Wo-die-Hunde-mit-dem-Schwanz-bellen«, antwortete Jan. »Hier in der Gegend habe ich gewohnt und gearbeitet.«

      »Du?« fing Christoph an und holte tief Luft, um sich nicht zu erbrechen. »Wohnt hier nicht … hier in der Nähe … der Hein Henne, meine ich?«

      »Stimmt. Du kennst ihn doch auch?«

      »Ja.«

      Die Vogelstimmen wurden schon zahlreicher. Die Sonne war über dem Horizont emporgekommen. Eine Lerche stieg in die Lüfte. Hellgoldenes Licht flutete zwischen den jungen grünen Tannen, den Ranken und Sträuchern. Der Himmel wölbte sich blau über dem Land. Die Tautropfen begannen an den Gräsern herabzurinnen und leuchteten dabei in allen Farben des Regenbogens. Ein Marienkäfer war Jan auf die Hand gefallen und versuchte jetzt, seine Flügel zu spreizen. Über den Waldweg, den Jan vom Versteck aus beobachten konnte, lief ein Hase. Das Tier hielt einen Augenblick an, machte Männchen,


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