Die Melodie des Mörders. Miriam Rademacher

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Die Melodie des Mörders - Miriam Rademacher


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flunkerte er allen Anwesenden vor, dass die Anwohner der umliegenden Häuser ihn wegen der Lärmbelästigung um ein baldiges Ende der Party gebeten hätten, und legte, den Protest der Umstehenden ignorierend, leise Rausschmeißermusik auf. Die ersten Gäste brachen auch fast augenblicklich auf. Unter ihnen war auch Shelby, der Colin zum Abschied gerade noch zuwinken konnte, bevor sie mit zusammengepressten Lippen zur Tür hinaus floh. Colin hätte Mike Dieber den Hals umdrehen können. Er hasste es, wenn ein einsames Herz die Party mit einem schlechteren Gefühl verließ als bei der Ankunft. Es machte ihn traurig. Natürlich war die Welt unfair. Aber warum bekam ein Ferkel mit Kreditkarte eine Frau wie Mary Bittner und ein nettes Mädchen wie Shelby nicht einmal einen Trostpreis wie Mike? Nicht einmal für einen Abend?

      Um Ruth und ihre letzten Bierflaschen hatte sich eine lustige Runde versammelt. Colin wusste, dass es sich noch eine Weile hinziehen konnte, bis auch die letzten aufgekratzten Tänzer aufbrachen. Also stellte er sich zu Ruth hinter den Tresen, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich muss nochmal weg. Kann ich dich wirklich alleinlassen?«

      »Klar. Solange ich hier nicht übernachten muss. Du fährst mich doch heim, wenn du getan hast, was du tun musst, nicht wahr?«

      Colin drückte seiner guten Freundin einen Kuss auf die Stirn, was ihm den spontanen Applaus der Umstehenden bescherte, und lief unter ihrem Gelächter zurück zur Kirche.

      I’ll Be Home For Christmas

      Schon an der Tür konnte er Mike Dieber lamentieren hören.

      »Und da wird allen Ernstes der Tanzlehrer zuerst an den Tatort gerufen und nicht die Polizei? Wenn das mein Chef erfährt, könnt ihr was erleben!«

      »Es ist nicht der Tanzlehrer, sondern der Detektiv, den ich engagiert habe, um den Tod meines Freundes Clifford aufzuklären«, erwiderte Jasper nicht viel leiser. »Und du kannst froh sein, dass wir dich geholt haben, bevor dein Boss Hoffer hier auftaucht und dir wieder nur die Drecksarbeit überlässt.«

      Colin sprang die Stufen zum Orgelboden hinauf und bezog genau zwischen den beiden Kontrahenten Stellung. Augenblicklich sackte Mike Dieber merklich in sich zusammen. Colins Predigt am Waschbecken über das korrekte Verhalten eines Gentlemans war ihm augenscheinlich noch in lebhafter Erinnerung.

      »Wie wäre es denn, wenn wir jetzt gleich das ausprobieren, was wir später sowieso wieder tun müssen?«, schlug Colin vor. »Wie wäre es mit Zusammenarbeit?«

      »Ich darf nicht mit Amateuren zusammenarbeiten«, nuschelte Dieber, was ihm einen bösen Blick von Jasper einbrachte.

      »Amateure? Die Amateure haben jetzt schon oft genug deinen Job gemacht und dir die Lorbeeren überlassen«, sagte der Pfarrer und verschränkte die Arme vor der Brust.

      »Aber ich bin derjenige, der die Schwierigkeiten bekommt, wenn mein Boss rauskriegt, dass ich mit euch unter einer Decke stecke«, erwiderte Mike.

      Colin sah hinunter zu Cliffords Leiche und fragte sich, was der zu dieser Diskussion zu sagen gehabt hätte. Angesichts seiner leblosen Augen erschienen Wortgefechte albern und völlig fehl am Platz.

      Colin machte eine beschwichtigende Handbewegung und sagte: »Mike, ich bezweifle, dass du jemals mit irgendjemanden unter einer Decke stecken wirst, egal ob Männlein oder Weiblein, wenn du nicht an deinem Taktgefühl arbeitest. Aber darüber reden wir beide zu einem anderen Zeitpunkt. Clifford ist tot. Da liegt er. Hast du ihn dir überhaupt schon angesehen?«

      Mike Dieber lief dunkelrot an und biss sich auf die Lippen. Dann sagte er, und er versuchte dabei möglichst professionell zu klingen: »Also, was ist hier passiert?«

      Jasper schilderte in kurzen Worten den Ablauf der Theaterprobe und berichtete von Cliffords letzten Aktivitäten. »Er hat ein bisschen herumgeklimpert, dann habe ich eine Weile nichts von ihm gehört. Dann hat er nochmal losgeklimpert, was wirklich störend war. Ich rief ihm zu, dass er aufhören solle, und das tat er auch. Da fällt mir ein, dass sein Schlussakkord irgendwie disharmonisch ausfiel.«

      »Disharmonisch? Der Mann ist tot! Und das ist alles, was du von einem Mord in deiner Kirche mitbekommen hast? Dass sein Abgang disharmonisch war?« Dieber schien fassungslos.

      »Wie hätte ich das denn ahnen sollen? Ich war unten im Kirchraum. Von dort ist der Orgelboden nicht einsehbar. Die Orgel steht wie eine Wand zwischen dem Organisten und dem Pfarrer.«

      »Und wie läuft das während des Gottesdienstes ab? Muss man da nicht mal kurz Rücksprache halten und sei es nur per Blickkontakt? Wie fand Clifford den richtigen Moment für seinen Einsatz?«, fragte Colin.

      Jasper wies mit dem Finger auf einen Monitor, der schräg neben der Orgel an der Wand hing. Colin hatte das kleine Objekt bis zu diesem Moment glatt übersehen.

      »In der Kirche befindet sich eine Kamera. Clifford konnte mich sehen, ich ihn aber nicht. Für gewöhnlich reichte ein Nicken meinerseits und Clifford wusste, was er zu tun hatte. Er verfolgte den Gottesdienst immer sehr aufmerksam«, erklärte Jasper. »Die Kamera lässt sich von hier aus anschalten.« Er machte Anstalten, den Anwesenden das Wunderwerk der Technik vorzuführen, doch Mike hielt ihn zurück.

      »Nichts anfassen. Das hier ist ein Tatort.«

      »Aber meine Fingerabdrücke werden sich so oder so an diesem Tatort finden«, protestierte Jasper.

      »Das ist noch lange kein Grund, die des Täters zu verwischen«, widersprach Dieber.

      »Die würde ich an deiner Stelle auf der Orgelpfeife suchen«, sagte Colin. »Wenn du deine Ausbeute dann mit allen Fingerabdrücken der Schauspieler vergleichst, könnte das zu einem schnellen Erfolg führen.«

      »Und falls nicht, werden wir Amateure den Mörder von Clifford finden. Das bin ich ihm schuldig«, stellte Jasper fest.

      »Macht, was ihr wollt. Ich mache jetzt Meldung«, sagte Dieber und zückte sein Handy.

      Eine knappe Viertelstunde später schnaufte ein schlechtgelaunter Inspector Hoffer die Treppe zum Orgelboden herauf.

      Jasper, der die letzten Minuten wieder und wieder die Ereignisse der Theaterprobe geschildert hatte, während sich sowohl Mike als auch Colin gewissenhaft alle Namen der Darsteller notierten, sah ihm mit erschöpftem Gesichtsausdruck entgegen. »Ich habe Ihrem Sergeant bereits alles gesagt, was ich weiß. Habe ich eine Chance auf eine kleine Pause, während Sie den Tatort inspizieren? Jetzt, wo der Adrenalinpegel wieder sinkt, fühle ich mich etwas zittrig.«

      »Wenn Sie mir und meinen Leuten in dieser Pause einen Kaffee kochen, dann dürfen Sie sich entfernen. Aber kommen Sie zurück, so schnell Sie können. Ich trinke meinen Kaffee mit viel Milch und Zucker«, sagte Hoffer. Hinter ihm trabten zwei Gestalten in weißen Schutzanzügen heran und öffneten geschäftig Koffer und Taschen. Während Jasper die erstbeste Gelegenheit zur Flucht nutzte, wandte sich Hoffer Colin zu: »Nun, erzählen Sie mal, Mr Duffot. Wie haben Sie den Toten entdeckt?«

      »Ich war es diesmal gar nicht«, erwiderte Colin und konnte nicht umhin, fröhlich zu klingen. »Jasper hat ihn gefunden.«

      »Der Pfarrer? Sie machen Witze.«

      »Nein, ganz im Ernst. Ich habe brav im Gemeindesaal meinen Tanzabend geleitet. Dafür gibt es übrigens eine Tanzfläche voller Zeugen.«

      »Und was machen Sie dann hier?«

      »Ihnen Konkurrenz.«

      »Ach ja. Das Messingschild an Mrs Greys Gartenzaun, ich vergaß. Unter diesem Gesichtspunkt hätte ich den Pfarrer lieber nicht gehen lassen, sondern Sie die Treppe runterschubsen sollen.«

      »Ich überlasse Ihnen nur zu gern das Feld. Es ist ja nicht so, dass ich nicht noch anderes zu tun hätte. Im Gemeindehaus dudelt immer noch Musik, und Ruth Dimbridge wartet darauf, von mir nach Hause gefahren zu werden.«

      »Dann sehen Sie zu, dass Sie Land gewinnen, Duffot. Wenn ich Fragen an Sie habe, melde ich mich.«

      Colin nickte folgsam, winkte zum Abschied und verließ den Orgelboden. Im Kirchraum traf er auf einen müde


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