Der große Aschinger. Heinz-Joachim Simon

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Der große Aschinger - Heinz-Joachim Simon


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mit einer Raubritterburg, der noch die Eierschalen hinter den Ohren hat.«

      »Raubritterburg!«, entfuhr es dem Grafen, und er sprang auf, bereit, die Ehre der Ahnen und den Stolz des deutschen Adels zu verteidigen. »Wir sind Reichsritter seit dem fünfzehnten Jahrhundert – und wer sind Sie? Ein Besitzer von Gaststätten, den Raubtiermethoden zum ersten Kneipier Berlins gemacht haben. Ich kann auch austeilen!«

      »Nun hört auf!«, schrie die Baroness und hielt sich die Ohren zu.

      »Ich kann das nicht mehr hören!«

      »Kneipier? Sie wissen nicht, mit wem Sie reden! Jedes meiner Hotels ist mehr wert als Ihr Steinhaufen am Rhein. Ich brauche keine Ahnenreihe, um zu wissen, dass ich mich nicht zwischen zwei Menschen drängen darf, die vorhaben, sich zu verloben. Jawohl, Sieglinde und ich lieben uns!«

      »Das tun wir nicht! Hör auf!«, kreischte die Baroness.

      Das war für Aschinger, für seinen benebelten Kopf und seine Wut zu viel, zu sehr brannte der Verlobungsring in seiner Jackentasche.

      »Du degenerierter Abkömmling eines Raubritters!«, brüllte er und stand auf, holte aus und schlug nach dem Grafen.

      Wenn er getroffen hätte, wäre der Kampf anders ausgegangen. Aber er bewegte nur die verräucherte Luft. Der Graf schlug seinerseits zurück und traf Fritz Aschinger am Kinn, worauf dieser vom Bierfass fiel und über den Boden rutschte. Mühsam rappelte er sich auf und stürzte sich auf den Grafen. Dieser gab ihm einen Schlag gegen die Schläfe, und Aschinger fiel wie ein Sack zusammen, knallte auf den Tisch, rollte gegen die Wand und blieb liegen.

      »Wie peinlich!«, zischte die Gräfin von Battenberg. »Das kommt davon, wenn man sich mit solch einem Volk einlässt!«

      Sebastian kümmerte sich um Aschinger und tätschelte seine Wange. »Herr Aschinger, so wachen Sie doch auf! Wie geht es Ihnen?«

      »Ich gehe auf der Stelle. Kommst du mit?«, kreischte die Baroness. Staufenfels sah einen Augenblick unsicher zur Battenberg hinüber, und deren Augen wurden immer größer. »Nimm ein Taxi!«, sagte der Graf zu ihr und warf Geld auf den Tisch, nahm die Hand der Baroness und lief mit ihr hinaus.

      »Du kannst mich doch hier nicht … Das ist doch unmöglich!«, rief ihm die Battenberg hinterher. »Was für eine Schande, incroyable

      Sebastian half Aschinger, der endlich wieder die Augen offen hatte, hoch. Mit müden Bewegungen klopfte er sich den Smoking ab.

      »Schon gut, Johnny, es ist alles in Ordnung«, murmelte er und schien wieder nüchtern geworden zu sein. Er winkte den Kellner heran und gab ihm mehr Geld, als die Zeche betrug, und entschuldigte sich für den Wirbel, den er verursacht hatte. Der zigeunerhafte Kellner sagte, dass doch nichts passiert sei, und machte eine tiefe Verbeugung. Für ein solch üppiges Trinkgeld, mochte er denken, konnte sich Aschinger hier jeden Abend verprügeln lassen.

      »Wir fahren Sie nach Hause«, sagte Aschinger zur Gräfin.

      Von seiner Trunkenheit war nichts mehr zu spüren. Seine Augen waren zwar noch blutunterlaufen, blickten aber klar, und seine Bewegungen waren nicht mehr unsicher. Die Gräfin nickte kurz, und sie gingen hinaus. Von Sieglinde von Weinberg und dem Grafen war nichts mehr zu sehen. Sie nahmen eines der Taxis vor dem Coupole und brachten die Gräfin ins Grand Hotel an der Opéra.

      Als die Battenberg ausstieg, sagte Aschinger: »Es tut mir leid, dass der Abend so einen Ausgang genommen hat.«

      »Vielleicht war er für uns beide eine heilsame Erfahrung«, erwiderte sie.

      Als sie schließlich vor dem Ritz anlangten, bezahlte Aschinger das Taxi. Sie stiegen aus und atmeten die kühle Luft ein.

      »Wir hätten das Ritz nie verlassen sollen. Hier hätte ich ein Heimspiel gehabt, dann wäre alles anders gekommen.«

      Sebastian korrigierte ihn nicht. Er wusste nur zu gut, dass der Baroness der Zwischenfall gelegen gekommen war, um dem drohenden Antrag zu entgehen.

      »Gehen wir hinein und trinken noch einen Absacker an der Bar!« Sie gingen den langen Flur mit den Vitrinen entlang, in denen Schmuck, Uhren und Nippes angeboten wurden. Sebastian staunte, wie nüchtern Aschinger jetzt wirkte, als hätte er nicht viele Gläser Champagner, Wein und Whisky getrunken. Die Bar war zu dieser Stunde fast leer. Sie setzten sich an den Tresen, und Aschinger bestellte zweimal Tomatensaft mit Gin.

      »Sie wird wiederkommen und sich entschuldigen«, sagte er nach einer Weile. »Du glaubst doch auch, dass sie wiederkommen wird? Sie hat nur zu viel getrunken. Vielleicht hat sie Angst vor der Verlobung bekommen? Ja, das wird es gewesen sein. Für so ein junges Mädchen ist das natürlich ein Wendepunkt im Leben, und da ist sie in Panik geraten und hat Unsinn gesagt. Das glaubst du doch auch, Johnny?«

      Er glaubte es nicht. Er war sich sogar sicher, dass es vorbei war. Aber er nickte. Fritz Aschinger tat ihm leid, denn der hatte nicht begriffen, dass er sich an ein Mädchen hängen wollte, deren Leben aus einer Perlenkette von Leichtsinn, Übermut und Lebenslust bestand, und die sich ihm hingab, ohne darin eine Verpflichtung zu sehen.

      »Sie wird wiederkommen«, wiederholte Aschinger. »Sie hat ja noch ihre Kleider in meiner Suite. Ganz bestimmt.«

      »Ganz bestimmt«, murmelte Sebastian.

      »Morgen wird alles wieder in Ordnung kommen«, brummte Aschinger, trank das Glas leer und bestellte zwei Whisky.

      »Wir sollten jetzt nach oben gehen. Es war ein anstrengender Tag für uns«, mahnte Sebastian vorsichtig.

      Aschingers Augen wurden wieder verschwommen und seine Bewegungen fahriger. »Du musst das verstehen, Johnny. Ich habe mir bisher wenig aus Frauen gemacht. O ja, ganz Berlin will mir seine Töchter andrehen! Die meisten waren dumme Gänse, die nur auf mein Geld aus waren. Aber die Sieglinde, die ist frisch wie eine Morgenbrise, sie ist so lebendig. Sie lässt mich ein ganz anderer Mensch sein. Was würde Teichmann lachen, wenn er von dem heutigen Abend erfährt! Du darfst ihm nichts davon sagen, Johnny, hörst du? Kein Wort zu Teichmann!«

      »Selbstverständlich, Herr Aschinger, von mir erfährt er kein Wort.«

      »Teichmann hat kein Blut in den Adern. Und wenn, dann ist es das kalte Blut eines Fisches. Aber er ist ein brauchbarer Mann. Ohne ihn wäre ich aufgeschmissen. Wir beide, Johnny, sind keine kalten Fische, wir sind Träumer. Wir beide lieben Balzac und Zola und die ganzen ollen Franzosen, nicht wahr?« Er legte Sebastian den Arm um die Schulter und stammelte weiter: »Ich werde die Sieglinde bekommen. Trotz allem. Und du, mein lieber Johnny, wirst unser Trauzeuge sein, und wir werden eine Hochzeitsfeier haben, von der ganz Berlin sprechen wird. Ich sollte abnehmen, hat Sieglindchen gesagt. Das werde ich tun, und ich werde so schlank werden wie dieser Staufenfels. Es kommen harte Zeiten auf meinen Magen zu.«

      Das trunkene Gerede ging noch lange weiter. Schließlich waren sie die Einzigen in der Bar. Endlich hatte Sebastian Aschinger überzeugt, dass es Zeit war, zu Bett zu gehen. Er musste ihn stützen, damit sie die Bar verlassen konnten. Im Fahrstuhl fiel Aschinger immer mehr zusammen, und letztendlich musste ihn Sebastian zu der großen Suite schleifen, ihn aufs Bett legen und ausziehen.

      »Sie wird zurückkommen!«, murmelte Aschinger noch, bevor er zu schnarchen anfing.

      Sebastian nickte seufzend, fuhr dann mit dem Fahrstuhl hinunter und ging aus der Halle auf den Place Vendôme. Er war zu aufgewühlt, um schlafen zu können. Die Laternen brannten noch rund um den Platz, aber die Statue des Napoleon war nur noch ein Schatten. Jetzt im Halbdunkel war der Platz noch schöner, weil keine Automobile mehr vorbeikamen und er leer und geheimnisvoll vor ihm lag.

      »Eine schöne Nacht, nicht wahr?«, sagte jemand hinter ihm mit englischem Akzent.

      Er drehte sich überrascht um. Er erinnerte sich, der Mann hatte, bevor sie ins Fuego gingen, in der Ritzbar neben ihnen gesessen. Er war in seinem Alter, trug einen gepflegten Schnurrbart und hatte ein breites Gesicht mit roten Haaren. »Ja, in der Tat, für eine Herbstnacht ist es erstaunlich mild. Sie sind Engländer?«

      »Ja, ich komme aus Kent. Ich bin Viscount Burnberry, meine Freunde nennen


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