Abenddämmerung im Westen. Wieland Becker
Читать онлайн книгу.der anderen Seite junge Amerikaner, die mit einer gnadenlos harten Ausbildung systematisch deformiert werden, bis sie bereit sind, jeden Befehl auszuführen und die ihren Stolz daraus beziehen, dass sie jeden Befehl, auch den Mord an Zivilisten, gewissenhaft durchführen. Bekanntlich beruhte die Kampfkraft der sowjetischen Armee auf einer ebenso gnadenlos harten Ausbildung.
Versucht man sich zu erklären, welche Antriebe gegeben sein müssen, damit bedenkenlos – auch fern vom Kriegsschauplatz – gemordet wird, dann ergibt sich ein bestimmter Rahmen, der in Variationen genau dahin führt. Außer Waffen, als „Werkzeuge“ des Tötens, sind ein autoritärer Führer oder Befehlshaber, ein als Begründung dienendes Feindbild, die Aussicht auf „Belohnung“ und ein pervertierter Glaube an die eigene Überlegenheit die wohl entscheidenden Voraussetzungen für solches Handeln. Der Wechsel vom normalen Zivilisten zum tötenden Soldaten oder zum mordenden Angehörigen einer paramilitärischen Formation vollzieht sich offenkundig um vieles schneller, als man bereit ist zu glauben. Die Bürgerkriege im einstigen Jugoslawien haben mitten in Europa bewiesen, wie unvorstellbar schnell es gehen kann, dass aus Zivilisten Soldaten werden, die morden, plündern, vergewaltigen und sich an Massenhinrichtungen geradezu begeistert beteiligen. Monate zuvor waren sie oft Nachbarn ihrer Opfer…
Es wäre ein gefährlicher Selbstbetrug, wenn man glauben würde, dass selbst demokratisch verfasste Staaten nicht davon betroffen werden könnten.
Dass inzwischen die posttraumatischen Störungen nach Kriegseinsätzen seit dem Vietnamkrieg massiv zugenommen haben, liegt wahrscheinlich weitaus weniger daran, was der Soldat selbst im Krieg getan hat, sondern vor allem daran, dass der Krieg gegen einen unsichtbaren Feind, der aus dem Nichts zuschlägt und nie wirklich rechtzeitig zu erkennen ist, zu einer immer unerträglicheren psychischen Belastung führt.
V. Wann kommt er, der ewige Frieden?
Da der Krieg auch heute allgegenwärtig und überall auf der Welt möglich ist, stellt sich somit die schwierigste aller Fragen: Welche Gründe dafür bestehen vor allem außerhalb des militärischen Bereichs und kann die Allgegenwärtigkeit von Kriegen überhaupt abgebaut werden?
Sucht man nach den tieferen Ursachen für die andauernde Präsenz von Kriegen insbesondere nach dem Ende des Kommunismus, dann rückt der radikale Paradigmenwechsel in der Reagan-Ära unvermeidlich ins Blickfeld. Unter Berufung auf den Neoliberalismus, dessen geistiger Urheber der Österreicher Hayek war, gab die Politik ihre legitime Aufgabe dort, wo es erforderlich gewesen wäre, die Wirtschafts- und Finanzpolitik regulierend zu steuern, ohne Notwendigkeit auf und setzte auf die so genannten Selbstregulierungskräfte der freien Märkte. Infolgedessen wurde in den modernen Industrienationen die demokratisch legitimierte Politik zum ersten „Diener“ der Märkte, die alle Möglichkeiten zur Profitsteigerung hemmungslos nutzen konnten, weil Unternehmertum und Finanzkapital außerhalb der demokratischen Verhältnisse agierten, was eben diese vielbeschworene Demokratie in ihren Grundlagen erheblich beschädigen musste. Diese so genannten „Märkte“, von den einen als das „Nonplusultra“ gepriesen, von den anderen aber als eine das politische Handeln dominierende „Macht“ kritisiert, können als ein absurd-abstraktes, rechtsfreies Phänomen bezeichnet werden, in dem unvorstellbar große, mehr oder weniger virtuelle Geldmengen von letztlich anonymen Akteuren bewegt werden, einzig und allein zum Zwecke der grenzenlosen persönlichen Bereicherung. Dass die vorgeblich produktiven „Selbstregulierungskräfte“ radikal in ihr Gegenteil umschlagen können, bewies 2008 die globale Finanzkrise.
Eine weltpolitisch folgenschwere Konsequenz des Agierens der „freien Märkte“ besteht unübersehbar darin, dass die „Entwicklungsländer“ in Afrika und Asien endgültig keine Möglichkeit mehr haben, ihre wirtschaftliche Basis voranzubringen. Vielmehr vergrößert sich der ohnehin schon riesige Abstand zu den führenden Industrienationen immer weiter. Damit verschärfen sich die oben dargestellten innerstaatlichen Konflikte. Jene als „Schwellenländer“ bezeichneten Staaten wie z.B. Indien oder Brasilien haben sich als Industrienationen immens entwickelt, der Preis dafür ist eine Existenzen bedrohende Verarmung breiter Schichten.
Alle vorliegenden Statistiken zur Lage in den führenden Industrienationen belegen, dass die Schere zwischen Armut und Reichtum stetig immer weiter auseinander klafft. Auch reiche Staaten sind längst immens verschuldet, nicht allein durch die Bankenrettung 2008 oder durch Kriege, die Billionen verschlangen, sondern ebenso deshalb, weil die Politik eine höhere Besteuerung der Reichen und Superreichen fürchtet, „wie der Teufel das Weihwasser“, weil ihr Machterhalt vom Wohlwollen der Großunternehmen, des Finanzkapitals und deren Propagandisten in Publizistik und Massenmedien abhängig ist.
Rückständigkeit, andauernde Armut, Sklavenarbeit sind Ursachen schwerer innenpolitischer Konflikte, die zu Diktaturen führen, welche mit ihrer Gewaltherrschaft „Ruhe und Ordnung“ sichern und somit ihre Länder für die „Märkte“ wieder interessant machen. Und jeder Krieg war, ist und bleibt ein profitables Geschäft.
Der Triumph des Neoliberalismus über die Demokratie
Bedenkt man, dass die Politik auch nach der globalen Finanzkrise bis heute keine wirksamen Regularien durchgesetzt hat, um wenigstens die krassesten Auswüchse der „Märkte“ einzudämmen, dann muss man zweifeln, ob sie das wirklich will oder – noch schlimmer – ob sie es noch durchzusetzten vermag.
Bis heute ist es nicht gelungen, die Spekulation mit Grundnahrungsmitteln, die für Millionen der Armen dieser Welt eine tödliche Bedrohung ist, auch nur in Frage zu stellen, geschweige denn als kriminelles Verhalten zu bestrafen. Um nur ein Beispiel zu nennen. Da appelliert man seitens der Politik an die Spendenbereitschaft der Menschen, deren Geld dann in Teilen die Konten der Spekulanten füllt. Schließlich müssen die Existenz sichernden Nahrungsmittel und andere Hilfsgüter genau von jenen gekauft werden, die darüber verfügen…
Ohne im Einzelnen darauf einzugehen, ist es für das Gesamtbild notwendig, auf andere existentielle Problemfelder hinzuweisen, deren Lösung „dank“ der Herrschaft der „Märkte“, Banken und Großunternehmen bis auf Weiteres unmöglich bleiben wird: Vernichtung von Ressourcen für maximale Rendite, fehlender Klimaschutz, völlig unzureichende Ernährung der Weltbevölkerung und so weiter…
Wenn die Hilfsorganisation „Oxfam“ in einem Bericht* zur Verteilung des Wohlstandes feststellt, dass die 85 reichsten Menschen das gleiche Vermögen angehäuft haben, wie es die arme Hälfte der Weltbevölkerung insgesamt besitzt, dann ist dem hinzuzufügen, dass sich auch dieses Missverhältnis immer weiter verändern wird – und nicht zugunsten der Armen.
Man muss wahrlich kein Prophet sein, um zu der Erkenntnis zu kommen, dass – solange die unkontrollierbaren globalen Unternehmen und Großbanken und ihre „Märkte“ die weltweiten Entwicklungen beherrschen und nach ihren „Gesetzen“ regulieren – grundlegende Veränderungen ausgeschlossen sind. Es wird weiter Kriege und Bürgerkriege geben, wahrscheinlich mehr als heute. Ohne wirksame Aufgabenverteilung und strategische Planungen können weder die Zerstörung von Umwelt und Klima noch Elend und Tod durch Hunger oder Krankheit als Folge globaler Armut überwunden werden. Auf ein „Good Will“ der heute mächtigsten Gruppierungen zu hoffen, zeugt von einem „Glauben“ fern der Realität und der Kenntnis der inneren Gesetzmäßigkeiten, die deren Agieren bestimmen.
Was sollte, müsste, könnte getan werden, um einen sinnvollen wie dringend notwendigen Wandel herbeizuführen?
Legt man die globalen Verhältnisse und ihre ungelösten Problemfelder zu Grunde, dürfte ein tiefgreifender Paradigmenwechsel unumgänglich sein, was aus heutiger Sicht undenkbar erscheint.
Der an erste Stelle zu setzende Wechsel wäre die Emanzipation der Politik von der Hegemonie der Großunternehmen und –banken und die der „Märkte“, indem sie sich ihre legitimen demokratischen Rechte (und Pflichten) als Volksvertretung zurückerkämpft. Nicht nur der Widerstand der Oligarchie wäre zu überwinden, sondern auch die auflagenstarken „Kampfblätter“ des Neoliberalismus würden vor nichts zurückschrecken, um eine solche Emanzipation unmöglich zumachen. Schließlich sind sie