Abenddämmerung im Westen. Wieland Becker

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Abenddämmerung im Westen - Wieland Becker


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oder Antifaschismus“ und eliminierte somit den Antifaschismus als politische Verpflichtung. Das hatte u. a. zur Folge, dass in der BRD die Nazi-Eliten rehabilitiert und wieder in ihre einstigen Funktionen „eingesetzt“ wurden – in Wirtschaft, Justiz, Diplomatischem Dienst, Bundeswehr und Politik.

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      In der Sowjetunion beharrten die politisch Hauptverantwortlichen neben Stalin, also Molotow, Woroschilow und ihre „Genossen“ bis an ihr Lebensende darauf, dass der „Große Terror“ berechtigt und notwendig, also rechtens gewesen wäre. Da in dieser Zeit auch die NKWD-Verantwortlichen und ihre Folterknechte auf Stalins Befehl liquidiert wurden, verblieben nur diejenigen, die unter Berija ihr mörderisches Tun betrieben hatten, am Leben, das sie, im Alter mit angemessenen Pensionen wohlversorgt, in Ruhe verbringen konnten. Berija selbst wurde nicht etwa als Verbrecher gegenüber den sowjetischen Bürgern hingerichtet, sondern als ausländischer Agent…

      Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, enthält aber genügend Beispiele für die Vernichtung ganzer Völker und bedeutender Kulturen – der Maya und Inka in Südamerika im Zeichen des Kreuzes oder der Indianer Nordamerikas… Damals rühmten sich die Sieger ihrer Taten, manche ihrer Nachkommen tun dies auch heute noch; an Begründungen ist – wie stets – kein Mangel.

      Bis heute einzigartig handelte Nelson Mandela, der durch seine außergewöhnliche, integere Persönlichkeit und die Glaubwürdigkeit seiner Worte erreichte, dass es nach dem Ende der Apartheid zu einer Aussöhnung zwischen der bis dahin herrschenden rassistischen, weißen Oberschicht und den über Jahrzehnte ausgebeuteten, diskriminierten und rechtlosen Farbigen in Südafrika kam. Ein säkulares und bislang beispielloses Ereignis, von dem wahrscheinlich Millionen hoffen, dass es sich wiederholen könne.

       IV. Man wird nicht als Soldat geboren

      Es ist schon sehr lange her, dass ich – zum ersten, aber nicht zum letzten Mal – eine Fotodokumentation über den 1.Weltkrieg mit dem Titel „Kamerad im Westen“ in die Hand nahm. Zuerst fand ich Fotos vom Kriegsbeginn: Verlesung der Kriegserklärung in Berlin, Soldatenverbände auf den Straßen, begleitet von einer jubelnden Menschenmenge, oder in Eisenbahnwaggons, die mit kühnen Sprüchen, „Auf nach Paris“ etwa, beschrieben waren. Die folgenden Fotografien dokumentierten die Realität dieses Krieges, wie ihn der Soldat tagtäglich erlebte oder wie er auf dem „Feld der Ehre“ starb.

      Ein Foto, aufgenommen aus einem deutschen Schützengraben, zeigt anstürmende französische Soldaten, die im Maschinengewehrfeuer vor den Stacheldrahtverhauen niedergemäht werden. Wie später gesehene Filmaufnahmen bestätigten, kletterten die jeweiligen Angreifer bei einem solchen Sturmangriff aus ihren Gräben und marschierten in Schützenketten, zumeist ohne jegliche Deckung, auf die gegnerischen Gräben zu, wo sie, wenn sie nah genug waren, reihenweise niedergeschossen wurden. Über Monate und Jahre ging das im Stellungskrieg nach diesem Muster. Hunderttausende starben oder wurden verwundet, manche von ihnen von Kameraden oder Sanitätern gerettet. „Geländegewinne“ blieben die Ausnahme. Und das alles nur, weil irgendwo, weit entfernt von der Front, in den Generalstäben wieder mal ein Sturmangriff geplant und befohlen wurde. Wie muss den Soldaten zumute gewesen sein, wenn sie auf Befehl losmarschierten, den fast sicheren Tod vor Augen?

      Warum ist es immer aufs Neue möglich, Abertausende Menschen zu einer mörderischen Soldateska zu deformieren?

      Wie bringt man einen Menschen, der freiwillig oder per Gesetz zum Soldaten geworden ist, dazu, bedenkenlos, ja sogar mit Stolz zu töten? Auch nach 1945 geschah genau das irgendwo auf der Welt täglich. Von wegen „Frieden auf Erden“ – Hunderttausende wurden zu Mördern in Uniform – und Millionen Soldaten und Millionen Zivilisten wurden ihre Opfer.

      Die radikalste Methode wurde in der Zeit der Antike in Sparta durchgesetzt. Alle Knaben wurden noch im Kindesalter aus ihren Familien genommen und kaserniert. Über Jahre lebten sie unter kärglichen Bedingungen, wurden abgehärtet und im Gebrauch der Waffen geschult, bis sie als junge Männer, wenn sie alle „Proben“ bestanden hatten, in das spartanische Heer wechselten. Das Kriegshandwerk zu beherrschen war neben der politischen Führung die einzige Aufgabe der Männer, bis sie zu alt dafür wurden. Totaler kann man Menschen kaum zu Kriegern machen, für die Kampf und Töten selbstverständlich und der einzig zählende Sinn ihres Seins sind.

      Angesichts der Formierung und Ausbildung von Kindersoldaten, die seit Jahrzehnten in den Kriegen afrikanischer Diktaturen eingesetzt werden, muss man feststellen, dass die Aktualität von der Geschichte in schrecklichster Weise eingeholt wurde: 10 bis 12Jährige, aufs Töten gedrillt, die mit ihren Maschinenpistolen auf Befehl auf jeden schießen, selbst auf die eigenen Eltern oder Verwandten.

      Tötungsbereite und gewalttätige Soldaten fanden sich zu allen Zeiten überall mehr als genug, ebenso Folterknechte und skrupellose Mörder im Dienste von Diktatoren, die jede Bewegung, die es wagte, das Ende der Tyrannei zu fordern, vernichteten.

      Als 1096 u. Z. die Ritter Europas – von Papst Urban II. aufgerufen – zum ersten Kreuzzug aufbrachen, sollten sie angeblich den freien Zugang der Christen zu den „Heiligen Stätten“ in Jerusalem wiederherstellen. Ob dieser tatsächlich gefährdet war, ist bis heute umstritten. Als die Heerscharen der Ritter 1099 Jerusalem erstürmt hatten, schützten sie nicht etwa diese Stätten, sondern richteten ein furchtbares Blutbad unter den Einwohnern der Stadt an, bevor sie ihre Wallfahrt zur Kirche des heiligen Grabes antraten. Was hätten Jesus oder Johannes der Täufer bei Anblick dieses Gemetzels empfunden, das ihr Verständnis des christlichen Glaubens geradezu pervertierte? Die enge Verbindung von Kreuz und Schwert war mit den „Kreuzzügen“ noch lange nicht vorbei. Neuen „Auftrieb“ erhielt sie, nach dem Columbus Amerika entdeckt hatte. Mit Cortez und Pizarro begann 1519 die Eroberung und mit ihr radikal und mörderisch die Christianisierung Lateinamerikas und setzte sich bis ins 19. Jahrhundert fort.

      *

      Ob sich diese Wandlung vom Zivilisten zum mordenden Soldaten vollzieht, ist nachweislich keine Frage von höherer geistiger Bildung oder kultureller Entwicklung*. Ob Oradour sur Glane oder Lidiče, der Befehl genügte, die Ausführung offenbarte ein Höchstmaß an unmenschlicher Kaltherzigkeit. Gab es für diese Massaker noch einen Befehl, so war ein solcher Jahrzehnte später nicht einmal mehr notwendig, als eine Gruppe amerikanischer GI’s unter Führung des Lieutenant Colonels Frank A. Barker das südvietnamesische Dorf My Lai besetzte, weil es im Verdacht stand, Stützpunkt des Vietcong zu sein. Obwohl keine Vietcong-Kämpfer im Dorf zu finden waren, brachten diese Soldaten fast alle der über 400 Einwohner des Dorfes, vor allem Frauen und Kinder, um; erst nachdem ein US-Hubschrauberpilot ihnen gedroht hatte, sie von seinen MG-Schützen erschießen zu lassen, wenn sie ihr Massaker nicht beenden würden, sahen sie davon ab, auch noch die letzten 11 Überlebenden umzubringen. Für diese Soldaten genügte der Umstand, dass es Vietnamesen waren, um sie als Feinde einzuordnen, um sie nach Aufforderung ihres Offiziers umzubringen. Und genau das ist bis heute jederzeit und allerorts möglich und geschieht beinah täglich. Der verantwortliche Offizier für den Einsatz, William Calley, wurde, nachdem ein amerikanischer Journalist das Verbrechen recherchiert und eine Zeitung gefunden hatte, die seinen Bericht veröffentlichte, zwar zu lebenslanger Haft verurteilt, die aber dann in „Hausarrest“ umgewandelt wurde, bis er wenig später von Nixon begnadigt wurde. Ein Wort der Reue ist nicht überliefert. Damals war das weltweite Entsetzen groß, aber, wie sich bald zeigte, ohne jede Langzeitwirkung.

      Mit den „Pentagon Protokollen“, die „wikileads“ öffentlich machte, genauer aus dem, was davon im „SPIEGEL“ (Ausgabe 30/ 2010 und Ausgabe 43/ 2010) publik gemacht wurde, musste man aber endgültig erkennen, dass in den Armeen der führenden westlichen Demokratien Soldaten dienen, die bereit sind, mit aller Härte Krieg zu führen, Gefangene zu misshandeln und von Geheimdiensten Verdächtigte über Wochen und Monate zu foltern. Ob Demokratie oder Diktatur, ob Geheimdienste oder geheime Organisationen – Kriege gelten als Rechtfertigung für all diese menschenverachtenden Mittel und für jeden Befehl, sie einzusetzen.

      Auf der einen Seite also religiös begründeter Fanatismus und systematisch trainierte Brutalität gegen jeden, der als Feind oder Verräter gilt –


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