Abenddämmerung im Westen. Wieland Becker

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Abenddämmerung im Westen - Wieland Becker


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dokumentiert werden, wie auch durch die zahlreichen Wochenschauen in Ost und West. Dokumentarfilmer gingen in die Krisenregionen, um wie die Fotografen unter Einsatz ihres Lebens authentisches Material zu schaffen.

      Schon damals wurde die Suche nach der dem wahren Gesicht des jeweiligen Krieges aus politischen Gründen diesseits und jenseits des „Eisernen Vorhangs“ nicht nur eingeschränkt, sondern zensiert und manipuliert. Ein Beispiel dafür findet sich bei David D. Duncan. Er zeigt eine Fünf-Cent-Briefmarke aus der Zeit des Koreakrieges, die eine Gruppe GI’s auf einer Straße auf dem Vormarsch abbildet Heldenhaft und edel sollten diese Soldaten wirken. Duncan stellt der Briefmarke sein Originalfoto gegenüber: darauf sind am Straßenrand neben den marschierenden „Helden“ die Leichen mehrerer Koreaner zu sehen.

      Mit Fernsehen und Internet wuchs die Bilderflut zu den Schauplätzen von Kriegen und Bürgerkriegen ins Unermessliche. Mit Handys aufgenommen oder gefilmt, dokumentieren sie nicht nur die Kämpfe sondern ebenso das Sterben von Soldaten, Frauen und Kindern in schrecklichen Momentaufnahmen.

      Für die im Folgenden dokumentierten Kriege brauchte ich kein Nachschlagewerk. Sie alle gehören zu meinen Erinnerungen, zu denen neben aktuellen Berichten, Büchern, Filmen auch fotografische Dokumente gehören: Die Aufnahmen, die den gefesselten Lumumba mit zwei Gefährten zeigen, die von einer Soldateska auf einen Lastwagen gestoßen werden; die kaum oder gar nicht bekleideten vietnamesischen Kinder, die versuchen, sich nach einem Napalmangriff in Sicherheit zu bringen, verfolgt von einer Meute US-amerikanischer Fotografen und Kameramänner; eine Aufnahme aus der Zeit des Bürgerkrieges in Bangladesch – ein Flussbett, wahrscheinlich der Ganges, voller nackter Leichen, die von ihren Mördern ins Wasser geworfen wurden, auch hier Männer, Frauen und Kinder... und unzählige andere Dokumente von Krieg und Tod.

      Als am 10. Dezember 2012 der Friedensnobelpreis an die EU für ihren „Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa“ überreicht bekam, wurde gern und häufig von einer 60jährigen Friedensperiode des europäischen Kontinents gesprochen und geschrieben. Geschichtskundige waren ob der Begründung des norwegischen Nobelkomitees mehr als erstaunt, da es die genannten Verdienste um den angeblich 60jährigen Frieden so nicht gegeben hat. Dafür waren aber wenigstens Politiker und Apologeten des Neoliberalismus beglückt über das, was ihnen da attestiert wurde…

      Die Legende von der 60jährigen Friedensperiode klingt ja sehr schön; einer sachlichen Überprüfung hält sie nicht stand, weil sie ein unfrommer Selbstbetrug ist.

      Zum ersten deshalb, weil zwischen dem (tatsächlichen!) Ende des II. Weltkrieges auf europäischem Boden und dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Jugoslawien 1991 eben nur 41 Jahre liegen – denn erst 1950 endete der griechische Bürgerkrieg zwischen dem bürgerlichen Widerstand, ELAM, und der Organisation des kommunistischen Widerstandes, ELAS, mit dem Sieg der von britischen und US-amerikanischen Streitkräften unterstützten ELAM.

      Blutige Bürgerkriege gab es nach Kriegsende in Polen (hier siegten die Kommunisten), in der Ukraine und in den baltischen Staaten, als nationalistischen Gruppierungen wie auch Kollaborateure, die den deutschen Eroberern auch als Mordgehilfen zur Seite gestanden hatten, einen Partisanenkrieg gegen die Rote Armee führten, bis sie vernichtet worden waren.

      Zum zweiten deshalb, weil Frankreich bis 1962 zwei blutige Kolonialkriege führte: Bis 1954 in Indochina, bis zum Fall der letzten französischen Festung von Dien Bien Phu, und bis 1962 in Algerien, als Frankreich seine letzte große Kolonie in die Unabhängigkeit entlassen musste. Ein Krieg, der die französische Nation spaltete. Gegner dieses Krieges, nicht zuletzt Wissenschaftler und Künstler, wurden verfolgt, hunderte von Büchern, Filmen und publizistischen Arbeiten fielen der Zensur zu Opfer. Es waren zwei Kriege, die, formal gesehen, nicht in Europa ausgetragen wurden, aber trotzdem – alles andere wäre zynisch – die Legende von der 60jährigen Friedensperiode widerlegen.

      Auch der Nordirlandkonflikt, der 1969 wieder aufflammte und erst 1998 beendet werden konnte, führte zu einem permanenten Kriegszustand. Von den so hoch gepriesenen 60 Jahren bleiben letztlich ganze sieben Jahre ohne militärische Konflikte. (Eigentlich nur sechs, weil 1968 die Armeen der Warschauer Vertragsstaaten in die ČSSR einmarschierten. Aber wenn man es formal betrachtet, geschah das außerhalb der EU.)

      Zum dritten deshalb, weil die Mitgliedsstaaten der EU keine eigenen Verdienste an dieser Friedensperiode hatten. Dass Europa nach 1945 keinen neuen Krieg auf seinem Territorium erleben musste, lag ausschließlich daran, dass die beiden Großmächte USA und UdSSR im Zeichen des „Kalten Krieges“ und der „Nuklearen Abschreckung“ eine direkte Konfrontation nicht riskierten; dafür gab es einige der so genannten „Stellvertreter-Kriege“, wie in Vietnam.

      Dass Europa vom großen Krieg mit einem nuklearen Inferno verschont blieb – schließlich wären die Armeen aller NATO-Staaten und der „Warschauer Vertrags“-Staaten in diesen gezogen – verdankt der Kontinent auch zwei Offizieren, die viel riskierten, aber letztlich – glücklicher Zufall – als die richtigen Militärs in entscheidenden Momenten am richtigen Platz waren.

      Dass es sich um zwei Offiziere der sowjetischen Armee handelt, mag einerseits dem Zufall geschuldet sein, kann aber andererseits in weitem Sinne damit in Verbindung gebracht werden, dass die USA um vieles häufiger direkte und indirekte Interventionskriege führte als die Sowjetunion.

      Es gab also – auch solche Widersprüche gibt es – zwei Militärs, die den Friedensnobelpreis mehr verdient hätten, als mancher andere Preisträger.

      Der eine, Wassili Archipow, war während der Kubakrise leitender Offizier auf einem mit Nuklearwaffen ausgerüsteten U-Boot, das vor Kuba im Einsatz war, als es von einem US-Kriegsschiff zum Auftauchen gezwungen wurde. Für diesen Fall galt der Befehl, die Atomraketen Richtung USA abzufeuern. Archipow gelang es, den Politoffizier Maslennikow auf seine Seite zu ziehen, während der Kommandant des U-Bootes glaubte, es sei schon Krieg, und feuern lassen wollte. Das wäre aber nur bei einem einstimmigen Beschluss möglich gewesen. Das U-Boot tauchte also auf, und die US-Marine verzichtete auf das Aufbringen des Bootes, sodass sie nicht feststellen musste, dass dieses mit Nuklearwaffen ausgerüstet war.*

      Der zweite Offizier war der Oberstleutnant Stanislaw Petrow. In der Zeit der Präsidentschaft Reagans verschärften sich die Spannungen zwischen den beiden Großmächten immens. Das lag weniger an Reagans Definition vom „Reich des Bösen“, als vielmehr daran, dass Marine und Luftwaffe der USA sowohl im Nordmeer als auch vor Wladiwostok Manöver durchführten, mit denen die sowjetische Aufklärung „getestet“ werden sollte. In Moskau wuchs die Besorgnis, dass es sich um die Vorbereitung eines Angriffes der USA handeln könnte. Ausgerechnet in dieser angespannten Situation erschienen auf dem Satellitenbild zuerst eine, danach noch weitere US-Atom-Raketen, die sich auf die Sowjetunion zu bewegten. Petrow wusste, dass für eine derartige Lage der Befehl zum atomaren Gegenschlag galt. Was ihn zweifeln ließ, war die geringe Zahl der anfliegenden Atomraketen. Aus eigenem Entschluss und mit hohem Risiko meldete er der militärischen Führung einen Fehlalarm und blieb bei seiner Einschätzung. Der Gegenschlag, der das atomare Inferno ausgelöst hätte, wurde deshalb nicht eingeleitet. Am Morgen darauf erhielt Petrow dann die endgültige Bestätigung, dass ein Fehler des Überwachungssatelliten den falschen Alarm ausgelöst hatte. Angesichts der ohnehin äußerst kritischen Situation muss man davon ausgehen, dass – bei einer Meldung, dass US-Raketen im Anflug seien – der Befehl zum Gegenschlag unvermeidlich gegeben worden wäre.

      Beide Männer nahmen ein hohes persönliches Risiko auf sich. Archipow hätte vor ein Militärgericht gestellt werden können und Petrow gab – im Unterschied zu vielen anderen – die Verantwortung nicht „nach oben“ weiter, sondern entschied in seiner kaum vorstellbaren Extremsituation aus eigener Verantwortung.

      Seit 1945 hat sich die Kriegsführung stetig und radikal verändert. Aus den Kriegen mit operativer Führung und relativ klaren Fronten, sind längst Kriege ohne Fronten geworden. Erstmals in dieser krassen Form im Indochina- und im Vietnamkrieg. Vietminh und Vietcong


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