Der Tanz des Mörders. Miriam Rademacher

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Der Tanz des Mörders - Miriam Rademacher


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wurde Colin kalt. Das konnte doch unmöglich Jaspers Ernst sein.

      »Komm schon, Colin. Du hast heute Abend gegen mich verloren und wir hatten noch gar keinen Einsatz ausgemacht. Nun, ich habe den Fehler nachträglich korrigiert. Huey war der Einsatz und du hast ihn gewonnen.«

      »Ich habe doch verloren!«

      »Eben.«

      Colin fühlte instinktiv, dass es dieser Antwort an Logik mangelte. Er versuchte es auf einem anderen Wege. »Selbst wenn ich wollte, Mrs Grey ist dagegen. Das musst du akzeptieren.«

      »Ach kommen Sie schon, Mrs Grey«, verlegte Jasper sich nun aufs Betteln und fand auch gleich Unterstützung in Form der Badewannendiva.

      Beide sahen die zierliche Witwe so flehend an, dass diese verunsichert murmelte: »Aber er will den Hund doch gar nicht.«

      »Siehst du, Colin? Es liegt doch nur an dir«, rief Jasper triumphierend und wandte sich zu ihm um.

      Colin unterdrückte einen Fluch. »Vielen Dank, Mrs Grey. Ich hätte nicht gedacht, dass sie mir in den Rücken fallen. Gut, bleibt der Hund eben hier, aber Sie, junge Dame«, er deutete mit dem Finger auf seine amüsierte Mitbewohnerin, »Sie gehen morgens die erste Runde mit ihm. Mal sehen, wie süß sie ihn an einem windigen Regentag noch finden.« Den Hund auf dem Arm trat Colin den Rückzug an und ließ Mrs Grey und die andere Frau einfach stehen. Jasper machte jedoch einen unerwarteten Hopser über seine Türschwelle und lud sich damit selbst ein. Netterweise übernahm er auch das Schließen der Tür.

      »Das hast du großartig gemacht, Colin. Du bist auch noch ein echter Stratege, Hut ab.«

      »Ich? Das bist du gewesen und das weißt du ganz genau! Was sind das überhaupt für alberne Namen, Huey, Dewey und Louie? Du willst mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass eine Frau wie Mrs Summers ihre drei Spaniels nach Donald Ducks Neffen benannt hat!«

      »Natürlich nicht.« Jasper ließ sich mit einem Lächeln in Colins Sessel sinken, wobei er die Wärmflasche kommentarlos zu Boden gleiten ließ. »Aber wolltest du allen Ernstes ›Attila‹ Asyl gewähren? Oder ›Hector‹? ›Ajax‹ fand ich auch nicht wirklich besser. Das sind die Namen, die auf ihren Fressnäpfen stehen. Dieber hat sie zusammen mit den Hunden bei mir abgeliefert. Er meinte, da das nächste Tierheim meilenweit entfernt wäre, sei die Kirche für die armen Hundeseelen zuständig. Was für eine Logik. Und dieser Mensch will einen Mörder fangen?«

      »Ziemlich kriegerische Hundenamen, sogar für Mrs Summers. Aber ob Huey eine Verbesserung darstellt?« Colin setzte den Hund auf den in Orangetönen gemusterten Teppich. »Huey? Huey, komm her, Kumpel!« Der Hund schoss freudig in seine Arme. »Funktioniert. Na gut, wenn du es so haben willst. Dann eben Huey.«

      Colin ließ sich neben Huey auf dem Teppich nieder und kraulte seinen neuen Gefährten zwischen den Ohren. Der Hund schloss fast augenblicklich die Augen, sank auf dem Teppich nieder und schlug ein paar Mal mit dem Schwanz.

      Auch Colin schien es, als hätte das Streicheln des Fells eine beruhigende, fast meditative Wirkung auf ihn. Um ein Haar hätte er es versäumt, Jasper zuzuhören.

      »Ich habe über unser Gespräch im Anchor eine ganze Weile nachdenken müssen, und ich finde, Norma hat Recht.«

      Colin hielt im Kraulen inne und wartete darauf, dass Jasper fortfuhr. Doch es wurde still im Zimmer. Dumpf hörte er die Nachbarin ein Liedchen trällern.

      »Wirklich, Jasper, ich gebe mir die größte Mühe, aber ich habe keine Ahnung, was du meinst.«

      »Wir sollten den Mörder überführen, Colin. Wir könnten es. Und wir würden nicht nur einen Verbrecher seiner gerechten Strafe zuführen, wir würden auch alle Unschuldigen von Verdächtigungen befreien und den Frieden im Dorf wahren.«

      »Wer bist du? Pater Brown?«

      Jasper glitt aus dem Sessel und setzte sich Colin gegenüber auf den Fußboden. Auge in Auge saßen sich die Männer gegenüber. Ein alternder Tanzlehrer und ein übergewichtiger Pfarrer. Für einen kurzen Moment hob Huey ein Augenlid an und schien auf etwas zu warten. Dann gab er ein Schnauben von sich und klappte das Auge wieder zu. Auch Jasper strich dem Cocker über das weiche Fell. »Colin, es fängt schon an. Als ich ins Pfarrhaus kam, hatte meine Haushälterin die Liste aller potentiellen Mörder bereits mit Klebeband an den Kühlschrank geheftet. Und hinter jedem Namen steht eine völlig absurde Begründung für ihren Verdacht! Als ich mir einen Joghurt holen wollte, erfuhr ich auf diese Weise, dass Bäcker Jones Brot vom Vortag als frisches verkauft! Das mag ja nicht nett sein, aber macht es den Mann zu einem Mörder?«

      »Ich bin sicher, dass deine Haushälterin ein Einzelfall ist.«

      »Das kann man nur hoffen, aber eigentlich weißt du es besser. Schon heute Abend werden im Anchor die ersten Wetten abgeschlossen, und gleich am nächsten Sonntag werden erste Verleumdungen noch vor Beginn des Gottesdienstes über den Kirchhof schwirren wie Hummeln in einem Lavendelfeld!«

      »Und was um alles in der Welt hat das mit mir zu tun?«

      »Es geht um dein Talent, Colin. Deine Gabe!«

      »Blödsinn! Eine Menge kluger Menschen haben sich mit Körpersprache beschäftigt! Es gibt Bücher darüber in jeder Buchhandlung. Ganze Regalreihen voll! Und in jedem dieser Bücher steht mehr, als ich darüber weiß!«

      »Auch Blödsinn! In diesen Büchern werden Thesen aufgestellt aufgrund einer Sitzhaltung, einer Handstellung oder dem Wippen einer Augenbraue. Sie schließen daraus auf die Gemütslage der Person. Du aber siehst viel mehr als nur eine Stimmung. Du hast Vivian Small ganze zehn Sekunden betrachtet und hast viel mehr gesehen als ihre Gemütsverfassung. Du hast ihr Leben gesehen!«

      »Ich hätte mich genauso gut irren können.«

      »Das hast du aber nicht.« Jasper lächelte plötzlich. »Nein, das hast du nicht. Im Gegenteil. Normas Dorfklatsch und mein Hintergrundwissen über die Familie passten perfekt zu deinen Beobachtungen. Willst du es denn nicht begreifen, Colin? Gemeinsam können wir das Puzzle zusammensetzen.«

      »Es wird kaum ausreichen, ein bisschen Dorfklatsch, ein paar Krümel Beichtgeheimnisse und einige Beobachtungen in einen Topf zu werfen. Damit fängt man doch keinen Mörder!«

      »Eher als jemand, der verwaiste Hunde im Pfarrhaus abgibt, oder jemand, der den Bäcker im Visier hat.«

      Colin wusste nicht, was er sagen sollte. Er fühlte sich unwohl bei der Geschichte. Seine Beobachtungsgabe zu nutzen, damit jemand sich in seiner Tanzstunde wohl fühlte, war eine Sache. Damit aber jemanden des Mordes überführen zu wollen, eine völlig andere.

      »Das ist eine riesige Verantwortung. Was ist, wenn ich mich irre? Stell dir das nur mal vor: Jemand gerät unter Mordverdacht, weil ich ihn zum Mörder gestempelt habe! Stell dir weiter vor, dieser Mensch wird diesen Stempel nie wieder los, selbst wenn er sich als unschuldig erweist. Was habe ich denn dann angerichtet? Ich könnte eine Existenz zerstören, wenn alle mir so blind vertrauen würden wie du und Norma!«

      »Wir würden natürlich nie jemanden beschuldigen, wenn wir von seiner Schuld nicht völlig überzeugt wären. Erst müssten Beweise her.«

      »Ach? Das auch noch? Und wie? Willst du in Gebüschen lauern oder in Wohnungen einbrechen? Jasper, ich will dich nicht kränken, aber wie willst du dich denn im Ernstfall tarnen oder verstecken? Du bist nicht gerade eine zarte Elfe, die sich unters Bett oder in einen Kleiderschrank flüchten kann.«

      »Darüber müssen wir uns unterhalten, wenn es soweit ist. Möglicherweise taugt Norma zur Elfe. Irgendetwas Weltfremdes hat sie an sich, findest du nicht? Zunächst brauchen wir aber einen Schlachtplan. Wir treffen uns morgen zur Mittagszeit im Anchor.« Jasper machte Anstalten aufzustehen und Colin hielt ihn nicht zurück. Er kraulte weiter Hueys Schlappohren.

      »Was sagt denn überhaupt Norma dazu?«

      »Soll das ein Witz sein? Es war doch ihre Idee! Sie ist hellauf begeistert und hat vollstes Vertrauen in deine Fähigkeiten, genau wie ich.«

      »Ich aber nicht!


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