Der Tanz des Mörders. Miriam Rademacher

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Der Tanz des Mörders - Miriam Rademacher


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sehr lebhaft, etwas zu neugierig, mit einer leichten Einwärtsdrehung des rechten Fußes. Ließe sich durch konsequentes Üben beheben und ich meine damit: Üben bei jedem einzelnen Schritt. Du haderst ein bisschen mit deinem Übergewicht, ziehst andauernd den Bauch ein, dabei steht er dir ganz gut. Du solltest das lassen, es führt nur zu Verspannungen im Brustkorb und einer falschen Atmung.«

      Norma, die bis jetzt an den Tisch gelehnt vor ihm gestanden hatte, nahm ihm gegenüber in der Sitzecke Platz. »Colin, das ist eine Gabe. Du hast eine gottverdammte Gabe!«

      »Nein, das ist Erfahrung und eine sensibilisierte Wahrnehmung. Jeder kann das trainieren, wenn er sich die Menschen um sich herum nur aufmerksam genug anschaut.«

      »Und du hast das getan?«

      »Über Jahrzehnte hinweg. Ich war einmal Tanzlehrer, schon vergessen?«

      Erneut öffnete sich die Tür und Mike Dieber schob sich herein, den Blick fest auf drei wuselnde Cockerspaniels zu seinen Füßen geheftet.

      Norma rollte mit den Augen. »Diese Hunde sind sauberer als gut für sie ist. Mrs Summers ließ sie fast wöchentlich von mir shampoonieren.«

      In Mikes Haltung machte sich eine leichte Entspannung bemerkbar, die man auch auf seinem pickeligen Gesicht ablesen konnte. Colin warf Norma einen Blick zu, der so viel bedeutete wie: Habe ich es nicht gesagt?

      »Sie haben das Bratenthermometer sofort bemerkt?«

      »Ich hielt es für einen extravaganten Ohrschmuck.«

      »Haben Sie es angefasst?«

      »Nein, nur angesehen. Es stand auf Huhn.« Colin wünschte sich, er hätte den letzten Satz nicht gesagt. Dieber sah ihn an wie einen entsprungenen Irren.

      »Huhn?«, entfuhr es Norma und ihre Augen weiteten sich. »Das würde ja bedeuten, dass ihre Körpertemperatur bei 80 Grad lag! Da hätte ihr aber jemand mächtig eingeheizt.«

      »Möglicherweise ist es defekt«, antwortete Colin.

      »Du meinst, sie war ihrem Mörder nicht einmal ein heiles Bratenthermometer wert?« Norma schüttelte schockiert den Kopf.

      »Es ist möglicherweise beim Mord kaputtgegangen. So ein Kopf ist schließlich kein Schweinebraten«, mutmaßte Colin.

      Diebers Blick nach zu urteilen, hielt er sie jetzt alle beide für verrückt. Er beendete den Dialog mit einer schnellen Zwischenfrage. »Und Sie kamen, um ihr Gesellschaft zu leisten?«

      »Jasper, der Pfarrer, hatte mich um diesen Freundschaftsdienst gebeten.«

      Um Diebers Mundwinkel zuckte es. »Wohl verloren, was?«

      »Ich verliere ständig.«

      »Und es war ihr zweiter Besuch bei Mrs Summers?«

      »Ja, ich war gestern schon hier. Wir haben uns Fotos angesehen.«

      »Fotos? Was für Fotos?«

      »Vom Dorf und wie es sich über die Jahre verändert hat. Mrs Summers war eine leidenschaftliche Fotografin. Wir haben uns den rosa Karton angeschaut. Er steht im Regal.«

      »Im Regal mit den Fotokartons?«

      Colin war verwirrt. »Ja, sicher. In welchem denn sonst?«

      »In welchem Zustand befand sich die Sammlung der Fotokartons am gestrigen Tag?«

      Colins Verwirrung wuchs. »Ich verstehe die Frage nicht, fürchte ich.«

      Dieber, der ihm gegenüber saß, gleich neben Norma, zog die Brauen hoch, als zweifelte er an Colins Worten. »Dann lassen Sie uns mal kurz einen Blick auf das Regal werfen.«

      »Ich möchte eigentlich nicht noch einmal in das Wohnzimmer zurück«, erwiderte Colin. »Die Erinnerung an eine alte Dame mit einem Bratenthermometer im Kopf ist noch recht intensiv. Ich kann auf eine Auffrischung verzichten.«

      »Dann sehen Sie eben woanders hin. Vorzugsweise in besagtes Regal.« Mit diesen Worten machte Dieber eine einladende Geste in Richtung Küchentür. Colin fand den jungen Mann zunehmend unsympathisch, folgte ihm aber in den Nachbarraum.

      »Und? Was meinen Sie? Hat es gestern hier auch so ausgesehen?«

      Die vorwurfsvollen Blicke des Spurensicherungsteams ignorierend, standen Dieber, Norma und Colin vor dem hohen Wandregal. Colins Blick flog zu Norma hinüber, deren Mund vor Überraschung offen stand.

      »Nein«, sagte er. »Nein, gestern waren die Kartons ordentlich aufeinander gestapelt und nicht wild durcheinandergewürfelt. Auch einzeln herumliegende Fotos gab es nicht.«

      Dieber nickte befriedigt. »Sie brauchen ja nicht hinzusehen, aber ist Ihnen bei ihrem ersten und einzigen Blick auf Mrs Summers nicht aufgefallen, dass sie einen Fotokarton auf dem Schoß hat und in der rechten Hand immer noch ein Foto hält?«

      Colin schüttelte den Kopf. Darauf hatte er nicht geachtet und jetzt widerstand er der Versuchung, die Aussage Diebers zu überprüfen. Er hatte nur auf das Bratenthemometer gestarrt, alle anderen Einzelheiten waren durch den grausamen Anblick verdrängt worden.

      »Was zeigt das Foto in ihrer Hand?«, wollte Norma wissen.

      »Darüber kann ich zum derzeitigen Stand der Ermittlungen nichts sagen«, erwiderte Dieber und schob die beiden eilig aus dem Zimmer. »Sie zwei dürfen jetzt nach Hause gehen. Nach Hause und nicht in den Lost Anchor. Und treten Sie bitte keine weite Reise an.«

      Augenblicke später stand Colin neben Norma auf den unebenen Gartenplatten und ertrug geduldig Normas Gemecker.

      »Keine weite Reise antreten, wofür hält der sich? Unglaublich, wie überheblich jemand werden kann, sobald er einen Rang bekleidet. Aber dafür habe ich ihm auch nicht gesagt, was mir sofort aufgefallen ist.«

      Colin wurde hellhörig. »Was meinst du damit, Norma?«

      »Aber Colin! Hast du es denn nicht bemerkt? Der grüne Karton! Er stand nicht mehr im Regal!«

      »Dann wird es sich wohl bei dem Karton auf ihrem Schoss um den grünen gehandelt haben.«

      »Irrtum!«, triumphierte Norma. »Das hat es nicht. Ich habe mich beim Rausgehen noch einmal mutig zu ihr umgedreht, es war einer der vielen grauen. Der grüne Karton fehlt.«

      Bus Stop

      Alles schön der Reihe nach

      »Und der Karton fehlt tatsächlich?«, fragte Jasper jetzt schon zum dritten Mal. Sein Wurf verfehlte die anvisierte Fünfzehn um mehrere Zentimeter.

      »Er ist grün, Jasper, ich übersehe doch keinen grünen Fotokarton!« Norma rührte in ihrer Erdbeerbowle und sah Colin beim Verlieren zu. Diesmal ging es nicht ganz so schnell wie sonst.

      Colin war Norma ins Dorf und direkt und ohne Umwege bis in den Lost Anchor gefolgt. Dort angekommen hatte Norma zunächst dem Wirt und dann Jasper Bericht erstattet, der hier schon am Vormittag sein erstes Bier zu sich nahm. Colin kam der Verdacht, dass Jasper vielleicht doch ein Problem mit dem Alkohol hatte. Die Tatsache, dass Jasper auch zwei Whisky später verteufelt gut die Pfeile warf, erhärtete seinen Verdacht, dass Jaspers Körper an regelmäßigen Alkoholkonsum gewöhnt war.

      »Meint ihr, dass zwischen den beiden Morden eine Verbindung besteht?«, fragte Colin und traf in die doppelte Zwanzig.

      »Halloho? Ist die Frage ernst gemeint? Natürlich hängen die beiden Morde zusammen! Hier ist noch nie einer ermordet worden! Glaube ich zumindest. Und dann gibt’s plötzlich zwei Tote an einem Tag. Das kann doch wohl gar kein Zufall sein.« Norma sah Colin an, als befürchtete sie, er sei von einer Sekunde zur anderen schwachsinnig geworden.

      Jasper schaltete sich ein. »Und der verschwundene Karton liefert doch wohl den ersten Hinweis auf ein Motiv, meint ihr nicht? Wirklich Norma, du hättest Mike von dem Karton erzählen müssen. Das ist Unterschlagung von Beweismaterial oder etwas Ähnliches.«

      »Kaum, denn ich habe den Karton ja


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