Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz. Christoph Heizler

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Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz - Christoph Heizler


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Herausforderung von Auschwitz bestehe aber gerade darin, dass Auschwitz nicht zu verstehen sei. Das betonen auch viele Überlebende in ihren Berichten: daß selbst das, was sie uns mitteilen, das Geschehen nicht zutreffend beschreiben könne, daß es überhaupt keine Sprache gebe, die das vermöge.“194

      Den aktuellen Rahmen, in dem diese Herausforderung sich stellt, markiert Jan-Heiner Tück in seiner Monographie „Gottes Augapfel. Bruchstücke zu einer Theologie nach Auschwitz“.195 Er stellt fest: „Im gesellschaftlichen Diskurs besteht seit Längerem die Gefahr, entweder zu viel oder zu wenig von der Shoa zu reden. Einer gewissen Gesprächigkeit über die Sprachlosigkeit angesichts des Grauens steht die Unwilligkeit gegenüber, das Thema überhaupt zur Sprache zu bringen. Beide Reaktionen sind verfehlt. Die betroffenheitsrhetorische Inszenierung der Unsagbarkeit durch Superlative, die bei manchen zu einer ‚Holocaustmüdigkeit‘ führt, wirkt in dem Maße unangemessen, als sie die Maßlosigkeit des Verbrechens sprachlich nachzuahmen sucht. Ein Schweigen aus Apathie und Indifferenz, das eine heimliche Komplizenschaft mit den Tätern einschließen kann, ist nicht minder problematisch.“196 Zwischen diesen Extremen ist meine Studie angesiedelt und sucht nach Sprachformen, die beiden Gefährdungen entgehen. Dabei ist mit Blick auf eine Theologie des Gebets zu beachten, was Thomas Dienberg OFCap feststellt: „Seit und durch Auschwitz hat sich das Gebet verändert, vor allem das christliche Gebet. Es kann nicht mehr so sein wie vor Auschwitz. Auch das Gebet steht unter dem Vorzeichen des Bruchstückhaften und Fragmentarischen. Es ist ‚stigmatisiert‘ “.197 Wenn aber Beten einem solchen Wandel unterworfen ist, kann auch die das Beten eines Menschen auslegende und deutende Rede davon nicht unbetroffen bleiben. Wie kann also eine Rede angemessen stattfinden?

      Unter den verschiedenen Möglichkeiten, wie „Auschwitz“ im theologischen Denken Beachtung finden kann, empfängt meine Studie Impulse von Positionen, die für eine entschiedene Sprachzeugenschaft für die Stimme der Opfer eintreten: „Wir können nur Wortzeugen der Blutzeugen sein. […] Zwischen dem Schweigegebot einer Ästhetik nach Auschwitz und der Zeugenpflicht einer Ethik nach Auschwitz ist die Balance der Worte immer aufs Neue auszutarieren.“198 Exemplarisch formuliert es Elie Wiesel: „Das letzte Wort gehört den Opfern. Der Zeuge soll es ergreifen, es zum Ausdruck bringen, und dieses Geheimnis anderen mitteilen.“199 Dabei ist allerdings zu vermeiden, dass die Opfer und ihre Sprache vereinnahmt werden. In diese Richtung gehend zielen die Beiträge von T. W. Adorno darauf, stets eine Sensibilität für die ästhetische Objektivierung des Leides wach zu halten, das die Opfer erfahren mussten.200

      Der vorliegende Versuch einer Auslegung geistlicher Texte der Edith Stein ist in diesem Sinne ein Beitrag, die Stimme eines der Opfer von Auschwitz nachträglich hörbar werden zu lassen. Denn wo die betenden Opfer Gehör finden, dort haben die Täter nicht das letzte Wort. Vielmehr erfahren die Opfer und ihr Todesschrei nachträgliche Anerkennung. Dieses Anliegen meldet sich auch bei Gerhard Ludwig Müller zu Wort, der eine theozentrische Perspektive einnimmt: „Auschwitz als Tat der Mörder ist nicht das letzte Wort. Es wird zum Ort, wo Gott sein letztes Wort spricht, indem das Wort vom Kreuz zur Weisheit und uns allen zur Gerechtigkeit und Erlösung wird (1 Kor 1,30). Können wir nach Auschwitz noch beten?, so heißt eine bekannte Frage. Vielleicht wissen wir erst durch das Zeugnis des Sterbens in Liebe Edith Steins und anderer, was Beten angesichts des Todes überhaupt heißt. Gemeint ist das Beten nicht nur zu einem überweltlichen Wesen, das seine Liebe erweist, indem es die Welt einigermaßen in Ordnung hält und vor größeren Unfällen bewahrt, sondern das Beten zum Gott Jesu Christi, der einzig als der Gekreuzigte verkündigt wird: den einen empörendes Ärgernis, für andere eine Torheit, ‚für die Berufenen aber, Juden und Griechen, Christus, Gottes Kraft und Weisheit‘ (1 Kor 1,24).“201 Der Problematik, dass sich die Optik auf unsere Autorin nicht vom religiösen Standpunkt des Betrachters ablösen lässt, sondern unmittelbar virulent wird, ob ein jüdischer Betrachter oder ein christlicher sich ihrer Gestalt zuwenden, dem gilt im Abschnitt 6.2.2 über Edith Stein als betende Jüdin das Interesse. Daher kann hier darauf verzichtet werden, diese Problematik weiter zu entfalten.

      Die vorliegende Studie verdankt den Überlegungen, die Johann Baptist Metz hinsichtlich einer Theologie (des Gebets) nach Auschwitz202 vorgetragen hat, wertvolle Impulse. Grundlinien der Metzschen Theologie seien daher in gebotener Kürze und mit Blick auf die Fragestellung der vorliegenden Studie skizziert. Vorblickend sei auf eine auffällige Konvergenz seiner von der Apokalyptik herkommenden, zeitsensiblen Theologie, die christologisch hinsichtlich einer an der Gestalt Jesu Christi sichtbaren „gefährlichen Erinnerung“ konturiert ist, mit Positionen der Edith Stein hingewiesen.203 Der Name „Auschwitz“ wird für den Rahnerschüler und emeritierten Münsteraner Professor für Fundamentaltheologie zum Inbegriff einer grundlegenden Irritation herkömmlicher Theologie: „Auschwitz signalisierte für mich einen Schrecken jenseits aller vertrauten Theologie, einen Schrecken, der jede situationsfreie Rede von Gott leer und blind erscheinen ließ. […] Im Bewußtwerden der Situation ‚nach Auschwitz‘ drängte sich mir die Gottesfrage in ihrer merkwürdigsten, ihrer ältesten und umstrittensten Version auf, eben in der Gestalt der Theodizeefrage, und das nicht in existentialistischer, sondern gewissermaßen in politischer Fassung: Gottesrede als Schrei nach der Rettung der Anderen, der ungerecht Leidenden, der Opfer und Besiegten in unserer Geschichte.“204 Was mit „Auschwitz“ bedeutet wird, bildet für den frühen Metz mit der Herausforderung durch den Marxismus und mit jener durch die sozial geteilte und kulturell polyzentrische Welt eine dreifache Herausforderung für das theologische Denken.205 Dieses sieht er gefährdet, seine konkrete geschichtliche Situierung aus dem Blick zu verlieren und darin die Opfer der Geschichte ihrer Bedeutung zu berauben. Wo das geschieht, wird die Theologie zur Funktion einer „bürgerlichen“ Religiosität.206 Entgegen einer „verblüffungsfesten“207 und in seiner Wahrnehmung orts- und geschichtslosen theologischen (Gebets-) Hermeneutik plädiert er für eine „nachidealistische“ Theologie. Diese ist betont sensibel für ein besonderes Verstehen von Zeit: „‚Nachidealistisch‘ heißt dabei: Es ist der Theologie weder vergönnt noch zugemutet, in geschlossenen, situationsfreien Systemen ihre Welterklärungen und Daseinsinterpretationen vorzutragen. Sie kennt eigentlich keine Letztbegründungen, sondern eigentlich nur, wenn Sie mir dieses Wortspiel gestatten, sogenannte Zuletztbegründungen. Unabweisbar ist der Zeitfaktor im Spiel, ihre Botschaft hat einen Zeitkern. Ihre Logik ist nicht einfach eine Logik der Identität, sondern der Nicht-Identität. Das macht sie verletzbarer als die klassische Metaphysik, als jedes ideengeleitete Denken. Sie fußt auf vergleichsweise ‚schwachen‘ Kategorien wie Erinnern und Erzählen. Oder anders ausgedrückt und etwas akademischer formuliert: Die Logik der Theologie hat eine anamnetische Grundverfassung.“208 Diese kennzeichnet eine betont theodizee- und „leidempfindliche“ Haltung, anstatt die Frage nach Gott und nach der Antwort auf die Frage des Leids und des Übels im theologischen Diskurs zu entschärfen und „still zu legen“. Metz führt dazu aus: „Es gibt die Stilllegung der Theodizeefrage durch zuviel trinitätstheologisch eingekreistes und aufgehobenes ‚Leiden in Gott‘ und zuwenig zeitlich gespanntes ‚Leiden an Gott‘; es gibt zuviele kluge Antworten auf die Fragen: Wer ist Gott? Wo ist Gott? und zuwenig Artikulation einer offensichtlich biblischen Urfrage in der Gestalt von Schrei und Ruf: Wo bleibt Gott?“209 Metz plädiert dafür, dass den Leidenden Priorität zukommt: „Es gibt nämlich eine Autorität, die in allen großen Kulturen und Religionen anerkannt und durch keine Autoritätskritik überholt ist: die Autorität der Leidenden.“210 Dem Fundamentaltheologen zufolge müssen Leidende als Subjekte ernst genommen werden. Das wird in einer „anamnetischen“ Theologie möglich: „‚Subjektwerdung‘ gehört in das Grundprogramm der neuen politischen Theologie (vgl. etwa meinen Band ‚Glaube in Geschichte und Gesellschaft‘, Mainz 1977 u. ö.). Dieses Subjektverständnis – und das korrespondierende Ichsagen in der Theologie – ist in einer anamnetischen Anthropologie fundiert, in einer Erinnerungsanthropologie, in der das Subjekt an den Anderen, mit den Anderen (den Lebenden, fern und nah, und den Toten, den Besiegten und Opfern) zu sich selbst kommt und auch nur so sich selbst – in seiner Ichtiefe – weiß.“211 Diese Anthropologie ist christologisch fundiert. Sie wird von der „memoria passionis“212


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